Rave The Planet hat sich jahrelang dafür eingesetzt, nun steht fest: Berliner Techno ist immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Wir haben mit den Initiator:innen Dr. Motte und Ellen Dosch-Roeingh gesprochen und erfahren, was diese Anerkennung bedeutet und bewirkt. Und wieso Drogen nicht Teil der Anerkennung der UNESCO sind.
GROOVE: Ist Berliner Techno mit der Anerkennung als immaterielles UNESCO-Kulturerbe endgültig in der Musealisierung und im Kommerz angekommen?
Dr. Motte: Was hat das denn damit zu tun? Es geht hier um gelebte Kultur!
Ellen Dosch-Roeingh: Die Kommerzialisierung der Techno-Kultur kommt außerdem von anderer Seite. Sie wird durch Gentrifizierungsprozesse und die Inflation angetrieben. Dadurch entsteht ein Kommerzialisierungsdruck für viele Clubs. Sie müssen aufgrund von Kostensteigerungen ihre eigenen Preise erhöhen oder kommerziellere Maßnahmen anwenden, als es ihnen eigentlich lieb wäre. Als Antragsteller:innen zum UNESCO-Kulturerbe müssen wir deshalb Schutzmaßnahmen ergreifen und Bildungsprogramme entwickeln – damit die Kultur in ihrer ursprünglichen Form weiterbestehen kann.
Dr. Motte: Die UNESCO bietet diese Form der Anerkennung an, um der Kommerzialisierung von Kultur einen Riegel vorzuschieben. Alle 150 anerkannten immateriellen Kulturerben sind also keine kommerziell ausgelegten Kulturformen. Die Kommerzialisierung kommt eher von TikTok und der Pandemie, die wir hinter uns haben. Der UNESCO geht es aber um den Inhalt der Kultur, nicht um ihre Vermarktung.
In Zürich ist Techno seit 2017 anerkanntes Kulturerbe. Dort gab es durchaus Kritik.
Dr. Motte: Das kann ich nicht nachvollziehen.
Ellen Dosch-Roeingh: Außerdem folgen durch die Anerkennung nicht automatisch Begünstigungen. Das UNESCO-Kulturerbe ist eine symbolische Anerkennung. Sie zeigt: Techno ist genauso viel wert wie andere Kulturen. Er ist nicht einfach der „drogenversiffte Underground”, sondern wertvolle Kultur. Die Anerkennung stellt sicher, dass Techno auch außerhalb unserer Wirkungskreise Aufmerksamkeit bekommt.
Dr. Motte: Der UNESCO geht es zudem um Menschenrechte – und damit um die freie Ausübung der Kunst. Dafür braucht es freien Raum für Kreativität. Den wollen wir erhalten. Um ein friedliches, freiheitliches, respektvolles Miteinander zu ermöglichen.
Ihr habt vorhin geplante Schutzmechanismen zur Bewahrung der Kultur angesprochen – wie sehen die aus?
Ellen Dosch-Roeingh: Die UNESCO fragt zum Beispiel Risikofaktoren für den Fortbestand der Techno-Kultur ab. Wir haben das Thema Clubsterben aufgegriffen und analysiert. Ein Thema dabei: die Gentrifizierung.
Dr. Motte: Genau. Die vergangene und aktuelle Regierung in Berlin will starke Infrastrukturen haben. Die innerstädtische Autobahn A100 soll zum Beispiel ausgebaut werden. Mehrere Kulturorte sind deswegen gefährdet. Wenn diese Clubs aber Teil des immateriellen Kulturerbes sind, gibt uns das eine andere Verhandlungsposition, das heißt: Entweder man stoppt den Autobahnbau oder man sorgt für adäquaten Ersatz der Clubräume.
Ellen Dosch-Roeingh: Durch den Status als UNESCO-Kulturerbe bekommt das Schutzgut Kultur also eine neue Bedeutung. Bisher wurden Lärmschutz oder Denkmalschutz oft stärker gewichtet als die Kultur.
Die UNESCO ist aber weder Lärm- noch Denkmalschutzbehörde.
Ellen Dosch-Roeingh: Richtig, die UNESCO erhebt Techno aber zu einem Schutzgut. Das gibt den Kulturschaffenden in Berlin ein neues Standing in der Diskussion mit Stadt und Behörden. Damit die Anerkennung in reale Veränderungen mündet, müssen aber weitere Schritte folgen. Uns geht es darum, die Techno-Geschichte für künftige Generationen zugänglich zu machen. Sei es durch Workshops oder Ausstellungen zur Techno-Kultur, die ausgehend von ihrer afroamerikanischen Herkunft eine besondere Form in Berlin entwickelt hat.
Dr. Motte: Auch dazu braucht es Aufklärung, weil Techno nicht nur afroamerikanisch ist. Es gab schon um die Jahrhundertwende musikalische Entwicklungen, die heute in einem Laptop zugänglich sind. Durch die weitere Entwicklung der elektronischen Musikinstrumente gab es aber gerade in Deutschland viele Gruppen, die Menschen in den USA inspiriert haben, Musik zu machen. Daraus haben sich wiederum eigene Kulturen entwickelt. Unter anderem in Berlin.
Es sollen also Workshops und Ausstellungen zur Techno-Geschichte kommen. Welche weiteren Maßnahmen folgen auf die Anerkennung als UNESCO-Kulturerbe?
Ellen Dosch-Roeingh: Alles Kommende werden wir erst im Herbst ausarbeiten, weil wir in der Highend-Phase zur Vorbereitung der kommenden Rave-the-Planet-Parade sind. Allerdings wollen wir die nächsten Schritte unbedingt auch mit bestehenden Initiativen in der Stadt wie z.B. Sonar Safer Nightlife gehen. Schließlich geht es nicht darum, dass Rave The Planet alleine sagt, wo es lang geht. Wir wollen mit den Kulturinitiativen und der Stadt an Programmen arbeiten, die Kultur wahrhaftig darstellen – und zwar nicht-kommerziell.
Dr. Motte: Das betrifft auch die aktive Weitergabe des Wissens zur Berliner Technokultur. Jeder ist herzlich willkommen, daran teilzunehmen und teilzuhaben. Darum ist es im Techno nämlich immer gegangen: Es ist eine offene, interaktive und transnationale Kultur.
Ellen Dosch-Roeingh: Deshalb formuliert die UNESCO auch ganz klar, dass sie den in der Szene vorhandenen Konsum synthetischer Drogen nicht als Teil der Berliner Technokultur anerkennt. Wir sind also angehalten, weitere Aufklärungsmaßnahmen in diese Richtung durchzuführen.
Dr. Motte: Es sollte eine Pflicht werden, an jedem Clubabend auch einen Infostand einzurichten. Dazu gehören ein Awareness-Team und die Aufklärung zum Thema Drogen. Wer Ohnmachtsdrogen verabreicht, ist ausdrücklich nicht Teil unserer Kultur.