Einfach nur ein gutes Jazzalbum, nicht unbedingt elektronisch, aber strukturell gefühlt schon ein wenig, nicht extrem edgy und experimentell, aber doch auch, nicht unbedingt nahe an Ambient, aber gefühlt eben doch? Das US-amerikanische Improv-Duo Salenta + Topu aus der Pianistin Salenta De Badisdenne und des Cellisten Topu Lyo führt auf dem nun auf Vinyl erschienenen Album Moon Set, Moon Rise (Futura Resistenza, 23. Mai) Stücke zusammen, die, in pandemischer Isolation geschrieben, doch alle von Gemeinschaft und menschlicher Interaktion erzählen, die karg und grenztonal sind und doch warm und umarmend, lebensbejahend, ja, vielleicht sogar heilend. Schon lange keine so gute Jazz-Platte gehört. Andrew Pekler ist schon Fan.
Außerhalb von Kanada wurde Ben Gunning nie zu einem Markennamen, der unmittelbares Wiedererkennen auslöst. Erstaunlich eigentlich, wo er doch seit den frühen Neunzigern aktiv in den Indie-Szenen von Montreal und Toronto immer eine Rolle gespielt hat. Ein ausladendes Electronica-Pop-Album wie No Magic Hand (Halocline Trance, 21. Juli) kommt nach all den Jahren dann aber doch überraschend. Gleichzeitig gekonnt experimentell und gediegen gereifter Elektropop, Amateur-R’n’B mit Knarzbässen und Eigenbau-Trip-Hop mit dekonstruiertem Big-Band-Jazz – was hier alles ohne Mühe und ohne Höranstrengung zusammenkommt, lässt sich kaum aufzählen.
Weißte nämlich Bescheid: die drei Chicago-Klassiker Douglas McCombs, Bill MacKay und Charles Rumback alias Black Duck machen auf Black Duck (Thrill Jockey, 23. Juni) klassischen instrumentalen Chicago-Postrock im klassischen Chicago-Trioformat – und in stellarer Qualität, selbstredend. Viel mehr gibt es dazu tatsächlich nicht zu sagen, außer vielleicht, dass die Platte 20 oder 30 Jahre nach dem Chicago-Indierock-Boom immer noch (oder gerade wieder) total Sinn macht. Eben weil sie sich fast gänzlich unelektronisch produziert neben und gegen jede Art von Trend stellt. Also keine zeitlose Musik, sondern eine, die zu jeder Zeit gebraucht wird.
Aus der Zeit gefallen und doch dringend notwendig im Heute, das gilt für The National Jazz Trio Of Scotland ebenfalls immer. Das langlebige Projekt um Avantgarde-Außenseiter Bill Wells, das meistens kein Trio ist und selten bis nie Jazz spielt, aber immerhin aus Falkirk und Glasgow, Schottland kommt, besteht in der jüngsten Ausformung auf Standards Vol. VI (Karaoke Kalk, 30. Juni) aus Wells und Viola-Virtuosin und Sängerin Aby Vulliamy. Sie spielen fluffigsten, federleichten, traurigen Folk-Pop und dürfen daher auf gänzlich unironische Weise, voll un-meta die Bee Gees, Beatles oder Burt Bacharach covern. Wie gesagt, völlig aus der Zeit gefallen und immer toll.
Hibbeliger, semiakustischer Klapper-Jazz mit einem pfeifenden (!) Keyboarder als Hauptstimme? Ja, das geht, und das ist so abgefahren und so völlig normal, dass es auf paradoxe oder gar dialektische Weise so jenseits von jedem ist, aber eben auch endlos cool, weil es sich garantiert nicht um Coolness schert. The Titillators aus Toronto ziehen auf That’s The Thing (Noodle Factory, 7. Juli, Vinyl im Oktober via TAR/MM/UOH) jedenfalls komplett ihr Ding durch. Das erzeugt ohne Rücksicht auf Verluste instant Gude Laune.
In die richtigen Zeiten gefallen, wieder herausgefallen, immer das Richtige gemacht, und immer noch eigenwillig und immer noch da. Der Spoken-Word-Drone-Pop der Berliner Weltbürger und Metropolen-Inspiranten hackedepicciotto, deren unendlich einflussreiche, wenn nicht sogar superpopuläre Projekte von den Genialen Dilletanten der Mauerstadt-Achtziger über die Loveparade bis hin zum Ocean Club reichen. Ein neues Album ist daher eine ausgemacht gute Sache, die Songtracks auf Keepsakes (Mute, 28. Juli) klingen jedenfalls wieder etwas mehr nach den halbelektronischen Anfängen im Experiment und in Alt-Country und Rockbands. Immer wieder erstaunlich, wie jung im Kopf und jugendlich im Fühlen die Musik von Alexander Hacke und Danielle de Picciotto doch wirkt.