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Anetha: Mit Vision die Zukunft gestalten

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Als DJ, Produzentin und Label-Mutter von Mama told ya führt Anetha Dancefloor-tauglichen Techno in eine zukunftsweisende Richtung. Ihre Sets und avantgardistischen Eigenkompositionen fusionieren dabei Elemente aus Techno und Psytrance. Anetha, die eigentlich Anna Moreau heißt, ist außerdem zentrale Figur des Labels und der musikalischen Denkfabrik Mama told ya, die sie mit einer feinfühligen Vision formt. Dort darf alles neu gedacht, geremixt und wiederaufbereitet werden, wodurch ein musikalischer Stilpluralismus entsteht, der der vielschichtigen Moderne mit mehreren Antwortmöglichkeiten begegnet.

GROOVE-Autor Vincent Frisch hat Anetha zum Gespräch getroffen und traf auf eine Künstlerin mit offener und zugleich nachdenklicher Art. Die beiden thematisierten Anethas Werdegang, ihr Label und ihre erst vor Kurzem gegründete Booking-Agentur Mama loves ya. Außerdem erklärte sie, wie immersive Partys in der Zukunft aussehen könnten.

International bekannt wurde Anetha 2018 mit einem Set bei Boiler Room, das viral ging. Als Resident-DJ des Pariser Kollektivs Blocaus hatte sie mit „Acid Train” bereits ihren ersten Hit gelandet. Zu diesem Zeitpunkt spielte die DJ eine Mischung aus Acid, Techno und altem sowie neuem Trance auf einem für damalige Verhältnisse ravigen Tempo. Das erste Mal live erlebte ich Anetha zu Neujahr 2020 in der alten Griessmühle, kurz nach dem Start ihres Labels Mama told ya. Gerade war die erste EP Don’t rush to grow up veröffentlicht, die sie mit dem Kopenhagener Künstler Sugar und dem Franzosen ABSL produzierte. 

Damals hatte die Kopenhagener Szene großen Einfluss auf Techno. DJs wie Anetha, Courtesy oder Mama Snake sorgten dafür, dass Trance zu Tränen auf dem Dancefloor führte. Dass Anetha ihr Griessmühlen-Set damals mit Humates „Love Stimulation” in der Version von Kay Cee abschloss, überraschte: Euphorisiert hüpften wir ins nächste Jahr, dann kam Corona. Während der Pandemie erscheinen auf Mama Told Ya noch zwei weitere EPs und die erste Compilation mit einer klanglichen Diversität, wie sie bis zu diesem Zeitpunkt in der Szene kaum vorgekommen ist.

Don’t rush to grow up

Aufgewachsen ist Anetha in einem behüteten Elternhaus im südfranzösischen Bordeaux. Musik sei schon früh Bestandteil ihres Lebens gewesen. Ihre Eltern haben sie in die elektronischen Klangwelten von Kraftwerk, Front 242 oder The Cure eingeführt. In ihren Jugendjahren sei Anetha bei Auftritten von Paul Kalkbrenner oder Miss Kittin gewesen. In Bordeaux genoss sie dagegen die Nähe zur Natur – insbesondere zum Meer. Anetha habe viel Sport gemacht und begonnen zu zeichnen. Schließlich sei sie bei Graffiti gelandet. Außerdem habe sie ein Interesse für verrückte Outfits entwickelt – „um möglichst anders zu sein als alle anderen.”

Nach ihrem Architekturstudium in Bordeaux und Paris zog Anetha nach London. „Ich brauchte eine Pause und Abstand, wollte neue Menschen kennenlernen und mein Englisch verbessern”, sagt sie. Außerdem habe sie zu dieser Zeit schon öfter in Paris aufgelegt und dachte, der Umzug könnte helfen, an einen internationalen Gig zu kommen.

Anetha wollte schon immer anders sein (Foto: Maud Rallière)

In London spielte Anetha bald in den Corsica Studios. Trotzdem zog sie zurück nach Paris, wo sie Teil des Kollektivs Blocaus wurde. Diese Zeit habe das Fundament für ihre spätere Karriere gelegt, betont sie. Sie habe die richtigen Menschen kennengelernt, im Concrete gefeiert und dort schließlich aufgelegt. Dadurch konnte Anetha international auf sich aufmerksam machen: 2017 spielte sie das erste Mal im Berghain. Anetha knüpfte Kontakte zur Triangle Agency, ihrer späteren Agentur. Mit der Geburt ihrer Tochter zogen Anetha und ihr Partner wieder zurück in das ruhigere Bordeaux.

„Natürlich macht es Spaß, vor 10.000 Leuten zu spielen.”

Inzwischen weiß Anetha, wie wichtig es war, ihre Karriere langsam aufgebaut zu haben. „Ich verstehe, was auf welchen Bühnen wie ankommt und kann damit umgehen.” Den Künstler:innen ihrer Booking-Agentur Mama loves ya erkläre sie deshalb, dass ein organisches Wachstum der Schlüssel für eine lange Karriere ist: „Wenn du einmal bei Awakenings gespielt hast, kannst du nicht mehr zurück und in nischigen, kleinen Clubs auflegen.” Deswegen verfolge Moreau mit ihrem Team eine konsequente strategische Planung, bei der jedem Gig eine Bedeutung in der Karrierelaufbahn zukommt.

Moreau sagt, dass sie es immer noch am meisten liebe, in Clubs wie dem Berghain oder dem Bassiani zu spielen: „Wenn du zu sehr in den Mainstream rückst, verlierst du diese Verbindung, und dann würde ich den Spaß und den Grund, warum ich auflege, verlieren. Aber natürlich macht es auch Spaß, vor 10.000 Leuten zu spielen. Das ist schon eine tolle Erfahrung. Wenn wir dabei den Hauptgrund, das Tanzen und Teilen von Momenten nicht aus den Augen verlieren, spricht für mich nichts dagegen.”

Hard work always pays off

Mit ihrem 2019 gestarteten Label Mama told ya setzt Moreau der Schwarz-Weiß-Ästhetik des Techno etwas entgegen und gibt einer neuen Generation von Produzent:innen eine Plattform. Neben der Musik kommt dem visuellen Erscheinungsbild ebenso große Bedeutung zu. Auf den EPs prangen kindliche Motive. Auch im Musikvideo zum Track „Candy from Strangers” spielen Kinder die Hauptrolle. Anetha habe sich dafür entschieden, weil Kinder für sie das verkörpern, was ein jeder und eine jede auf dem Dancefloor finden könne: „Das pure Erlebnis ohne Probleme, Grenzen und Filter, die wir uns über die Zeit aneignen.” Der Name des Labels stelle deshalb die Figur der Mutter in den Vordergrund. Außerdem schwinge bei Mama told ya die Idee einer Familie mit, in der unterschiedliche Charaktere willkommen sind.

Anetha (Foto: Maud Rallière)

Die Idee einer Familie werde auch in den Titeln der EPs aufgegriffen, mit denen die jeweiligen Produzent:innen Lebensratschläge von Freund:innen oder ihrer Familie teilen. Die Compilations – Anetha lädt aufstrebende und bereits erfolgreiche Artists ein – verfolgten dagegen einen eklektischen Ansatz. Sie seien minimalistischer gestaltet und stünden nicht in Zusammenhang mit den EPs. Vielmehr fordere Anetha die Künstler:innen auf, Clubmusik zu produzieren, die außerhalb ihrer Komfortzone liegt. Meistens stehe deshalb ein bestimmtes Element im Fokus. Auf L’eau repousse les feux agressifs spielt beispielsweise das Element Wasser visuell und auditiv eine zentrale Rolle. Für das Video zu Anethas „Free Britney” taucht man in eine 3D-Unterwasserwelt ein. Außerdem lässt sich Wasserrauschen an vielen Stellen auf der Compilation erahnen.

Zukünftig wolle Moreau noch mehr mit anderen Kunstformen und immersiven Elementen arbeiten, die die Live-Performance unterstützen. „Ich vermisse den visuellen Aspekt in unserer Szene, obwohl es diesbezüglich sehr viele Möglichkeiten gibt. Das Draaimolen ist auf diesem Gebiet federführend. Eines meiner zukünftigen Ziele ist es, vermehrt auf interdisziplinäre Ansätze zu setzen.” Labelintern berate man momentan, wie es möglich wäre, mehr Musik zu veröffentlichen. Schließlich erreiche Mama told ya jede Woche eine zweistellige Anzahl an Demos. „Davon treffen rund 80 Prozent unseren Vibe”, so Anetha. „Deshalb denken wir darüber nach, ein neues Label zu starten und vielleicht nur digital zu veröffentlichen – auch aus Nachhaltigkeitsaspekten.”

Rules are meant to be broken

Mittlerweile kooperiert Anetha oft mit anderen Produzent:innen. Sie habe für mich sich gemerkt, dass es sehr egoistisch ist, nur die eigenen Projekte voranzutreiben. Zuletzt erschien daher ein Track, den sie mit ABSL aus Nantes produzierte. Jede:r Produzent:in habe einen eigenen Stil und eine Vision, führt sie weiter aus. In der Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen lerne man auch viel über sich selbst. Einer ihrer Stärken sei, zu wissen, wann ein Track fertig ist: „Viele Künstler:innen schichten Spuren über Spuren. Ich verfolge eher den Ansatz, dass weniger mehr ist.”

Hier steht Anetha allein, auf ihren Tracks wirken aber oft mehrere Producer:innen mit (Foto: Maud Rallière)

Auf die Frage, welchen Einfluss die Kopenhagener Technoszene auf sie hatte, entgegnet Anetha, dass diese die Erste gewesen sei, die neue Türen öffnete. „Produzenten wie Sugar oder Schacke haben viel Neues eingebracht. Ihr Sound ist bunt, verspielt, frisch, minimalistisch und gleichzeitig überhaupt nicht hart”, so Anetha. „Als ich zum ersten Mal Niki Istrefis Track „Red Armor” im Berghain in einem Set von Courtesy hörte, war ich sehr beeindruckt, und er ist immer noch einer meiner Lieblingstracks.”

Changes are natural

Auch Frankreich habe schon immer eine spannende Technoszene gehabt, so Anetha. Diese sei jedoch lange unterschätzt worden. Neben den allseits bekannten Possession-Partys haben sich zuletzt viele spannende Kollektive gegründet. Dass Anetha nicht mehr mit Possession zusammenarbeitet, sie war eine Zeit lang Resident der Reihe, habe andere Gründe. „Sie wurden zu schnell bekannt, es ging nur noch um Geld. Der Respekt gegenüber den Künstler:innen hat gefehlt”, sagt die DJ. Gleichzeitig betont sie, dass Possession eine schroffe Ästhetik mit- und einen coolen Vibe in die Pariser Szene gebracht habe.

Wie sich Szenen und Städte verändern, so hat sich über die Zeit hat sich auch Anethas Sound verändert. Spielte sie früher vermehrt Acid und Härteres, legt sie heute schneller, verspielter und genreübergreifender auf. „Einmal habe ich auf einem Festival gespielt, wo sehr harter Techno aufgelegt wurde. Das hat überhaupt nicht zu meiner Stimmung an diesem Tag gepasst. Also beschloss ich, so verrückt wie möglich aufzulegen, auch wenn ich damit den Floor leerspielen würde. Das ist dann auch passiert.”

(Foto: Maud Rallière)

Will man tiefer in die Ästhetik eines DJ-Sets von Anetha eindringen, bietet das auf Arte gestreamte Set vom Peacock Society Festival eine Möglichkeit. Mit Leichtigkeit wechselt Anetha zwischen Genres und Stimmungen: „Das habe ich schon immer so gemacht, weil ich es liebe, verschiedene Aspekte und Stile der elektronischen Musik zu zeigen.” Bei ihren Sets wisse sie oft nur den ersten und letzten Track. „Dazwischen mag ich es, mich mit neuen Tracks herauszufordern und auch mal in unangenehme Situationen zu begeben.” Einmal habe sich deshalb ein älterer Techno-Künstler während ihres Sets bei ihr beschwert. „Er meinte, dass ich zu schnell spiele”, erzählt Anetha amüsiert. „Ich entgegnete, dass es zwar schnell, jedoch nicht hart sei, und meinte, dass ich einen seiner Tracks auf 150 BPM spielen würde. Es war James Ruskin. Ich bin ein großer Fan seiner Produktionen.”

Vor jedem Wochenende nimmt sich Moreau Zeit, um nach neuen Tracks zu suchen. Dabei begibt sie sich gerne in die Endlosschleifen von Bandcamp, Soundcloud und Youtube. Jüngeren, ihr nahestehenden Künstler:innen versuche sie außerdem aufzuzeigen, wie wichtig es sei, neue Tracks zu finden, um nicht das zu spielen, was alle anderen spielen: „Ich versuche, sie dazu zu bewegen, ihre eigenen Wege zu diggen und eigene Kanäle zu finden und nicht einfach nur Podcasts zu hören.” Natürlich würde das Publikum auch erwarten, dass sie bekanntere Tracks spiele. Das mache sie aber nicht mehr so häufig wie früher.

Popularity is overrated

Im Jahr vor der Pandemie hat Moreau fast 100 Gigs auf der ganzen Welt gespielt. Sie sei knapp vor einem Burnout gewesen, sagt die DJ. Anschließend habe sich das Team um Anetha überlegt, wie es anders weitergehen könnte. „Ich habe gelernt, angebotene Gigs auch mal abzusagen. Gerade spiele ich zwei Gigs pro Woche, wobei ich versuche, an einem Wochenende in einem Land zu spielen und dabei in verschiedenen Venues aufzulegen.” Außerdem habe sie einen Eco-Rider, versuche vegetarisch zu leben und mit der Bahn zu Gigs zu reisen. Ein Hindernis auf dem Weg, CO2-freundlicher zu werden, sei der weit verbreitete City-Bann, der DJs davon abhalte, mehrmals im gleichen Zeitraum in einer Stadt oder einem Land zu spielen.

 „Ich habe gelernt, angebotene Gigs auch mal abzusagen.”

Der verkleinerte Tourkalender bot Raum für ein neues Projekt: 2020 gründete Anetha zusätzlich zum Label die Künstler:innenagentur Mama loves ya mit den Künstlern UFO95 and ABSL. Heute gehören auch Mac Declos, Alex Wilcox, Less Distress und Vel zum Roster. Ziel sei es, die Künstler:innen mit allem zu versorgen: Booking, Management und Kommunikation. Außerdem liegt der Fokus auf möglichst nachhaltigem Touren.

Use your difference to make a difference

Wir kommen auf die Zukunft von Techno zu sprechen. Anna meint, dass immersive Partys auf uns zukommen, auf denen die einzelnen Sinne noch mehr zu einer neuen, ganzheitlichen Erfahrung verschmelzen. „Heute gibt es schon spannende neue Erfindungen wie den Subpac”, so Anetha und meint damit eine Art Weste, die die Musik direkt auf den Körper übertragen soll. „Das könnte uns Musik neu erleben lassen. „Aber auch die visuelle Seite wird sich weiterentwickeln. Gerade arbeiten wir mit einer Kopenhagener Crew zusammen, die an einem Produkt arbeitet, mithilfe dessen Tänzer:innen Live-Visuals erzeugen können.” Bei all dem sei sie sich nicht sicher, ob DJs zukünftig überhaupt noch an den Plattenspielern stehen würden, das sei dann vielleicht eher oldschool.

(Foto: Maud Ralliere)

Anetha steht der Zukunft von Techno aber nicht nur positiv gegenüber. Gerade drängten immer mehr DJs in die Szene, ohne neue Qualität mitzubringen. Techno rücke zunehmend in den Mainstream und erfahre ein hohes Interesse aus der Modewelt sowie von großen Firmen, die sich in Spielorte und Festivals einkaufen. Dass auch Moreau mit Modelabels zusammenarbeitet, sieht sie als Teil ihrer Identität. Schließlich achte sie darauf, nur mit  Marken zu kooperieren, deren Werte sie unterstützt. „Außerdem miete ich die Outfits für meine Gigs von einer Stylistin. Das ist ein Weg, um nachhaltiger zu sein.”

Obwohl Anetha heute zu den gefragtesten Künstler:innen der Szene zählt, ist ihr bewusst, wie schnell sie von der Bildfläche verschwinden kann: „Man muss sich damit auseinandersetzen, was danach kommt – gerade in der heutigen Zeit, in der alles so schnell und verrückt zugeht.” Sie versuche deshalb, Mama told ya permanent weiterzuentwickeln und musikalisch neue Wege einzuschlagen. Auf die Frage, was sie von der Darstellung der Techno-Szene auf Tiktok halte, entgegnet Anetha: „Tiktok hat einen Meme-Charakter, Instagram hingegen wirkt auf mich ästhetischer. Vielleicht bin ich aber auch zu alt, um das bewerten zu können.”

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