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Kappa Futur: Ein Rave, auf dem sich Exzess und Kontrolle nie aus dem Auge verlieren

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Aufgrund unserer GROOVE-ON-Kampagne erscheint unsere Review zum Kappa Futur deutlich später als normalerweise – wie in Turin norditalienische Rave-Traditionen gepflegt wurden, lest ihr im Folgenden.

Polygonia aus München steht auf der Kosmo Stage des Kappa Futur und bewegt sich zu ihren schnellen, fliehenden House-Grooves, in die sphärische Synthesizer-Flächen eingearbeitet sind. 40 oder 50 Besucher:innen tanzen vor ihr im satten Gras. Eine junge Frau trägt eine farbig verspiegelte Ski-Sonnenbrille und hat Teile ihres Haars zu Zöpfen geflochten, die sich an ihren Kopf schmiegen. Im Tattoo eines Mannes zieht sich ein kleinteiliges, monochromes Blumenmuster über seinen gesamten Arm bis zur Hand.

Foto: Alexis Waltz

Die Kappa-Futur-Crowd hat ihr eigenes Rezept für einen tiefgreifenden Hedonismus, zu dem die proletarische Derbheit der alten Industriestadt Turin ebenso gehört wie ein umfassendes Stilgefühl, das die Klaviatur vom Trash bis zur High Fashion, von grummeligen Basstönen bis zu kreischenden Höhen ganz und gar beherrscht.

Das Kappa Futur 2024 (Foto: Alexis Waltz)
Foto: Alexis Waltz

So geben die Besucher:innen in den pittoresken Resten des Stahlwerks des Autokonzerns Fiat ein farbiges und lebendiges Bild ab. Sogar die stereotypen schwarzen TikTok-Techno-Outfits erhalten durch Accessoires und Schmuck meist eine individuelle Note. Dabei ist die kleine Kosmo Stage auf dem Kappa Futur mit seinen 65.000 Besucher:innen an drei Tagen eher die Ausnahme. Die Main Stage fasst an die 20.000 Menschen, sieben Bühnen erzeugen ein kompetitives Umfeld, in dem die kleineren Künstler:innen leider oft den Kürzeren ziehen, das aber auch deutlich macht, wer die Crowd nachhaltig in den Bann zieht.

Foto: Alexis Waltz

Auf der für Classic Techno von Freddy K bis DVS1 reservierten Nova Stage spielt der Tresor-Act Fireground ein lebendiges Live-Set, das ebenfalls von einer überschaubaren Gruppe von Raver:innen goutiert wird. Mehr los ist vor der für den jungen Techno von Nico Moreno bis Reinier Zonneveld aufgesetzten Solar Stage, auf der KI/KI gewohnt souverän ihren Rave-Sound kredenzt, in dem sich Exzess und Kontrolle nie aus dem Auge verlieren. Bleibt noch die Voyager Stage, die für den internationalen Gast die überraschendste ist.

Foto: Alexis Waltz

Hier dürfen Ikonen des Tech-House der Zweitausender ihren großspurigen, satten Sound zum Besten geben. Jetzt sind das die Martinez Brothers aus New York, die hier Tanzende aller Altersstufen begeistern. Dass auf dem Festival verschiedene Gewichtsklassen der elektronischen Musik, von San Proper bis Four Tet, parallel nebeneinander existieren, macht das Kappa Futur zu einer besonders unterhaltsamen Veranstaltung.

Foto: Alexis Waltz

Nach den Martinez Brothers tritt mit Paco Osuna ein Act auf, den man zu Minimal-Zeiten in Clubs erlebt hat, der in den letzten Jahren aber hauptsächlich auf EDM-Veranstaltungen wie Elrow zu sehen ist. Der Spanier wendet hier die Formel an, die in verschiedenen Variationen und Qualitätsniveaus oft als Erfolgsrezept des Kappa Futur taugt. Immer geht es darum, auf die eine oder andere Art Pop-Elemente in das Groove-Korsett einzuweben. Der Veteran DJ aus Minus-Zeiten macht das auf eine angenehm unaufdringliche Weise. Auf der eingangs erwähnten, abseitigen Cosmo-Stage spielt derweil der legendäre Nicolas Lutz nerdigen Digger-House. Ein Fan schwenkt eine Flagge Uruguays, des Heimatlandes des DJs. Auf der Mainstage nimmt das Festival derweil an Fahrt auf.

Foto: Alexis Waltz

Blond:ish holt die Crowd mit nahbarem, ganz und gar uneitel präsentiertem House-Pop ab, Skrillex und Blawan unterhalten die Masse mit ungewöhnlich diversen Breakbeat-Tracks, die von seltsamen Rhythmus-Skizzen zu einem Sugarhill-Gang-Stück aus den frühen Achtzigern reichen und die Überspanntheit dieses Hochsommertags gut auffangen. Four Tet und Floating Points verzetteln sich für die feierfreundige Crowd zu sehr in Fusion-Opulenzen, aus denen die Tanzenden von Solomuns wohl dosiertem Pathos herausgeführt werden. Die Post-Corona-Techno-Stage gibt sich jung, doch was hier stattfindet ist, auch nach zwei Jahren bestens bekannt.

Foto: Alexis Waltz

Patrick Mason liefert seinen mit ernster Miene aufgeführten Ausdruckstanz, Clara Cuvé tanzt ausgelassen neben dem mehr oder minder regungslos vor der Masse stehenden Kobosil. Im Finale überrascht Trance-Superstar Tiësto auf der Main Stage mit ruhigen House-Edits von Neunziger-HipHop-Klassikern.

Foto: Alexis Waltz

Am zweiten Festivaltag überzeugen The Hacker und Mannequin-Records-Macher Alessandro Adriani mit ungewöhnlich spannungsvollen Klängen der Achtziger, die discoide Ausgelassenheit in die kühlen Synthesizer-Sounds dieser Zeit gießen. Jeff Mills klingt für die feierfreudige Crowd allzu entrückt, seine sphärischen Detroit-Sounds verlieren sich in der sengenden Sommersonne. Kaum besser funktioniert das B2B von Special Request und Anz.

Foto: Alexis Waltz

Dass Breakbeats schlichtweg nicht in den Hedonismus-Entwurf der Norditaliener passen, unterstreicht auch die Freude, mit der Honey Dijons brachiale House-Hits, Jamie Jones’ sehniger, R’n’B-beeinflusster Clubsound und Maceo Plex’ Digital-Disco-Entwurf goutiert werden. Auf der Solar Stage liefern Nico Moreno und Trym rhythmisch entschieden gesetzte Drops. Auf der Hauptbühne räumen derweil Tale of Us und Four Tet ab, erstere zehren von ihrem Superstar-Status, den die Mailänder hier genießen, Four Tet gibt sich als souveräner Handwerker, bei dem sämtliche Breaks und Pop-Schnipsel millisekundengenau gesetzt sind.

Foto: Alexis Waltz

Einzig Aurora Halal gelingt die Quadratur des Kreises, mit ihrem feingliedrigen Speedy-House zugleich modern zu klingen und die Crowd mitzunehmen – auch wenn es nur ein paar versprengte vor der Cosmo-Stage sind.

Foto: Alexis Waltz

Der dritte Festivaltag beginnt mit einem kräftigen Regenschauer, der die Fans der House-Veteranen Joe Claussell und Ron Trent nicht daran hindert, sich auf den eleganten Fluss der schweren Grooves und der einprägsamen Chords einzulassen. Vintage Culture aus Brasilien verneigt sich mit Tracks wie „The Bells” von Jeff Mills vor dem Detroit-Erbe. Bei Adam Beyer gibt es Gedränge, offenbar wurde er zu Unrecht auf die Veteranen-Stage verbannt. Enrico Sangiuliano mischt ähnlich souverän Pop- und Dance-Befindlichkeiten wie Paco Osuna vor zwei Tagen. Zeit für das Finale.

Foto: Alexis Waltz

Auf der Main Stage gelingt es The Blessed Madonna überraschenderweise nicht so richtig, mit der Masse zu connecten. So sehr die Crowd hier Tech-House liebt, so sehr fremdelt sie mit den Discoklängen der US-Amerikanerin. Kölsch überzeugt durch die Bescheidenheit, mit der er einen Mix aus reduzierten Grooves und raumgreifendes Hooks zum Besten gibt. Carl Cox’ Hybrid Set kommt mit stumpfen Chicago-Grooves überraschend fundamentalistisch und bodenständig daher.

Foto: Alexis Waltz

Eine Gruppe junger Frauen räumt irritiert das Feld, die Mehrheit der Tanzenden geht aber mit. Der Gegenentwurf zu diesem derben Puristentechno kommt von Reinier Zonneveld. Der Holländer überbietet seine Vorgänger:innen Oguz und Sara Landry mit unnachahmlich präzise inszenierten Geschmacklosigkeiten.

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