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Motherboard: Oktober 2024

Wie man das nicht besonders Originelle doch sehr eigen und besonders macht, weiß Gavin Miller besonders gut. Vor allem, wenn er sein Soloprojekt worriedaboutsatan zur Abwechslung fast ohne Beats gestaltet. Wie zum Beispiel auf Ricochet (This is it Forever, 8. Oktober). Millers wie immer softe und melancholische Dub-Electronica zieht ihren Wiedererkennungswert, einen ganz eigenen und speziellen Charakter aus dem gespielten, stark nach vorne produzierten E-Bass. Als würde man hier ein wieder ausgegrabenes Tape eines vergessenen Durutti-Column-Nebenprojekts hören. Ein nie veröffentlichtes Ambient-Dub-Album von Factory Benelux.

Post-Punk geht selbstverständlich ebenso im bewährten Post-Punk-Bandformat und -Stil, also dringliche Vocals, knarzende Bässe, perlende Gitarren, himmelöffnende Synthesizerarpeggien und ordentlich Hall auf den Drums. Kann man als retro wegsortieren und ignorieren, das wäre im Fall der Manchester Spätpopper W.H. Lung allerdings grundfalsch und ehrlich gesagt auch ziemlich dumm. Denn einerseits transportiert ihr drittes Album Every Inch of Earth Pulsates (Melodic, 18. Oktober) den Post-Punk wiederum auf die charmantestmögliche Weise in die Neuzeit. Außerdem haben sie einfach gute Songs, catchy wie nix.

Oha, aha, das ist mal anders. Die Nippon-Connection von The Notwist via Tenniscoats hatte ja bislang in aller Vielfalt musikalisch eher homogene Ergebnisse gezeitigt. Also leicht experimentelle und handgemacht folktronische Popmusik, gerne mit Blaskapelle dabei. Das Electro-Punk-Trio o’summer vacation aus Kobe agiert dagegen mal so maximal in your face, wie man einen Song nur füllen kann. Bis auf eine Ausnahme sind alle Songs auf dem Debütalbum Electronic Eye (Alien Transistor, 11. Oktober) kaum über eine Minute lang und legen maximalen Druck in maximale Dichte – und das mit nur zwei Instrumenten (von denen keines eine Gitarre ist) und einer Stimme (aber was für einer!). Das ist wie (Nicht-)Digital Hardcore in frisch. Und macht deutlich mehr Spaß.

Da liegt Explosives in der Luft. Wenn sogar die freundlichen älteren Menschen von Alien Transistor plötzlich avantgardistischen J-Punk veröffentlichen und in den USA mit Hoffen und Bangen auf die bevorstehende Wahl und Schlimmeres gewartet wird, kann auch Mari Maurice Rubios schwer sprechliches Projekt  —__–___ sich nicht der Kommentare enthalten.

So tief die US-amerikanische Kultur die Night of Fire (8. August) des mit Seth Graham, More Eaze und Recovery Girl (Galen Tiptons Bubblegum-Bass-Alias) mittlerweile zum Trio gewordenen Avant-Hyper-Punk-Projekts informiert, bleibt ihr Verhältnis schwierig. Wo sie Pick-ups, Baseballstadien und Kirmesfahrgeschäfte, das Leben in der Provinz doch so lieben; wo religiöse Bigotterie und Handfeuerwaffen regieren. Führt das im Reigen von Faszination und Abstoßung zu clownbösem Hyper-Death-Pop mit Black-Metal-Grunzen, Screamo-Kreischen und zartesten Ambient-Trap-Momenten.

Mike Meegan alias RXM Reality haut in dieselbe Kerbe. Der Produzent aus Chicago, der im Spektrum von High-End-Kante und derbster Lo-Fi-Verzerrung lebt, hat in seinem jüngsten Tape No. 1 in the World (Hausu Mountain, 4. Oktober) den Digi-Punk mit einer Art Amateur-Horror-Core-Trap verknüpft. Er kommt als kaputtestmöglicher Yeezus am Ende des Tunnels (da, wo kein Licht kommt, nur eine Wand aus geschredderten Breakbeats) wieder heraus. Das ist auf gewisse Weise auch der dunkle Spiegel des Pillen-Rave, die vollgeballerte Endstufe von Hedo-EDM und Hard-Techno-Exzessen im tiefsten Keta-Hole.

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