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Am Start: Viikatory

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Seit 2021 peitscht der Sound der Belarussin Viikatory zwischen Electro und Techno mit hohem Tempo über Dancefloors in Europa. Aus Warschau, wo Viktoryia Karelaya inzwischen lebt, reichen ihre Kontakte vom Australier Jensen Interceptor über das Berliner Kollektiv Raiders nach Hamburg bis zu DJ Mell G.

Auf deren Label Juicy Gang Records erschien im März Viikatorys EP It’s All About The Cosmic Stuff. Unser Autor Fabian Starting hat mit ihr über die Kindheit in Minsk, 1000 Leute auf dem Fusion-Floor und ihre Model-Vergangenheit gesprochen.

Pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt verwandelt sich die dunkle Kachel auf dem Bildschirm in einen Videofeed. Eine zierliche Person mit Pagenschnitt blickt in die Kamera. Viikatory und ich lachen, als wir realisieren, dass wir beide, ein paar Kilometer voneinander entfernt, in Berlin vor dem Laptop sitzen. Denn eigentlich stammt die DJ und Producerin aus Minsk und lebt inzwischen in Warschau. In der deutschen Hauptstadt sei sie trotzdem oft, schließlich legt sie in Berlin von ://about blank über RSO und Berghain bis hin zum Tresor in vielen Clubs auf.

Viikatory – bürgerlicher Name: Viktoryia Karelaya (Foto: Presse)

„Eigentlich hätte ich nie DJ und Produzentin werden sollen”, sagt Viktoryia, die mich bittet, sie einfach nur Vika zu nennen. Als Model bereist sie Mitte der Zehnerjahre die Welt, steht in Hongkong, den USA und in Europa vor der Kamera. Nach fünf Jahren im Modegeschäft langweilt sie die Branche. 2019 beginnt sie, sich mit Musikproduktion auseinanderzusetzen. Viele Techniken habe sie sich selbst beigebracht. Ein älterer DJ und Produzent mit mehr als 20 Jahren Erfahrung habe ihr dann geholfen, Tools wie Compression richtig anzuwenden. In ihrer Heimat, der belarussischen Hauptstadt Minsk, macht Vika bald ihre ersten Erfahrungen als DJ.

„Mir hat die Corona-Zeit geholfen.”

Viikatory

Als sie 2020 ihre ersten öffentlichen Gigs spielt, steht die Welt still – eigentlich, denn Belarus gehört zu den wenigen Ländern, in denen es erst spät zu Kontaktverboten und Lockdowns kommt. „Wir feierten Partys, konnten arbeiten gehen und Bars besuchen. Das war lange komplett anders als im restlichen Europa”, schildert Vika die damalige Situation in ihrer Heimat. Erst als sie in der Ukraine spielen soll, bekommt sie die Absagen und Clubschließungen mit. Dann fährt auch Belarus das öffentliche Leben runter. Trotzdem denkt Vika heute positiv an diese Phase zurück. „Mir hat die Corona-Zeit geholfen”, sagt sie. „Ich konnte mich auf meine Produktionen konzentrieren und meine Karriere beim richtigen Label beginnen.”

Das richtige Label ist International Chrome von Mikey Melas alias Jensen Interceptor. Der Kontakt kommt über einen wertschätzenden Kommentar zustande, Vika schreibt ihm über die Socials, dass sie seine Musik gut findet, und erwähnt, dass sie selbst an Beats bastelt. Melas ist interessiert, Vika schickt ihm ihre erste eigene Produktion. Er sei begeistert gewesen, sagt sie. „Mikey meinte aber, ich solle noch weiter an meinen Fähigkeiten und Tracks arbeiten. Innerhalb eines halben Jahres habe ich ihm dann zehn Stücke geschickt.” Eines wird zu ihrer ersten Veröffentlichung: „Space Syncopation” erscheint auf einer Compilation-EP neben Tracks von Jadzia, Cyan85 und Leshutler.

Viikatory (Foto: Presse)

Von der Musikschule zu The Prodigy

Viikatorys Sound baut von Anfang an auf Breakbeat-Elemente, dazu sprenkelt sie gerne Acid-Akzente ein, die die Produktionen melodisch öffnen. Etwas, das sie auf ihre Kindheit zurückführen kann. Früher habe sie Akkordeon gespielt, gibt Vika etwas schüchtern zu. Neun Jahre lang war sie an einer Musikschule und bekam Nachmittagsunterricht. Diese formelle Ausbildung helfe ihr jetzt beim Produzieren, sagt sie. „Am Akkordeon habe ich jene Harmonien gelernt, die ich jetzt in meinen Produktionen verwende.”

Aus ihrer Jugend stamme außerdem die Begeisterung für elektronische Musik. Zum Unverständnis ihrer Familie hört Vika früh Bands wie The Prodigy. Zu den britischen Rave-Granden fand sie zufällig. Sie habe schon immer neue Musik gesucht, erklärt Vika – nach Musik als Soundtrack für den Alltag, der sie beim Spielen, Sport und anderen Aktivitäten begleitet. Irgendwann waren The Prodigy dabei und begeisterten sie durch ihre Beats, die bei ihr unbekannte Gefühle weckten. Das Interesse für elektronische Musik im Allgemeinen war geboren – im Gegensatz zu Vikas Schwester, die mit diesem Musikgeschmack nichts anfangen könne. „Ihr ist das zu heavy, aber ich mochte immer schon Broken Beats. Als ich schließlich mit dem Auflegen angefangen habe, habe ich die Songs gespielt, die bei mir schon mit 15 gelaufen sind.”

„Als ich mit dem Auflegen angefangen habe, habe ich die Songs gespielt, die bei mir schon mit 15 gelaufen sind.”

Viikatory

Inspirieren lasse sie sich beim Wühlen in Plattenläden oder im Internet. „Zu Hause setze ich mich mit einem Kaffee hin und höre mich durch Kataloge der Künstler:innen und Veröffentlichungen der Labels”, so Vika. Wenn die Inspiration dann da sei, könne sie in kurzer Zeit mehrere Songs fertigstellen. „Da formt sich etwas in mir, und das muss dann raus.”

Ihre Tracks produziert Vika aktuell am Laptop, mit Studio-tauglichen Kopfhörern und Speakern. „Der Sound ist wirklich gut”, sagt sie. Das Digitale klinge teilweise besser als die Synthesizer und Hardware-Geräte, von denen sie zwar ein paar besitze, etwa Korg Polysix, Yamaha DX7, auch eine MPC1000, aber „diese Teile meines Equipments stehen noch in Minsk.”

Das Artwork von Viikatorys letzter EP – It’s All About The Cosmic Stuff (Foto: Juicy Gang Records)

Wohnort: Warschau; ich bin auch häufig in Berlin

Dein erster richtiger Gig: 2019, mit Freunden war ich Teil der Party 1-2-3-4. Ziemlich aufregend, denn es waren so 500 Leute da.

Seit wann am Produzieren: 2019.

Was darf auf deinem Hospitality Rider nicht fehlen: Late Check-out im Hotel. Ich fühle mich elend, wenn ich nicht noch etwas schlafen kann, bevor ich weitermuss.

Diesen Track höre ich in letzter Zeit gerne:Breathe One Two” von Credit 00 – ein noch unveröffentlichter Track, der über Mechatronica erscheinen wird. Ich höre den schon seit drei Tagen. Ein Banger, den ich gerne auch in meinem Set spielen würde.

Egal ob in der belarussischen Hauptstadt, in Warschau oder Berlin – den kreativen Prozess teilt Vika immer gern. Gerade die Zusammenarbeit mit Jensen Interceptor bereite ihr große Freude. Das gemeinsame Arbeiten an Tracks mache Vika aber generell Spaß – vorausgesetzt, es gibt ein Verständnis füreinander. Letzten November sei sie zum Beispiel mit Oswaldo Rodriguez alias Manao im Studio gewesen. Das Ergebnis, eine Platte, wird demnächst erscheinen.

Für Vika sind aber nicht nur Duo-Kollaborationen interessant. Als sie bei ihrem letzten Berlin-Besuch ihre Freund:innen vom Kollektiv Raiders getroffen hat, habe man sogar zu fünft produziert. „Wir fangen immer mit dem Beat an, und dann schlage ich beispielsweise vor, noch eine Harmonie hinzuzufügen. Die anderen bauen dann vielleicht mehr Drums ein. Wir sind da in einem konstanten Prozess.” In zwei Stunden sei so ein Track entstanden.

Es sei ein Prozess, der ihre Inspiration hochhält. „Nur an den eigenen Sachen zu arbeiten, wird irgendwann langweilig”, gibt Vika offenherzig zu. Teilweise arbeitet sie deshalb auch an Remixen für andere Künstler:innen. Werde sie dafür angefragt, sei das schmeichelhaft. Sie nehme das Angebot aber nur an, wenn sie das Gefühl hat, dem Track noch etwas hinzufügen zu können.

Die Crowd als Reiseführer

Als DJ gefällt Vika vor allem das Reisen. „Es geht nicht bloß darum, in den Club zu kommen und zu spielen. Man lernt neue Leute kennen und sieht neue Orte. Außerdem verrate das Publikum in den Clubs viel über lokale Gepflogenheiten. Mehr, als es jeder Reiseführer zu erklären vermöge, so Vika. „In Berlin mögen die Leute hauptsächlich Techno oder Dub-Electro mit hoher BPM-Zahl. In Rotterdam genießen die Leute Electro. Ich habe da ein komplettes Set mit Electro gespielt, und das gefiel dann auch mir”, beschreibt Vika ihre Beobachtungen.

Für ihre Sets verlässt sich Vika auf ihren breiten Musikgeschmack. „Ich habe dutzende Ordner mit verschiedenster Musik. Oft beginne ich mit Electro, und wenn sich das nicht verfängt, wechsle ich zum Beispiel zu Techno oder probiere etwas anderes.” Dabei geht Vika nicht planlos vor, sondern lässt sich von der aktuellen Situation beeinflussen, nimmt die Gegebenheit in ihre grobe Set-Planung mit auf.

Viikatory (Foto: Presse)

Ihr bisheriges Highlight sei ihr Gig beim Fusion Festival in diesem Jahr gewesen. „Das war eine unglaubliche Erfahrung”, berichtet Vika aufgekratzt. „Ich habe einen Floor bespielt, auf dem bestimmt 1000 Menschen oder mehr waren. So was hatte ich bisher noch nicht.” Denn vor einem Auftritt sei nie klar, wie viele Menschen tatsächlich da sind und wie viele auf den Dancefloor kommen. „Wenn ich um acht Uhr morgens einen Slot bekomme, kann ich nicht mit 150 BPM loslegen – ich passe mich den Partys an”, so Vika.

„Ich habe einen Floor bespielt, auf dem bestimmt 1000 Menschen oder mehr waren. So was hatte ich bisher noch nicht.”

Viikatory

Ihre DJ-Karriere begann sie auf CDJs, inzwischen tastet sich Vika langsam an das Auflegen mit Plattenspielern heran. „In letzter Zeit habe ich mit Vinyl geübt. Bisher habe ich Platten aber nur privat gesammelt. Da sind alte Goa-Sachen dabei, Trance, Psytrance und auch Techno. Diese Platten möchte ich demnächst im Club spielen.” Und irgendwann plant sie, mit Ableton zu experimentieren, um mit Modularsystemen ihre Produktionen live zu spielen.

Eines ihrer näheren Vorhaben sei es aber, Warm-up-Sets zu spielen. Schließlich legt Vika aktuell vor allem zur späten Stunde auf, wenn die meisten schon gelöst auf der Tanzfläche stehen. Ein ausverkaufter Club sei natürlich für jeden DJ schön, sagt sie. Gerade auch, weil sie verwaiste Dancefloors schon mal als persönlichen Fehler verstehe. Trotzdem will sie auch früher auflegen und den Leuten damit einen Vibe für den Abend mitgeben.

Tageslicht und Wohnungsmarkt

Nach ihren weiteren Zukunftsplänen gefragt, zeigt sich Vika sympathisch bodenständig. Viele ihrer Ziele habe sie mittelfristig schon erreicht. So erzählt sie stolz, Anschluss bei Mechatronica gefunden zu haben. Mit ihren Bookings möchte sie außerdem ein Stück von der Welt sehen. Vika verlangt von ihrer Agentur, sie früh in den jeweiligen Städten unterzubringen, damit sie die Orte auch bei Tageslicht genießen kann.

Viikatory (Foto: Presse)

Aktuell strebt Viikatory eine permanente Aufenthaltsgenehmigung in der EU an. Denn als Belarussin hat sie keinen Pass für den Schengen-Raum. Mit dem Aufenthaltstitel könnte sie Europa einfacher bereisen – wichtig, um als DJ zu arbeiten. Außerdem ist sie in die polnische Hauptstadt Warschau verliebt und schätzt dort vor allem die kleinen Cafés mit ihren Desserts.

Sollte Viikatory ihre Aufenthaltsgenehmigung bekommen, könne sie sich aber auch vorstellen, nach Berlin zu ziehen. Abschrecken würde sie nur der Wohnungsmarkt. So hat Vika zwar schon begonnen, sich nach einer Bleibe umzuschauen, finden konnte sie bisher aber noch nichts Passendes. Etwas, das sich mit jedem weiteren Hauptstadt-Gig ändern könnte.

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