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Motherboard: Mai 2024

Ähnlich massiv die vierteilige Solopianowerk Intimes exubérances (Redshift, 12. April) des Kanadiers Patrick Giguère in der Interpretation von Cheryl Duvall, die als einer der Köpfe des Torontoer Thin Edge New Music Collective schon öfter den Weg in die Kolumne fand. Giguères Kompositionen und Duvalls Interpretation sind impressionistisch fließender und etwas weicher im Ton als die Sharman-Iwaasa-Kombi, können aber dennoch modern tösen und donnergrollen, wenn nötig.

Der von Field Recordings ausgehende Ambient des Franzosen Jean-Emmanuel Rosnet operiert mit modischen ASMR-Ideen. Es wäre ihm zu gönnen, dass er mit Les Alentours (Not Not Fun, 3. Mai) von einem der einschlägigen Kanäle in den großen Portalen entdeckt wird und die zig Millionen Streams bekommt, die mit elektroakustischem Knurpseln, Knispeln und Fegen, dem akustischen äquivalent von sanfter Berührung und passiver Aktivität zu erreichen sind. Denn die Aufnahmen aus der Umgebung von Saint-Flour-l’Etang, wo Rosnet lebt, sind in aller Direktheit doch hörbar kleinteilig und extrem präzise prozessiert, geloopt und geschichtet. Was die Stücke zwar noch als ASMR effektiv bleiben lässt, aber eigentlich etwas anderes will.

Lorenzo Bracaloni ist mal wieder bei den freundlichen Isländern aus Tálknafjörður untergekommen. Midnight Poems for Lost Seasons and Crippled Hearts (Móatún 7, 15. März), sein jüngstes Album unter dem Alias Fallen, kommt im aparten Doppel-10-Inch-Format und demonstriert einmal mehr, wie gut und emotional ansprechend moderner Ambient sein kann.

Dass im Berliner Kunst- und Musikzusammenhang Kuboraum so einiges passiert, erwähnte ich bereits in dieser Kolumne. Die regelmäßigen Gastaufenthalte wirklich exzellent ausgesuchter Künstler:innen der experimentelleren Seite von Ambient und Elektronik gilt es immer wieder zu loben. So versammelt der Sampler Kuboraum Sound Residency (Kuboraum Editions, 17. Mai) interessante wie kaum zu ahnende Konstellationen sehr etablierter wie gerade bekannter werdender Acts. Dass diese aus den verschiedensten Zusammenhängen und von verschiedenen Kontinenten kommen, zeugt von erfreulicher Offenheit. Es geht letztlich darum, einen nicht allzu riesigen Raum mit Klang zu füllen – und wie die einzelnen Beitragenden das tun, ist wirklich spannend.

In Köln macht indes die Stadt Krach, und die Menschen in ihr machen Krach für die Stadt, mit ihr oder gegen sie. Der hochinteressante und inzwischen in Aspekten wie Szeneassoziation, Alter und Geschlecht deutlich diversifizierte dritte Teil der Kompilationsreihe Noise of Cologne 3 (Mark e.V., 5. April) macht Noise mit ungefähr allem, was geht (und seinen Freunden). 73 einminütige Stücke, was eben gerade so auf eine CD passt, von noch mehr Kölner Künstler:innen in alphabetischer Reihenfolge und in memoriam Joachim Ody, dem 2022 verstorbenen Kölner Kompliziertmusikversteher. Erfreulich, dass das eben nicht (nur) bedeuten muss, angestrengte oder verspielte Extrem-Avantgarde aus dem Umfeld von A-Musik oder einer der hiesigen Musik- oder Kunstakademien zu hören, sondern eben entspanntes elektroakustisches Experimentieren.

Das kollaborativ-konzeptuelle Mega-Opus 111 (Mute, 23.April) des Londoner Producers Louis Carnell versammelt ebenfalls eine sorgfältig kuratierte Auswahl an interessanten Künstler:innen aus Ambient und Avant-Pop. Carnell, der es mit seinem Dubstep-Grime-Alias Visionist zu einigem Ruhm und einem Vertrag mit einer großen Plattenfirma gebracht hat, exploriert mit seinen Gästen konsequent experimentell die kühleren Nischen der musikalischen Schattenwelten. Dass das durchweg in Kooperation, in Verbindung mit den Ideen und Emotionen anderer entsteht, soll Hoffnung vermitteln. Es gibt den Stücken definitiv ein inniges Restlicht, das den schwermütigen, von Erinnerungsgespensterfetzen heimgesuchten Sound doch wieder absolut schlüssig in etwas bindet, das eventuell sogar mehrheitsfähig sein könnte. Dennoch mutig von Mute, so etwas herauszubringen. Es scheint ein Anliegen zu sein. Hoffnung in dunklen Zeiten ist nie verkehrt.

Und was macht Jan Jelinek in der Zwischenzeit? Lässt auf Social Engineering (Faitiche, 3. Mai) Phishing Mails von einer KI vertonen als avantgardistische Absurdität im Kubikmeter-Raum des Uncanny Valley, des unheimlichen Wiedererkennens im Nicht-Wiedererkennen. Unmenschlicher Dada-Spaß ist garantiert.

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