Für ihre modularen Synthesizer bekäme man einen Kleinwagen, im Berghain ist sie Resident. Die Berliner DJ und Producerin JakoJako hat den Dub-Dancefloor mit Rødhåd vertont und für Bigamo einen Deep-Listening-Trip produziert. Manch verkabelte Seele schätzt sie außerdem als Spezialistin beim ikonischen Berliner Synthesizerhändler SchneidersLaden.
Mit ihrem Signing bei Mute, dem Label von Daniel Miller, hat sich der Fokus von JakoJako allerdings verlagert. Inzwischen klackert sie öfter im Club mit den Klinkenkabeln als in der Kreuzberger Synthesizer-Institution. Warum sie sich den Mitarbeiterrabatt zukünftig ohne Verpflichtung abholen wird und weshalb sie vielleicht ADHS hat, erzählte sie GROOVE-Autor Christoph Benkeser.
JakoJako sitzt in ihrem Schlafzimmer-Studio und grinst in die Handykamera. „Ey, sorry für die Verspätung, ich war so into was anderes” – im Hintergrund blinkt ihr Modularsystem, als hätte ich sie gerade auf frischer Tat ertappt – „ich hab’ echt die Zeit vercheckt.” Eigentlich sollte ich mit Sibel Koçer, wie JakoJako eigentlich heißt, schon vor einer Stunde quatschen. Jetzt bekomme ich eine verspätete Zimmertour des Berghain-Residents: Der Raum huscht wie eine wandelnde Wandtapete über den Bildschirm, während sich Koçer nervös im Bürostuhl dreht. Bunte Patchkabel, blinkende Maschinen, ein gemachtes Bett, noch mehr Kabel, Lautsprecher, an den Wänden zwei Bilder – auf einem erkenne ich eine Frau, die in einer Badewanne liegt, während ihr Fuß über die Kante ragt.
Koçer hüstelt in ihre vorgehaltene Hand. „Meine Stimme ist zum Glück wieder da”, sagt die Produzentin und lächelt den Struggle der letzten Tage weg. Dafür muss man wissen: Sie war krank, wir mussten das Gespräch verschieben. „Damit ich nicht nur rumkrächze wie sonst was”, sagt sie und lehnt ihren Arm, mit dem sie das Handy hält, auf der Stuhlkante ab. Koçer spricht in schnellen, abgehackten Sätzen. Einzelne Worte sprudeln aus ihr heraus – meistens sind es Herstellernamen von Modulen, die sie in ihrem Eurorack, dem Synthesizer-Baukasten hinter ihr, verbaut hat. Sie hat nicht nur viel Ahnung von Modulargeräten, sie spricht auch gerne darüber.
„Zum Glück hat niemand die Frikadellen ausgepackt.”
Am vorherigen Wochenende hat Koçer ihren Maschinenpark für einen Gig aufs österreichischee Elevate Festival geschleppt. „Blöderweise konnte ich danach nur drei Stunden schlafen, weil ich von Graz nach Wien musste, um zurück nach Berlin zu fliegen.” Dort wartete bereits das Taxi, daraufhin die Klubnacht, dann: vier Stunden Bouncen im Berghain zum Vier-Uhr-Tee. „Das Set hab ich übrigens im Flixbus vorbereitet”, so Koçer. „Zum Glück hat niemand die Frikadellen ausgepackt.”
Dass sie nach ihrem Gig noch ein paar Stunden – „vielleicht waren es auch ein paar mehr” – auf dem Dancefloor verbracht hat, habe ihrer Verkühlung – „surprise!” – nicht gutgetan: „Am Montag hatte ich keine Stimme, am Dienstag lag ich flach. Jetzt musste ich die Woche über viel Arbeit aufholen, deshalb bin ich ein bisschen drüber. Aber, hey: Was für ein wildes Leben!”
Mit Metamorphose veröffentliche JakoJako im letzten Jahr ihr erstes Soloalbum auf Bigamo, dem Label von Frank Wiedemann. Es ist ein Synthesizer-Trip, für den man keine Ahnung vom Kabel-Chaos haben muss, der für die Entstehung des Albums nötig war. Drones schmirgeln sich unter zwitschernde Arpeggios. Die Melodien flüstern von schönen Dingen im Leben. Wer der Platte lauscht, spart sich den 10er-Block im Yogastudio – und neigt dazu, das Jahresgehalt in analogen Schaltkreisen zu verlöten.
Es ist eine Platte, die den musikalischen Horizont von JakoJako abbildet, ohne dafür einen Beat zu verschwenden. „Natürlich habe ich auch schon Sachen releast, für die ich nicht mehr stehe”, sagt Koçer. „Allerdings findet man die zum Glück nicht so einfach.” Mittlerweile veröffentliche sie nur noch, was sie in ihren DJ-Sets spielen würde. Das reiche von verträumtem Ambient wie auf ihrem Soloalbum bis hin zu Broken-Bangern wie auf In Vere, der Kollabo mit Rødhåd. Es könne aber auch stumpfer, meditativer Techno sein. „Weil das für mich zusammengehört, mach’ ich alles unter JakoJako. Nur Big-Room-Sachen vermeid’ ich.”
Vom Krankenhaus in die Frickler-Szene
Zum Produzieren kommt Koçer, nachdem sie Mitte der Zehnerjahre nach Berlin gezogen ist. Sie sei allein in die Stadt gekommen, habe kaum jemanden gekannt, aber durch ihr Interesse für elektronische Musik bald neue Leute kennengelernt. „Neben meiner damaligen Wohnung stand das Künstlerhaus Neu West, irgendwas zwischen feiner Galerie und Squad. Es war jeden Tag was los, alle haben geilen Scheiß gemacht – Holzskulpturen, Gemälde, Konzerte, Contemporary Dance, Restaurant, Studio R, Techno.”
Ihre Nächte verbringt Koçer entweder im Neu West oder im Krankenhaus, wo sie ein paar Mal die Woche als Nachtschwester arbeitet. Während die Patient:innen am Beatmungsgerät hängen, zieht sie sich in den Pausen Tutorials rein. Eine Story, die sie bereits 500.000 Menschen auf YouTube erzählt hat. Spannender ist es, nach dem Grund für ihr Synthesizer-Interesse zu fragen. Wer sich einmal an einem dieser blinkenden Kabelkästen probiert hat, weiß schließlich: Einfach ist die Sache nicht. Zugänglich noch weniger. Um einen halbwegs passablen Sound aus den Schaltkreisen zu patchen, braucht man viel Kohle und noch mehr Geduld.
Sicher sei sie nicht, getestet habe sie sich auch noch nie, aber eine Freundin, die an der Charité arbeite, meinte zuletzt, na ja, es könne schon sein, dass sie ADHS habe, sprudelt es aus Koçer heraus. Ihr Stuhl beginnt sich wieder wie ein Karussell zu drehen. „Wahrscheinlich kann ich deshalb viele Sachen im Leben komplett ausblenden – auch solche, die wichtig wären.” Für eine Sekunde denke ich an das verpennte Interview, dann sehe ich in ihrem Vorbeidrehen das Blinken der Knöpfe. Sie sagt: „Wenn mich was interessiert, hat das immer Vorrang.”
Vielleicht habe sie die Frickler-Szene deshalb immer spannend gefunden. Nette, harmlose Typen seien da unterwegs, sagt Koçer. Solche, die einem helfen, weil sie sich für die Sache interessierten. „Bei DJs oder Producern, die mit Ableton arbeiten, hab’ ich zwar auch viel gelernt. Wollte ich was genauer wissen, ging das aber schnell in Richtung Flirt.” Koçer verdreht die Augen, als wollte sie dadurch unterstreichen, wie anstrengend sie diese Anmache empfand. „Deshalb war ich lieber bei den Nerds. Da ging es asexuell zu. Schließlich stand die Liebe zu den Synthesizern im Vordergrund.”
Dass sie sich mittlerweile selbst als Nerd bezeichnet, lässt sich bis zu einem Besuch im Elektrogeschäft zurückverfolgen. Vor ein paar Jahren kauft sie sich ein Löt-Set von Conrad Electronic. Sie beginnt, einfache Schaltpläne für Synthesizer nachzubauen, und merkt schnell: Das Interesse übersteigt ihre Fähigkeiten. Daraufhin bewirbt sie sich für ein Praktikum bei Schneidersladen, dem Berliner Bällebad für Eurorack-Enthusiast:innen. Auf ihre erste Anfrage bekommt sie eine Absage. Erst als sie den Inhaber, Andreas Schneider, zufällig beim Posterkleben trifft – „Ey, du bist doch Schneider!” – steht sie am nächsten Tag im Schauraum. Der modulare Traum nimmt Form an.
„Den guten Kaffee werd ich ihnen weiterhin wegtrinken.”
Fast forward to 2023: Bei SchneidersLaden hat Koçer vor Kurzem gekündigt. Über die letzten Jahre hat sie sich in dem Geschäft am Kottbusser Tor zwar einen Namen als Spezialistin gemacht, außerdem war Schneider ihr Verbindungsstück zu ersten Veröffentlichungen auf Labels wie Leisure System – vielleicht hätte Sam Barker ohne die gemeinsame Schauraum-Bekanntschaft sonst nie ihre Soundcloud-Page entdeckt. Allerdings habe sich der Fokus verschoben. „Ich hab’ meine Arbeitszeit immer stärker reduziert, weil ich öfter als JakoJako unterwegs bin. Am Schluss war ich nur noch einen Tag in der Woche im Laden, aber selbst das hab ich manchmal nicht auf die Kette bekommen. Manchmal hab’ ich es vergessen, ein anderes Mal bin ich zu spät gekommen oder war verkatert”, so Koçer.
Den Mitarbeiterrabatt hole sie sich zukünftig trotzdem ab. „Und den guten Kaffee werd’ ich ihnen auch weiterhin wegtrinken.” Die Producerin grinst wie ein Kind am letzten Schultag. „Außerdem komm’ ich vorbei, wenn ich mich zu Hause einsam fühle. Dann nutz’ ich den Laden als shared office – nur ohne Verpflichtung.” Auf dem Display beginnt sich Koçers Zimmer wieder zu drehen: Kabel, Bett, Bild, Kabel, Bett, Kabel, Bild. Ich merke: Immer wenn sie über ein Thema besonders gerne spricht, kreiselt ihr Bürostuhl – häufig im Uhrzeigersinn, manchmal dagegen, als würde sie ihre Begeisterung durch Bewegung ausdrücken. „Weißt du, ich konnte in dem Laden über all die Zeit so viel lernen. Der Vibe war einfach gut. Man führt Einfache-Männer-Gespräche, das hat immer gepasst!”
Sie stoppt das Kreiseln abrupt, weil sie erahnt, dass ich nachfrage: „Einfache Männer-Gespräche?” Sie greift nach einem gelben Patchkabel, das auf dem Tisch liegt. „Wie soll ich es sagen: Ich war dort vergleichsweise Anti-Kiffer und habe weibliche Energie reingebracht. In meiner Zeit bei Schneider hat sich nämlich keine weitere Frau beworben – obwohl er sogar in den U-Bahnen aktiv für die Ausbildung wirbt. Mit Frauen-Workshops arbeiten wir zwar dafür – es gibt aber weniger Frauen als Männer, die sich für modulare Synthesizer interessieren.”
Wieso das so sei? „Ich weiß es nicht”, sagt Koçer. „Mich hat es immer interessiert. Es ist so ähnlich wie Kochen! Willst du zum Beispiel dieses geile marokkanische Gericht nachmachen, das du so gut fandest, kannst du dazu ein Video-Tutorial suchen. Du könntest aber auch im Gewürzladen fragen – oder dir ein Buch holen, in dem das Rezept drinsteht.” Für einen Augenblick friert das Bild ein, ich bin mir nicht sicher, ob es an der Verbindung liegt oder sie extra eine Kunstpause macht. „Den Aufwand betreibst du aber nur, wenn es dich wirklich interessiert.” Das „wirklich” zieht sie fast so lange wie eine ihrer dronigen Flächen. „Mich hat mal Sport interessiert, ich male immer noch gern – aber es hat nie so weit geführt wie die Musik.”
Mit Miller zu Mute
Dass sie mit Verve gerade ihre erste EP via Mute veröffentlicht hat, unterstreicht Koçers Erfolg. Auf dem Label, das Daniel Miller 1978 gegründet hat, veröffentlichen Künstler:innen wie Depeche Mode oder Erasure, zuletzt erschienen auch Alben von HAAi oder Pole. Die Veröffentlichung von JakoJakos Debüt-EP hat Miller persönlich eingeleitet. „Wir kannten uns vom Sehen in SchneidersLaden”, so Sibel. „Allerdings wusste er nicht, dass ich Mucke mach’. Umgekehrt hatte ich keine Ahnung, was er genau macht. Für mich war er der Opi, der im Schauraum geile Textures patcht.”
Als Miller in den Laden kommt, um eines seiner Module zu updaten, tüftelt Koçer mit ihm einen Nachmittag lang herum. „Irgendwer dürfte ihm danach gesteckt haben, wer ich bin und was ich mach’. Jedenfalls hat er später im Laden angerufen und gefragt, ob er mit JakoJako sprechen könnte. Ich dachte, mein Kollege verarscht mich – schließlich hat mich Daniel davor immer mit meinem Vornamen angesprochen.” Sie sei dann doch zum Telefon – es habe sich tatsächlich Daniel Miller gemeldet. „Er wollte, dass ich für sein Label einen Remix von New Order produziere. Ich kannte die natürlich, trotzdem hab ich mir in dem Moment gedacht: Wer ist nochmal New Order?”
Zwei Sekunden habe es gedauert, nachdem sie aufgelegt hatte, dann sei ihr eingefallen: „Krass, das waren die mit ‚Blue Monday’!” Koçer strahlt und scheint den Moment noch einmal zu durchleben. Der Tag sei dann richtig gut geworden, sagt sie und stellt das Handy auf den Tisch vor ihr. Noch besser sollte er eine Woche später werden: In SchneidersLaden läutet neuerlich das Telefon, Koçer wird wieder verlangt. Am anderen Ende der Leitung: keine üblichen Fragen zu Modulen, sondern der Manager von Martin Gore, Frontman von Depeche Mode.
Er habe mit Miller gesprochen und wolle auch einen Remix für seine Band, ob das ginge? „Ja, natürlich”, sagt Sibel, als wolle sie in dem Moment mir antworten. „Anscheinend kam das gut, jedenfalls hat sich Mute daraufhin offiziell bei mir gemeldet. Sie wollten eine Platte machen, sprachen aber immer von NovaMute, dem Sublabel. Ich kannte dort die Sachen von Speedy J und Plastikman – deshalb hab’ ich Ideen für eine Techno-Platte gesammelt.”
Sie habe sich das „straighte Techno-Ding” extra aufgespart, sagt Koçer. Auf Leisure System, wo 2018 ihr Debüt erschien, habe sie gewusst: „Da gehen keine geraden Sachen, es muss mehr UK-ravy sein!” Für NovaMute habe sie anders, weniger gebrochen, nach vorne produziert. Als Daniel Miller die Tracks schließlich abspielt, entscheidet er sich anders. „Das muss auf Mute rauskommen”, habe er zu ihr gesagt. „Ich war nur so: ‚Whoaa!’”
„Ich kauf nicht, weil ich sammeln, sondern spielen will.”
Ihr Techno wolle in dunkle Räume, schreibt GROOVE-Autor Michael Leuffen über JakoJakos Verve. „Aber nicht allein, um Menschen tanzen zu lassen.” Die Musik evoziere Bilder, in der sich Exzess in eine heilsame Entität verwandle. Die „Verwandlung” ist das Stichwort, auch wenn Koçer „Metamorphose” oder „Neogenese” dazu sagt. Es sind Begriffe aus der Biologie, die sie in ihr Gefühlsleben überträgt: „Ich hab’ eine initiale Idee, die ich aus einer Emotion in Musik zu transferieren versuche. Danach wird die Musik zum Objekt, bis sie jemand hört, mit seinen eigenen Gefühlen vermischt und für sich interpretiert”, sagt sie- „Weit entfernt von meinem Ausgangsgedanken entwickelt sich etwas Neues. Das find’ ich schön.”
Alles ist im Fluss – immer, überall. Das mag als Kalender-Sprüchlein für esoterische Naturwissenschaftler:innen durchgehen, passt aber noch besser zur Arbeit JakoJakos. Ihr Leben hat sich verändert. Ihre Musik auch. Das Sinnbild dieser „Metamorphose” lässt sich am besten an ihrem Lieblingsinstrument verfolgen. Auf Modulargrid, der Online-Database für modulare Synthesizer, zeigt JakoJako ihr aktuelles Set-up. 25 Module hängen in ihrem Rack, knapp 5.000 Euro müsste man dafür ohne Mitarbeiterrabatt verschneidern. Viel Geld, natürlich, aber fokussiert eingesetzt, wie Koçer meint. „Ich kauf’ sie schließlich nicht, weil ich sammeln, sondern spielen will. Deshalb passt sich der Organismus laufend an.”
Das Modularsystem sei ihr „Ruhepol”, sagt sie. Wenn sie an den Knöpfen drehe, die Lichter sehe oder Kabel patche, beruhige sie das. „Ich kann fünf, sechs Stunden auf einem Stuhl sitzen, weil ich mit der Musik auf ein Ziel hinarbeite. Das war davor unmöglich.” Ihr Bürostuhl dreht sich jetzt langsamer. Zoom zählt die Sekunden unserer Session runter. Als der Bildschirm schwarz wird, habe ich das Gefühl, dass alles gesagt wurde. „Sorry für den Stress”, schreibt mir Sibel Koçer drei Minuten später in einer E-Mail. Ich stell mir vor, wie sie vor ihrem blinkenden Maschinenpark sitzt und an den Knöpfen dreht – mit Verve, In Vere.