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[REWIND2023]: KitKatClub – „I am cringe, but I am free”

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Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresrückblicks REWIND2023. Alle Texte findet ihr hier.

Es waren Schlagzeilen, die fast an Satire grenzen: Während das Ermittlungsverfahren gegen Till Lindemann aufgrund von Vorwürfen „aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln” noch lief, feierte der Rammstein-Frontmann die Aftershow-Party seiner Berlin-Konzerte im Juli ausgerechnet im KitKatClub – und das wohl nicht zum ersten Mal. Der Club wand sich aus der Verantwortung, die Szene empörte sich. Doch was passierte danach?

Es ist ein Mittwochabend Ende November. Gerade haben die Türsteher:innen das schwere Eisengitter, das den Gehweg vom Innenhof des KitKatClubs trennt, zur Seite geschoben. Heute ist Symbiotikka, seit sieben Jahren die regelmäßige Mittwochsparty im KitKat. „Techno, Love, Tolerance” steht als Credo auf ihrer Instagramseite. Die lange Menschenschlange, die sich am Wochenende manchmal bis um die nächste Straßenecke erstreckt, bleibt an diesem Abend aus. Die Zugänge zu den Play-Bereichen im Keller des Clubs sind abgesperrt, der Dancefloor, der an diesem Abend von Katermukke-Chef Dirty Doering bespielt wird, ist mäßig gefüllt. Liegt es am Schneeregen? Am Mittwoch? Oder doch an den Boykottaufrufen einiger DJs, die im Juli laut wurden?

Der Eingang zum KitKatClub (Foto: Alexis Waltz)

Damals wurde bekannt, dass Till Lindemann nach seinen Berlin-Konzerten im KitKatClub feiern war. Für die Menschen, die in dem sexpositiven Kult-Club einen Saferspace zum Ausleben ihrer Kinks suchen, ein harter Schlag. „Doof gelaufen” – so die lapidare Antwort der Geschäftsführerin Kirsten Krüger auf die E-Mail einer anonymen Person, die auf Instagram öffentlich wurde. Aus dem Mailwechsel ging hervor, dass Lindemann offenbar nicht zum ersten Mal im Club gewesen sei, „oft war auch seine Tochter dabei”. Krüger betont, man wolle niemanden vorverurteilen. Auch wenn das Ermittlungsverfahren gegen Lindemann mittlerweile eingestellt wurde: Ein bitterer Nachgeschmack bleibt, wie wir schon kurz nach dem Vorfall kommentierten.

„Es gibt sicherlich Dinge, wo ich mir wünsche, dass der oder diejenige sich klarer und anders äußern sollte”, bleibt Christoph Steinweg, Gründer von Symbiotikka, darauf angesprochen eher vage. „Aber das muss jeder für sich entscheiden. Ich kann nur für uns sprechen.” Und das tat Symbiotikka: Auch wenn Lindemann nicht auf ihrer Party, sondern der Somnambul war, veröffentlichte Steinweg gemeinsam mit seiner Partnerin und Symbiotikka-Türsteherin Charlotte Lion direkt ein Video-Statement auf Instagram.

„Symbiotikka ist eine Party, die guten Techno mit sexpositiver Haltung verbindet.”

Christoph Steinweg

Für Symbiotikka steht einiges auf dem Spiel: Als Kollektiv hat man sich einen Ruf aufgebaut, der über die Grenzen Berlins hinaus strahlt. Größen wie Alle Farben und Stella Bossi haben auf Veranstaltungen von Symbiotikka gespielt, 2023 wurde man ins Amnesia auf Ibiza eingeladen. Von den elf Kollektiven, die im KitKat regelmäßig Partys veranstalten, sei man daher von dieser Art der Presse mit am meisten betroffen, sagt Steinweg: „Symbiotikka ist eine Party, die guten Techno mit sexpositiver Haltung verbindet. Aber es geht mehr als ums Feiern. Es geht auch um gesellschaftspolitische Haltung. Da kamen schon gewisse DJs auf uns zu und haben gesagt: Ganz wichtig, dass ihr euch dazu geäußert habt, sonst hätten wir unsere Bookings zurückgezogen.”

Im Statement beteuern sie, dass Lindemann auf ihren Partys keinen Einlass bekommen hätte. Den Vorfall bezeichnet Steinweg als „Fehlentscheidung” des anderen Kollektivs, für die sie nun nicht in „Sippenhaft” genommen werden wollen. Wie Krüger spricht sich auch Steinweg mit Bezug auf Lindemann gegen eine Vorverurteilung und „Lynchjustiz” aus. Er betont außerdem die Unabhängigkeit der Kollektive, die auch in puncto Awarenesspolitik individuelle Konzepte verfolgten.

Foto: Alexis Waltz

Es ist ein Argument, das vom KitKatClub in der Vergangenheit öfter vorgebracht wurde, wenn es Kritik an der Politik des Clubs gab. 2022 wurde Michael Bründel alias Captain Future für die Partyreihe Mystic Rose im KitKat gebucht. Bründel hatte während der Pandemie eine „Freedom Parade” gegen die Coronamaßnahmen initiiert und auch sonst „keine Berührungsängste mit Rechtsaußen”, wie das linke Internetportal Belltower.News in einer Recherche über den DJ schreibt. Auf die berechtigte Kritik an dieser Bookingentscheidung reagierte KitKat-Chefin Krüger mit ausweichenden Statements, das Kollektiv nahm schließlich die Schuld auf sich. Weitere Konsequenzen hatte der Vorfall nicht.

„Mir scheint es so, als werde da Verantwortung abgewälzt. Diese ganze Argumentation von ,Wir sind ja nur die Venue, jede Party ist für sich selbst verantwortlich’ geht einfach nicht – gerade, wenn man einen Sexclub leitet. Da muss es gewisse Standards geben”, kritisiert Annika. Sie arbeitet im Bereich Sex Education und in einem Berliner Laden für Fetisch- und Latexwear. Bis vor Kurzem ist sie regelmäßig ins KitKat gegangen. Seit den Vorfällen im Sommer gebe es in der BDSM-Szene viele Diskussionen, wie man mit dem Club umgehen solle.

Für Annika, die vor gut einem Jahr nach Berlin gezogen ist, war das KitKat zunächst eine Offenbarung. „Es war der erste Berliner Club, in dem ich je war. Als ich reinging und die ganzen halbnackten Menschen sah, dachte ich: ,Das ist das Coolste, was ich jemals gesehen habe!’ Menschen zu sehen, die so mutig und schamlos ihre Sexualität ausleben, war sehr befreiend für mich.”

Hat der dienstälteste Club ausgedient?

Auf dem Dancefloor des KitKats an diesem Mittwochabend kann man beobachten, dass es vielen Leuten hier genauso geht wie Annika einst. Neben den Stammgästen, die sich am Rande der Tanzfläche begrüßen, scheinen viele zum ersten Mal hier zu sein. In knappen Fetischoutfits, die einige vielleicht sogar an diesem Tag erst in Annikas Laden gekauft haben, stehen sie zunächst unschlüssig am Rand herum und halten sich etwas verschämt an ihrem Sekt auf Eis fest. „Es gibt sehr viele Touris im KitKat”, weiß Annika. „Für viele ist es die erste Begegnung mit der Kink-Szene. Ich möchte da niemanden shamen. Jeder fängt mal irgendwo an.”

Als einer der dienstältesten Berliner Clubs hat das KitKat dazu beigetragen, dass sexpositive Partys in der Mitte der Rave-Kultur angekommen sind. Fetischwear ist in Clubs mittlerweile Mainstream und zum Modestatement geworden – TikTok sei dank. Das sorgt einerseits für eine Entstigmatisierung von BDSM, für die auch Symbiotikka einsteht. Andererseits zieht es aber auch schlicht neugierige, sensationslüsterne Menschen in den Club, die keine Sensibilität für den vulnerablen Raum mitbringen. Als Verkäuferin im Latex-Shop versteht Annika ihre Arbeit daher auch als Bildungsauftrag. „Ich versuche zu erklären, warum Outfits wichtig sind: Menschen zeigen sich in diesen Spaces sehr verletzlich. Damit sich alle frei fühlen können, müssen auch alle auf demselben Level sein.”

Gerne in der Nacht aktiv: der KitKatClub (Foto: Alexis Waltz)

Immer wieder erlebe sie in ihrem Laden Männergruppen, die offensichtlich aus den falschen Gründen ins KitKat wollen: „Die kommen dann mit so einer mackerhaften Attitüde rein: ‚Ich will ins KitKat – was muss ich kaufen, um reinzukommen?’ Da bin ich echt in einem ethischen Dilemma. Weil klar, auch Männer dürfen kinky sein. Aber bei manchen denke ich mir schon: ,Wenn ich im KitKat wäre, würde ich nicht wollen, dass du da drin bist.’ Es sind Typen, die den Vibe nicht checken und einfach nur Frauen abschleppen wollen.”

„Der Moment des Skandals und des medialen Aufschreis ist vorbei. Außerdem wird es immer genug Menschen geben, die von außen in die Stadt kommen.

Annika

Womit wir wieder bei Till Lindemann wären. Im besten Fall werden diese Männer an der KitKat-Tür natürlich abgewiesen – aber das klappt nicht immer. Awareness ist für Christoph Steinweg daher wichtig. Er betont, dass man alle Gäst:innen an der Tür brieft. Symbiotikka hat außerdem seit 2019 ein Awarenessteam. Ansprechpersonen sind sichtbar mit Warnwesten im Club unterwegs. Damit waren sie eines der ersten Kollektive im KitKat.

Im Insta-Livestream erklären sie, warum dies wichtig ist. Konkrete Guidelines zu Awareness-Konzepten sucht man auf der Website des KitKat und den Kanälen von Symbiotikka aber vergeblich. Eine allgemein vorgegebene Awareness-Policy vom Club selbst gibt es nicht. Symbiotikka habe interne Richtlinien, biete regelmäßige Schulungen an und Betreuung des Teams durch Ärzt:innen und Psycholog:innen, versichert mir Steinweg. Hinweisschilder mit klaren Verhaltensregeln, wie man sie von anderen sexpositiven Partys kennt, sehe ich an diesem Abend im KitKat keine. „Es geht um Regeln unseres normalen menschlichen Anstandes und der Höflichkeit”, findet Steinweg. „Dass ich einen Menschen nicht anfasse, ohne ihn zu fragen, sollte eigentlich normal sein. Dass ich nicht in eine Interaktion eingreife, wenn jemand Sex miteinander hat, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.”

Dass dies leider oft nicht der Fall ist, zeigte sich im vergangenen Oktober. Infolge der Anschuldigungen gegen Till Lindemann teilten verschiedene Personen ihre persönlichen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen im KitKat mit Resident Advisor (GROOVE berichtete). Christoph Steinweg bedauert die Vorfälle, die auch auf seiner Party passiert sein sollen. Er fordert aber auch mehr Eigenverantwortung der Gäst:innen. Kein Club könne einen vollständigen Safespace darstellen. Die Selbstverantwortung könne nicht an der Garderobe abgegeben werden. „Die Leute zahlen den Eintritt und erwarten, die höchstmögliche Freiheit ausleben zu können. Und wenn irgendwas nicht ganz genauso läuft, wie sie es haben wollen, heißt es: Warum gibt es hier keine Schilder? Wo war das Awarenessteam? Da wird die Verantwortung weggeschoben.”

Hier stehen am Wochenende lange Schlangen, um in den KitKatClub zu kommen (Foto: Alexis Waltz)

Annika findet, dass das KitKat hinsichtlich Awareness nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist – auch wenn die Awareness Akademie nach Aussage der ClubCommission bereits mit einigen Mitarbeiter:innen und Veranstalter:innen des KitKatClub zusammengearbeitet habe. Gleichzeitig weiß Annika auch, dass es bei einem Club dieser Größe und mit einem so diversen Publikum fast unmöglich ist, in allen Ecken gleichzeitig Sicherheit zu gewähren.

Für Annika ist das KitKat dennoch ein guter Ausgangspunkt, um diese Art des Feierns kennenzulernen. Sie selbst bevorzugt mittlerweile aber andere Kollektive mit strengeren Regeln, wie Klub Verboten. Die Partyreihe aus London agiert als Members-Club mit strengen Regeln und Aufnahmecodes. In Zusammenarbeit mit anderen Kollektiven haben sie kürzlich eine Kink Coalition gegründet. Ihre Mission: Für ein größeres Verständnis der Kink-Szene zu werben, allgemeingültige Codes of Conduct für Events und Venues erarbeiten und Standards zu etablieren.

Auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen

Dem KitKatClub mag eine Pionierrolle für sexpositive Partyangebote zukommen. Der Club hat in den letzten Jahren aber viel Konkurrenz bekommen. Es ist der ewige Konflikt zwischen Freiheit und Kontrolle, Hedonismus und Sicherheit. „Ich würde gerne ein Diagramm der Berliner Sexclubs zeichnen”, so Annika. „Auf einer Achse gibt es freiheitlich versus autoritär. Auf der anderen bildungsmäßig versus hedonistisch. Das KitKat wäre definitiv im Quadranten, freiheitlich-hedonistisch’. Und ich finde, es braucht diese Spaces unbedingt. Nicht jede Person möchte direkt zu einem BDSM-Event mit extrem strengen Verhaltensregeln.” Annikas Einschätzung entspricht auch dem Selbstverständnis, das der KitKatClub auf seiner Webseite darstellt: „Der KitKatClub war, ist und bleibt hedonistisch, natürlich, bunt, lebendig, musikalisch & kinky! Einfach Raum zum frei sein!” (sic!)

Foto: Alexis Waltz

Dieses Gefühl der Freiheit wurde für viele durch den Einlass von Till Lindemann in diesen Ort und den lapidaren Umgang des Clubs mit der Kritik nachhaltig erschüttert. Es scheint, als würde sich der Club auf seiner Vorreiterrolle und den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Annika glaubt trotzdem nicht, dass der Boykott-Aufruf dem KitKat auf lange Sicht schaden wird. „Der Moment des Skandals und des medialen Aufschreis ist vorbei. Außerdem wird es immer genug Menschen geben, die von außen in die Stadt kommen. Die wissen entweder nichts von den Vorfällen oder es ist ihnen egal. Die sind für ein Wochenende in Berlin – und die werden hingehen.” Auch Christoph Steinweg bestätigt, dass er insgesamt keine Auswirkungen der Vorfälle auf seine Partys spüre: „Von den Auswirkungen eines Boykotts kann man nicht sprechen. Ich finde es wichtig, dass es einen öffentlichen Diskurs gibt. Aber es war eigentlich so, dass in den Wochen danach sogar mehr Leute da waren als vorher.”

Das übertriebene Coolness-Diktat vieler anderer Berliner Clubs gilt im KitKat definitiv nicht. Und man muss zugeben: Es hat durchaus etwas Befreiendes.

Aber was macht den Laden so anziehend, dass Leute bereit sind, über all die problematischen Seiten so bereitwillig hinwegzusehen? „Ich weiß nicht, was es ist, aber das KitKat zieht die Leute in ihren Bann”, sagt Annika. „Und das, obwohl vieles daran ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint – die Webseite sieht aus wie von 1997, die generelle Club-Ästhetik ist ein bisschen cringe. Aber vielleicht ist es genau dieses Gefühl von ,I am cringe, but I am free.’”

Touris kommen mit dem Taxi ins KitKat (Foto: Alexis Waltz)

Der Strom neugieriger Tourist:innen wird so schnell jedenfalls nicht abreißen. Und auch innerhalb der Berliner Kink-Szene scheint die Diskussion bereits abzuebben. Der Spruch, dass es keine schlechte Presse gibt, scheint auf das KitKat zuzutreffen. Gegen ein Uhr morgens hat sich der Dancefloor an diesem Mittwochabend dann doch noch erstaunlich gut gefüllt. Eine Performerin stripteaset im kinky Pailettenoutfit auf dem Podest. Ein Mann mit Kapitänsmütze und Glitzer im Gesicht erinnert an Bar-25-Hochzeiten. Neonfarbene Tribalmuster leuchten im Schwarzlicht von den Wänden und den mit Bodypaint verzierten Körpern.

Das übertriebene Coolness-Diktat vieler anderer Berliner Clubs gilt im KitKat definitiv nicht. Und man muss zugeben: Es hat durchaus etwas Befreiendes. Dirty Doering droppt einen trancigen Faithless-Edit. „I can’t get no sleep”. Etwas peinlich berührt lächeln meine Begleiter:innen und ich uns auf dem Dancefloor an. Dann stürmen wir in die erste Reihe und lassen uns einfach mitreißen.

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