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Mai 2024: Die essenziellen Alben (Teil 3)

Radio Slave – Venti (Rekids)

Venti vereinigt 12-Inch-Veröffentlichungen des Rekids-Masterminds der letzten Jahre, genauer gesagt Maxis, die zwischen 2023 und 2024 herauskamen, mit einigen bisher unveröffentlichten Tunes und zeigt beispielhaft die große Bandbreite des britischen Produzenten.

Und die reicht weit: Vom Piano-lastigen House-Opener „Strobe Queen” über roughen Techno-House wie „Wait A Minute” oder eine Disco-Nummer wie „Wild Life” bis zu Electro bei „Strangers In The Night” und der Reggae-lastigen Fun-Boy-Three-Hommage „The Lunatics”. Dazwischen gibt es hypnotischen Latenight-House („Wake Up”) oder Balearic-Anklänge auf der Kollaboration mit Cagedbaby, „Amnesia”. Und ja, auch mit Pop hat Matt Edwards alias Radio Slave keine Berührungsängste, wie seine mit Michael Love Michael an den Vocals produzierte Kylie-Minogue-Coverversion „Can’t Get You” beweist. Letzteres mag dem einen oder anderen fast schon ein wenig zu cheesy sein, ein Banger wie „New Balance”, der in keinem Martyn-Set fehl am Platze erscheinen dürfte, versöhnt aber schnell wieder. Prädikat: sehr deep, sehr abwechslungsreich, sehr gut. Tim Lorenz

Ruben Ganev – Collector’s Series 11 (mould.audio)

Ruben Ganev ist nicht nur DJ und Produzent, sondern auch Labelchef von mould.audio. Einem Imprint, auf dem er seit 2020 Releases verschiedener Künstler:innen kuratiert, vor allem aber seine eigene Musik veröffentlicht. So steht mit dem neusten Ableger der Collector’s Series bereits der elfte Teil der eigenen Reihe in den Startlöchern, die sich nach wie vor auf tiefgehenden, schnörkellosen Techno auf der dubbigeren Seite des Spektrums konzentriert.

Ellenlange Breaks oder ähnlich überflüssige Modeerscheinungen sucht man hier vergeblich, denn der konsequente, unablässige Loop bricht niemals mit der Form und besticht durch pointierte Simplizität. Die obligatorische Kälte der Maschinenmusik versprüht ihren abweisenden Charme, und hier und dort driftet man auch mal in tiefere Gefilde und frönt etwa auf „Healer Ⅰ” kathartischen Klangwelten. Insgesamt bleiben fünf exzellente Techno-Tracks, die stilvoll von Ambient im Intro und Outro gerahmt werden und ausnahmslos zum hypnotischen Hörerlebnis einladen. Till Kanis

Saphileaum – Banana Leaf Paradise (Slow Life)

Ein sehr sympathisches Promofoto zeigt den georgischen Produzenten und Multimediakünstler Andro Gogibedashvili alias Saphileaum im Freien vor Bäumen, wie er eine Tasse Tee zum Mund führt. Ähnlich entspannt gibt sich die Musik auf seinem jüngsten Album Banana Leaf Paradise, auf dem er zum Beispiel seinen „Coconut Dance” darbietet oder einem „Sun God” huldigt. Auf das, was dieses Banana Leaf Paradise stilistisch zu bieten hat, treffen streng genommen Schlagworte wie Balearic, kosmisch, tribalistisch oder gar New Age zu. Man sollte sich diesen Begriffen dabei mit der gebotenen Freundlichkeit nähern: Gogibedashvili mischt all diese Dinge in wechselnden Anteilen zu einnehmenden Ausflügen in die Tropen oder an ähnlich schwül-warme Sehnsuchtsorte, mit entwaffnend ausgeruhtem Puls.

Gemessenes Tempo, dezenter Mix, der jedoch nie aufdringlich geschmeidig geglättet ist, dafür warme, zugleich nie vollkommen erwartbare Klänge. Saphileaum hält seine perkussiven Anteile zudem variabel, gibt dem Ganzen gern kaum merklich irritierende Details hinzu, in „Page Master” etwa eine hin und wieder den Beat verstärkende, nervös zitternde Hi-Hat. Wenn das Ganze esoterisch sein sollte, dann in einem sehr zugänglichen Sinn. Glauben muss man da lediglich an den Groove. Tim Caspar Boehme

Sote – Ministry of Tall Tales (SVBKVLT)

Ministry of Tall Tales ist ein Longplayer, der in jeden Plattenschrank von Jazz-, Avantgarde- und Elektronik-Fans gehört. Ein musikalisches Werk, das noch viele Jahre wie ein guter Freund begleiten und immer wieder mit neuen Aspekten, Gedanken und Bilder bereichern wird. So weit die Prophezeiung.

Der in Teheran beheimatete Musiker und Komponist Ata Ebtekar nennt sein Werk zu Deutsch Ministerium für Märchen. Auf dem Cover ist ein zwischen zwei Minaretten eingezwängter Frauenkopf zu sehen, aus dessen zum Schrei aufgerissenem Mund die Worte Ministry of Tall Tales strömen. Ein klares Statement, das auf die Wut, Unzufriedenheit und Verzweiflung von Sote als Vertreter der künstlerischen Gilde des Iran hinweist. Zum musikalischen Kontext gehören die Namensgebungen der Kompositionen – von „River of Pain” über „Kangaroo Court” und „Death Dealing” bis hin zu „1401 Beautiful Souls”. Traditionelle, oft nach und nach verzerrte Sounds östlicher Musikinstrumente entwickeln mit diversen elektronischen Klangflächen eindringliche Soundscapes und Atmosphären, die vom Harmonischen ins Disharmonische, vom Rhythmischen ins Auflösende, vom Meditativen ins Chaotische kippen und dann wieder Katharsis bieten. Mit seiner Musik erschafft Ata Ebtekar ein Gefühl der Freiheit. Die Gedanken, die Assoziationen sind frei. Dank gilt diesem mutigen und hochkreativen Musiker und Komponisten, der ein avantgardistisches Meisterwerk geschaffen hat. Liron Klangwart

Szary – Datei (Edition Dur)

Bei Sebastian Szarys (bekannt von Modeselektor, Moderat) Album Datei auf Edition Dur handelt es sich im entferntesten Sinne um ein Remix-Album. Es entstand auf Basis von Aufnahmen des Moderat-Albums More D4t4 von 2022, die Szary hier unter dem Mikroskop der Sample-Manipulation zu kleinsten Partikeln reduziert, Schnappschüsse in Zeit.

Kein Film mit 24 Bildern pro Sekunde, vielmehr die Abfolge von einem Bild pro Ewigkeit. Heraus kommt dabei ein Ambient/Electronica-Album von steingrau melierter, industrieller Schönheit, die entfernt etwa an die hyperprozessierten Klang-Cut-ups eines Fennesz erinnert. Elektronisch aufgeladene Gewandtheit, zisselnd in zehn Variationen atomarer Melancholie. Vereinzelt zerklüften auch mal schwere Beats im Paartanz von Protonen und Neutronen die zersandeten Klangschaften, die Szary hier Ebene um Ebene aufschichtet. Meist jedoch ist es ein hypnotischer Sog zum Stillstand, dem man sich nur schwer entziehen kann. Man lauscht hier etwas sehr Besonderem, das ist vom ersten Moment an klar. Tim Lorenz

Zu diesem Album sind derzeit keine Hörbeispiele verfügbar.

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