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Leif Randt und Werner Amann: Science-Fiction der Gegenwart (GESTERN MORGEN 2)

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30 Jahre alte Momentaufnahmen, deren Zeitlosigkeit erschrecken lässt  – oder deutsche Techno-Folklore, als Kunstbuch gebunden fürs Wohnzimmer? Im zweiten Teil der Kolumne GESTERN MORGEN blättert GROOVE-Autor Simon Popp durch den Fotoband Kein Morgen von Werner Amann und spricht mit dem Co-Autor Leif Randt.

1990 ist von 2023 so weit entfernt wie von 1957, 33 Jahre, ein Dritteljahrhundert. Vor wenigen Monaten erschien im Leipziger Kunstbuchverlag Spector Books der Bildband Kein Morgen vom Fotografen Werner Amann, er zeigt: Neunzigerfotos. Also Paraden, Clubszenen, Schwitzende, das neue Berlin, Ausflüge nach New York, Deutschland im Sommer. Und immer mal ein bekanntes Gesicht wie das von Rainald Goetz oder Jeff Mills.

Die Fotos an sich sind alt, eigentlich sehr alt, und dennoch öffnet man das Buch und weiß wieder irgendwas mehr. Eine neue Geschichte nicht gerade, im Gegenteil: Das Spannende an dem Band ist die Sensation des Vertrauten. Hier läuft eine hundertmal erzählte Geschichte noch einmal runter, nur minimal neu fokussiert: die Fotografien sind klar, hell ausgeleuchtet und wirken im Gegensatz zum Abgebildeten irgendwie leise und nüchtern. Aber diese Gesichter und Orte sind bekannt, die Farben, die Architekturen. Denn das Erzählen und das Dokumentieren der Neunziger ist zu einer langen Tradition, fast einem eigenen publizistischen Genre geworden in der german speaking world. Mit ihren bekannten frühen Höhepunkten, in Foto wohl: Wolfgang Tillmans, in Text ziemlich sicher: Goetz. War da nicht eigentlich alles schon gesagt, was man auch hier wieder bejaht?

Das ist das Interessante und gleichzeitig die Schwäche dieses Buches. Warum, fragt man sich, schaut man dieser vergangenen Gegenwart und schon präzise auserzählter Geschichte auch diesmal wieder aufgeschlossen hinterher? Und warum, zweitens, bringt ein Verlag diese tollen, aber völlig unaktuellen Porträt- und Momentaufnahmen jetzt noch einmal in diese Form? Nämlich schick gebunden, umschlagen von einem silbernen Plastikpolster, das angenehm nach Billig-Luftmatratze und Sommer riecht und das Buch zu einem etwas zu schönen, beinahe prolligen Gegenstand macht.

Und wären da nicht die Texte vom Co-Autor des Buches, dem Schriftsteller Leif Randt, man würde vielleicht wirklich irgendwann skeptisch werden. Aber in den zwölf Anekdoten und Kleinformat-Fiktionen, die im Buch gestreut sind, sind die Brüche, Widersprüche und die Skepsis untergebracht, die es braucht, wenn man historische Euphorie und Gegenwart nacherzählen und noch einmal als toll verkaufen möchte. „Man dürfe ruhig mal mit dem Mythos um die Neunziger aufräumen”, heißt es direkt, und einmal, gewaltig: „Gerne würden wir dem Futurismus dieser musealen Vergangenheit nachjagen.”

Per E-Mail erreiche ich Leif Randt im Mai 2023 und frage nach, was das Projekt Kein Morgen, das zunächst anders heißen sollte, wirklich ausmacht.

GROOVE: Deine Texte, in der Gegenwart aufgeschrieben, stehen neben teils 30 Jahre alten Fotos – die allerdings kaum antiquiert, sondern selbst erstaunlich gegenwärtig wirken. Viele dieser Menschen könnten dir genauso heute begegnen. Neben anderem habe ich mich gefragt, ob das wirklich nur „Zeitlosigkeit” ist. Wie sind diese Texte überhaupt entstanden?

Leif Randt: Im Mai 2022 hat mich Werner Amann angeschrieben und mir eine Auswahl seiner Neunziger-Partyfotos gezeigt, aus denen bald ein Buch werden sollte. Ich war in den Neunzigern noch zu jung, um wirklich auszugehen, aber die Fotos haben mir extrem gut gefallen. Sie stimmten mich quasi stellvertretend nostalgisch und erinnerten mich gleichzeitig an heute. Ich hatte die Idee, dass ich am liebsten viele kleine Texte über das Buch verteilen möchte, und dann habe ich angefangen zu sammeln: Mini-Anekdoten, Dialoge, lose Assoziationen, oder auch ganz schlichte Sätze über die Welt auf den Fotos: „Das vorwiegend junge Publikum befindet sich hier auf Dancefloors, auf denen noch nicht einmal SMS geschrieben werden konnten.” In Rücksprache mit Werner, den ich während längerer Telefonate nun langsam kennenlernte, wurde es dann eine Auswahl von zwölf kurzen Texten.

Während die Bilder eine sehr klare Sprache sprechen, zumindest mir durch eine gewisse Eindeutigkeit, Widerspruchslosigkeit auffallen, sind die Brüche und Ecken eher in deinen kurzen Texten untergebracht. Da heißt es in einer SMS zum Beispiel, mit dem Neunziger-Mythos gehöre aufgeräumt. Was ist dieser Mythos, was gehört aufgeräumt?

Das Zitat stammt fast wörtlich aus der iMessage eines befreundeten DJs, der die Neunziger zumindest in der zweiten Hälfte noch aktiv mitgemacht haben müsste. Je älter man wird, desto skeptischer wird man vielleicht gegenüber eigener Nostalgie. Man sollte seinen Erinnerungen nicht komplett trauen. Für mich persönlich, der ich nicht dabei gewesen bin, hat der Neunziger-Mythos aber durchaus seine Berechtigung. In dieser Zeit war gerade etwas völlig Neues und Radikales entstanden und ist dann in den Mainstream hinein explodiert. Eine vergleichbare kulturelle Euphorie habe ich in den beiden Jahrzehnten danach nicht miterlebt. Wirklich neu waren in den Zweitausendern und Zehnern nur Technologien wie das Web 2.0 oder das Smartphone. Dinge, die das Leben zwar verändert, die aber nur bedingt euphorisiert haben.

In einem weiteren Text heißt es, dass „sich die elektronische Musik in Schleifen wiederholt und trotzdem entwickelt.” Unabhängig davon, wer dieses Ich ist, das spricht: Was sind das für sich entwickelnde Schleifen?

Der Erzähler ist in diesem Text etwas gekränkt, da er insgeheim fühlt, dass die schwäbischen Damen auch einen Punkt haben, wenn sie darüber lachen, dass man im Jahr 2011 in Berlin noch immer auf Techno ausgeht — schließlich hatten sie das ja schon in den Neunzigern gemacht. House und Techno dominieren das Berliner Nachtleben jetzt seit 30 Jahren. Warum ist nie mehr etwas vergleichbar Großes dazugekommen? Das Lachen der schwäbischen Damen war natürlich trotzdem borniert. So, wie wenn 40-Jährige heute sagen würden: „Ach, ihr benutzt immer noch dieses Internet! Das haben wir doch schon 2006 benutzt!” Das Internet hat sich seit 2006 stark verändert, und die elektronische Musik seit den Neunzigern auch.

Nicht zuletzt ist diese Kolumne hier entstanden, um ein bisschen Kritik und Klarheit in das zu bringen, was ich als eine gewisse Musealisierung und Märchenbildung rund um das „Kulturgut Techno” beobachte – das ja zu einem beliebten Motiv der deutschen publizierenden Öffentlichkeit wurde, speziell im letzten Jahrzehnt. In deinen Zeilen lese ich da auch eine gewisse Awareness diesen Phänomenen gegenüber. Wie beobachtest du die große deutsche Technoerzählung?

Mir schien die Musealisierung letztes Jahr auf dem Peak. Ein Techno-Museum in Frankfurt, rückblickende Dokumentationen im TV, Clubinstitutionen, die es fast unverändert seit 20 Jahren gibt, Jubiläen und Altstars überall. Was mal eine Art provokanter Aufbruch war, hat jetzt eine irre lange Tradition. Ich dachte in Momenten, vielleicht verabschieden wir uns gerade kollektiv von Techno, und Kein Morgen, das erst Future Dance heißen sollte, passte in dieses Sentiment. Werner sagte kurz vor Weihnachten beim Ausgehen zu mir, dass er eigentlich immer versucht hat, eine Science-Fiction der Gegenwart zu fotografieren, und vielleicht wirken seine Fotos aus den Neunzigern auch deshalb so aktuell. Er hat intuitiv diejenigen fotografiert, die ihrer Zeit vielleicht einen Tick voraus waren oder einen besonders starken Future-Spirit ausstrahlten. Im Buch steht der etwas gespreizte Satz: „Viel zu gerne würden wir dem Futurismus dieser musealen Vergangenheit nachjagen.” Glücklicherweise fühlt sich elektronische Musik in den besten Moment weiterhin futuristisch an, retro-futuristisch vielleicht, denn die Musik ist jetzt schon lange da, aber ich bin froh, dass es sie gibt.

Ich habe bisher einen weiteren Text von dir gelesen, den Roman Allegro Pastell von 2020. Da geht es teils relativ genau um Techno-Gegenwart. Wenn ich mich richtig erinnere, geht es unter anderem ins :// about blank, außerdem taucht Gerd Janson auf, der schließlich auf einer Hochzeit spielt. Was verbindet dich und deine Arbeit mit „der Szene”?

Im Buch gib es eine längere Szene, die auf einer Cocktail d’Amore in der alten Griessmuehle spielt, das Robert Johnson in Offenbach kommt vor, die Reihe Trade im OHM wird erwähnt und ein Gespräch zwischen Tanja und ihrer Freundin Amelie findet in der Panorama Bar statt, während The Blessed Madonna spielt, die seinerzeit noch Black Madonna hieß. Ich habe in dem Roman viele meiner eigenen Hobbys auf die Figuren übertragen, das Badmintonspielen genauso wie das Ausgehen. Diese Hobbys wiederum beeinflussen mein Schreiben. Während futuristische Musik läuft, kommt es zu urlaubsmäßigen Smalltalks ebenso wie zu pathetischen Realtalks. Man hat plötzlich wahnsinnig viel Zeit, und idealerweise entsteht dabei die perfekte Mischung aus Stumpfsinn und Einsicht.

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