burger
burger

Neopop Festival 2023: Breit aufgestellt, sauer aufgestoßen

Bereits zum 16. Mal fand in diesem Jahr das Neopop im portugiesischen Viana do Castelo statt. Etwa 70 Kilometer nördlich von Porto liegt das beschauliche Hafenstädtchen an der Flussmündung des Lima in den Atlantik. Inmitten dieser Mündung befindet sich die Festungsanlage Forte Santiago da Barra, die dem Neopop jährlich als altehrwürdige Kulisse dient.

Etwa 10.000 Besucher:innen empfängt das „Neoverse” entlang der Festungsmauer jeden Sommer und hat sich somit als absoluter Fixpunkt auf dem portugiesischen Festivalkalender etabliert. Unser Autor Ruben Drückler hat sich vor Ort umgesehen.

Anders als zum Beispiel beim jüngeren Waking Life ist das Booking des Neopop seit jeher breit aufgestellt und zieht ein Publikum mit entsprechend unterschiedlichen musikalischen Geschmäckern an. Von Techno an – oder auch schon über – der Grenze zu EDM bis zu anspruchsvolleren Live-Sets war das Programm auch in diesem Jahr breit gefächert. Obwohl für Musiksnobs teilweise durchaus fordernd, kam die Mischung bei den Besucher:innen bestens an.

Für ein Festival dieser Größe wirkt das Gelände des Neopop ziemlich übersichtlich. Entlang der südwestlichen Ecke der Festungsmauer waren zwei Bühnen verteilt, die enorme Neo Stage an der Westmauer und die etwas kleinere, im Warehouse-Stil gehaltene Anti Stage an der Südmauer. Kaum eine Gehminute voneinander entfernt, waren die Bühnen durch ihren Aufbau und die Festungsmauer als Trennwand überraschend schalldicht voneinander getrennt – bitter nötig, angesichts des extrem drückenden Klanges. Mit weiteren Attraktionen hielt sich das Neopop sichtlich zurück, lediglich ein gut ausgestatteter Foodcourt und eine kleine Spiegelinstallation mit Instagram-Appeal (als Marketinginstrument eines großen niederländischen Bierherstellers) waren noch zu finden.

Neopop (Foto: Neia Art)
Die Nebelmaschine auf dem Neopop funktionierte (Foto: Neia Art)

Denn im Fokus standen hier zweifellos die Bühnen, an deren Produktion offenkundig nicht gespart wurde. So war der gesamte Hintergrund der Mainstage eine riesige LED-Wand: Um, über und neben den DJs sowie über dem Publikum waren zudem große Würfel aus LED-Röhren angebracht. Im Zusammenspiel wurden diese Elemente über drei Tage immer wieder anders bespielt und eingebracht, wodurch jedem Set ein visuell eigener Charakter verliehen werden konnte. Insbesondere die dreidimensionale Installation der Würfel in den Zuschauerraum hinein sorgte für ein beeindruckend immersives Erlebnis auf dem Dancefloor.

Mall Grab Neopop (Foto: Diogo Lima)
Mall Grab (Foto: Diogo Lima)

Etwas zurückhaltender war das Design der Neo Stage, die mit einer aufwändigen Bepflanzung und zahlreichen LED-Elementen dennoch ihren eigenen Charakter hatte. Durch die tunnelartige Überdachung und Einengung des Dancefloors war sie streckenweise stimmungsvoller als ihre große Schwester 100 Meter weiter.

Wie man Musiknerds zufriedenstellt

Das Programm war an jedem Tag unterschiedlich ausgerichtet. So geriet der erste Abend zunächst noch housy (Honey Dijon) bis Tech-Housy (Mind Against, Francesco Del Garda), ehe Artbat erstmals die vermeintliche Grenze zum EDM übertraten. Ein Set, das den versnobten Berliner Musikjournalisten durchaus sauer aufstoßen ließ, dem Spaß im Publikum jedoch keinen Abbruch tat. Anders ging es hingegen auf der kleineren Bühne zu, wo Mall Grab mit ravigen Peaktime-Techno aufspielte, ehe der stets verlässliche Surgeon mit seinem Live-Set auch Musiknerds zufriedengestellt haben dürfte.

Honey Dijon Neopop (Foto: Eduardo Filho)
Ab ins Honeyverse (Foto: Eduardo Filho)

Am zweiten und musikalisch interessantesten Tag wurde es deutlich Techno-lastiger, mit portugiesischem Hardgroove von VIL und Cravo, klamaukigem Spaßgeballer von VTSS und dem ersten wirklich herausragenden Set des Festivals von IMOGEN. Der sichtlich motivierten Engländerin gelang es, ein bretthartes Big-Stage-Set zu spielen, ohne musikalische Vielseitigkeit einzubüßen oder sich dem Setting übermäßig anpassen zu müssen.

Imogen Neopop (Foto: Neia Art)
Spielte das stärkste Set des Festivals: Imogen (Foto: Neia Art)

Ähnlich überzeugend spielte anschließend Altmeister Richie Hawtin, für den Bühnen dieser Größe freilich nichts Neues mehr sind und dessen Sound an diesem Abend derart hart und geradlinig war, dass auch Zweifler:innen überzeugt gewesen sein dürften. Inzwischen ging die Nacht auf der Neo Stage mit Lewis Fautzi, Oscar Mulero und schließlich der immer hörenswerten Dasha Rush mit etwas mehr Tiefgang in die Morgenstunden über.

Richie Hawtin Neopop (Foto: Pedro Francisco)
Agierte souverän: Richie Hawtin (Foto: Pedro Francisco)

Gnädigerweise startete der dritte und letzte Tag des Festivals erst um 22 Uhr, zumal die überwiegend portugiesischen Acts an den ersten beiden Nachmittagen nur sehr spärlich besucht waren. Hier wäre es künftig eventuell überlegenswert, eine kleinere dritte Bühne einzurichten, auf der sich vor allem lokale Künstler:innen außerhalb solcher Warm-up-Slots präsentieren können.

Mit EDM-Stars die Bodenhaftung verlieren

Für die finale Nacht hatte sich das Booking des Neopop jedenfalls nicht lumpen lassen und sich mit Charlotte de Witte den aktuell vermutlich größten Namen im Business Techno gesichert. Medienvertreter:innen wurden von de Wittes Management mit genauen Anweisungen versorgt, wer, wie, wann, nach Absprache mit wem und wo genau Fotos und Videos auf der Bühne machen durfte. Ein im Umgang mit EDM-Superstars sicherlich nicht weiter bemerkenswerter Vorgang, der aber gut veranschaulicht, wie weit man sich hier von Szene und Bodenhaftung entfernt hat.

Charlotte de Witte (Foto: Pedro Francisco)
Wer Charlotte de Witte sucht: Rechts am Bildrand! (Foto: Pedro Francisco)

Als die Belgierin schließlich aus dem Backstage des Backstage auf die Bühne huschte, waren Dancefloor und VIP-Terrasse so brechend voll wie zu keinem anderen Zeitpunkt an diesem Wochenende. Eine ausführliche Bewertung der folgenden zwei Stunden sei den Leser:innen erspart, mit Techno hatte dieses audiovisuelle Spektakel jedoch nicht mehr viel zu tun.

Das Neopop hat sich in der Festivalszene rund um elektronische Musik durchaus interessant platziert. Während sich Veranstaltungen hierzulande in ihrer musikalischen Ausrichtung zumeist relativ klar voneinander unterscheiden und ein jeweils eigenes Publikum ansprechen, gelingt es den Portugiesen tatsächlich, diese Ausrichtungen sowohl im Booking zu vereinen als auch im Publikum zu spiegeln.

Das mag die Leidensfähigkeit von Freund:innen musikalischer Distinktion bisweilen auf die Probe stellen, sorgt jedoch für ein diverses, unkompliziertes und bestens gestimmtes Publikum. Zudem kommen hier Fans von EDM und Tech House mit Techno in Berührung, solche von Hard Techno und Trance mit House. Das Entdeckungspotenzial mag also durchaus höher sein als auf weniger breit gefächerten Veranstaltungen.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Zehn Jahre Institut fuer Zukunft: „Wir hatten keinen Bock drauf, dass uns alte Leute sagen, wie wir Spaß haben sollen”

Groove+ Zum zehnten Geburtstag zeichnet das Team des IfZ ein ambivalentes Bild des Clubs – und blickt der Zukunft trotzdem optimistisch entgegen.

Der Club Macadam in Nantes: „DJs sollen bei uns am Können gemessen werden”

Groove+ Der französische Club zeigt, dass man für anständiges Feiern am Sonntag keineswegs zwingend nach Berlin fahren muss. Was ihn sonst ausmacht, lest ihr im Porträt.

Paranoid London: Mit praktisch nichts sehr viel erreichen

Groove+ Chicago-Sound, eine illustre Truppe von Sängern und turbulente Auftritte machen Paranoid London zu einem herausragenden britischen House-Act. Lest hier unser Porträt.