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Motherboard: Oktober 2024

Dem Indie-Rock emotional entwachsen und vom Indie-Pop machen müde geworden? Warum nicht einfach mal ein ganz groß angelegtes, üppig und detailverliebt ausgestaltetes Jazz-Fusion-Album produzieren? Mit leichter Elektronik und spirituellem Seventies-Vibe zwischen Peter Fish, dem Pharoah Sanders der „Karma”-Phase? Und den zeitgenössischen Jazz-Erweiterinnen-Erhalterinnen Nala Sinephro oder Angel Bat Dawid? Schon erstaunlich und mehr als erfreulich, wie Mieke Miami – hinter dem Alias verbirgt sich die Berlinerin Sabine Wenzl von der No Hay Banda – ein grandios entspanntes Großwerk wie Birdland (Edition DUR/Sonar Kollektiv, 27. September) einfach mal so lässig raushauen kann. Ein Album ohne den Überbau des afrofuturistischen Jazz der Siebziger. Ohne ausgestellten Schmerz oder Wut. Und dennoch niemals beliebig oder glatt.

Mit ihren zahlreichen Kollaborationen, einer stabilen Verbindung zur Pariser Musikinstitution Ina-GRM und dem multimedialen Label Shelter Press hat sich die Französin Félicia Atkinson eine inzwischen beachtlich geräumige Nische in der sonst so kleinen Welt von Sound Art, Collage-Ambient und Field Recordings erarbeitet. So wird jedes neue Album Atkinsons definitiv zu einem Event. Ihr circa zehntes Soloalbum Space As An Instrument (Shelter Press, 25. Oktober) ganz besonders.

Weil sie, eher ungewohnt, das Piano in das Zentrum ihrer Produktionen stellt. Dazu: ASMR-Knuspern, gesprochenes Wort an der Hörschwelle und subtiles Dröhnen feinster Feedback-Noises. Dass selbst die sparsamste Verteilung einzelner Klaviertöne ausreicht, um einen Raum auszumessen, die Dauer eines Stücks zu erfühlen, Das macht Atkinson mit diesem im allerkleinsten Maßstab riesengroßen Album emotional und physisch erfahrbar.

Im Drone-Mainstream (ja, den gibt es) tut sich was. Und wenn sich was tut, ist nicht selten Alessandro Cortini beteiligt. Der italienische, aktuell in Portugal lebende Keyboarder und digitaler Instrumentenerfinder hat seine Stadionrocker-Vergangenheit experimentell produktiv gemacht. Seit zehn Jahren veröffentlicht er experimentelle Ambient- und Drone-Werke. Die haben der technischen Opulenz und Grandiosität seiner Bandvergangenheit ebenso viel zu verdanken wie einem feinen Gespür für klangliche Emotionalität und indirekte, aus Chaos geschöpfte Harmonie.

Wie eine sorgfältig ausgearbeitete Textur aller Klangelemente sowie ein subtiler, unterschwelliger Strom innerhalb der oberflächlich-statischen Klangmassive wirken, arbeitet Cortinis jüngstes Album Nati Infiniti (Mute, 4. Oktober) heraus. Was nicht verwundert, ist es doch aus einer immersiven Klanginstallation in einem Lissabonner Museum hervorgegangen.

Wenn es einen Vermittler zwischen Drone-Mainstream und Noise-Underground braucht, ist der in Schottland lebende Cellist Oliver Coates der Brückenbauer. Wie die klangästhetisch und emotional nahe benachbarte Hildur Guðnadóttir hat sich Coates von seinem eigentlichen Instrument weitgehend emanzipiert – und zwar ausgerechnet in Film und Seriensoundtracks, wie etwa zu Aftersun oder The Stranger, wo ähnlich wie in Guðnadóttirs phänomenalen Chernobyl atmosphärische Umgebungsgeräusche, Dröhnen, Knarzen, Poltern und Rattern wichtiger sind als Harmonik oder Melodien. Und das ebenfalls ähnlich wie bei Guðnadóttir mit erstaunlichem Erfolg. Mehrheitsfähig wohl nicht zuletzt, weil sogar die Noise-nahen Soundtracks ein Eigenleben jenseits der bewegten Bilder führen dürfen.

Die Stücke des nach längerer Zeit wieder für sich stehenden Soloalbums Throb, shiver, arrow of time (RVNG Intl., 18. Oktober) haben die Arbeitsweise der Soundtracks aufgenommen, aber nicht komplett übernommen. Das Cello darf noch als solches erkennbar in einigen Stücken die Führung übernehmen. Es gibt Melodielinien und songhafte Spannungsbögen. Harmonik, ja, aber im stetigen Zustand des digitalen Zerfalls befindlich. In Schleifen und im Rauschen elegisch verweht. Und endlich wieder darf Coates hier ein ungefiltertes, aber elektronisch zermürbtes Streicher-Pathos auffahren, das er sich in seinen Soundtrack-Arbeiten so strikt verbietet.

Stefan „Mapstation” Schneider ist wohl einer der aufgeräumtesten Köpfe, den die elektronische Musik hervorgebracht hat. Das ist definitiv eine Qualität, die zum Immer-wieder-Hören einlädt. Eventuell noch emo-größer und kopf-weiter wird solche Musik, wenn sie mit etwas Akustischem konfrontiert wird, das ähnlich austariert und in der Performance perfektioniert ist, aber eine ganz andere, tendenziell raue Textur und nicht so leicht vorhersehbare Richtungen einschlägt. Wie zum Beispiel die Bassklarinette von Susanna Gartmayer. Gemeinsam als SO SNER agierend, öffnet deren zweites Album The Well (TAL, 18. Oktober) so einige verschlossene Türen der Elektroakustik (als Genre wie als Idee). Das sind mäandernd-blubbernde Klänge, die realer greifbar kaum sein könnten.

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