Actress – Dummy Corporation (Ninja Tune)
Mit mittlerweile unverkennbarer Methodik und präziser Subtilität bringt Actress’ musikalische Texturenarbeit abermals meisterhaft poetische Irrfahrten hervor. Seine erste Soloveröffentlichung seit Karma & Desire heißt Dummy Corporation und steht ganz im Zeichen der idiosynkratischen Klangsignatur des Londoners. Vier originäre Musikstücke und zwei Edits verleihen der EP eine Spielzeit von fast 48 Minuten.
Ohne Umschweife geht’s im titelgebenden Opener über 18 Minuten lang hinab in nieselnde Leere, durch unzählige Schichten eines tiefen Klangnebels. Träumerisch und schwer umhüllen tiefe, dunkle Vorhänge, hinter denen Entsetzliches lauert – oder ist das bloß Einbildung? Sobald man sich auch nur leicht nähert, zieht sich alles zurück. Das Technoide verblasst in dieser starken, surrealistischen Atmosphäre zur hintergründigen, unwesentlichen Formgebung. Und auch die in der zweiten Tiefschlafphase des Tracks wesentlichen Bassarpeggios werden schnell in Schlummer gehüllt und können die bereits weit zurückliegende Realität nicht mehr einholen.
Mit ebenso magisch-verträumter Grundstimmung, aber etwas klassischer strukturiert setzt „Futur Spehr (Techno Version)” die unheimliche Reise in abgegrenzterem Rahmen fort. Wobei an den Rändern der sich vermengenden Texturen stets die reine Durchlässigkeit, der freie Fall lauert. In „Fragments of a Butterfly’s Face” gesellen sich beinahe klarsichtige Akzente hinzu. Der klangliche Gesamteindruck ist aber keineswegs eindimensional. Vielmehr klingt das nach schön-kaputtem Underground: knisternd, ausgedünnt-zersetzt, bröckelnd. In „Dream” wandelt sich der mäandernde Schlummer des Anfangs zu einem technoiden Klartraum. Statt diffusem Ausgeliefertsein darf man sich nun aktiv fallenlassen: stimulierend, schnell, hypnotisch. Am ehesten der Clubtrack der EP.
Mit Edits von „Fragments of a Butterfly’s Face” und „Dream” endet die EP, wobei vor allem der erste Edit interessante Variationen des Materials bringt. Als Ganzes nicht ganz rund, aber die einzelnen Stücke sind, wie vom Londoner Ausnahmeproduzenten gewohnt, von hoher Qualität und behutsamer Tiefe. Moritz Hoffmann
Alexander Robotnick – Problèmes d’Amour (Hot Elephant Music)
Alexander Robotnick atmet Negroni, dreht sich wie Discokugeln in den Achtzigern und steht seit 40 Jahren für Italo-Vibes auf dem Dancefloor. Was soll also schiefgehen, wenn sich Carl Craig und Moodymann an seinem „Kulttrack” (© Wikipedia) vergreifen. Nix. Die Scheibe ist Gold. Man schmiert sich Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 80 ins Gesicht, wenn man „Problèmes d’Amour” aufdreht, weil: Der Track schreit nach Sommerstyles unterm Heizschwammerl. Ich warte nur drauf, dass jemand das Teil in Steve Monites „Only You” mischt – Ehre und Erbschaft der- oder demjenigen!
Ach ja, dass Kenny Dixon Jr. alias mighty Moodymann mit seinem Edit ebenso wenig ankokeln lässt wie Carl Craig, der einen „One more Time”-mäßigen Neun-Minuten-Tanker aus der Originalversion zwirbelt, hebt uns nicht mehr aus den Birkenstocksandalen. Man muss sich nur vorstellen, wie Craig seinen All-time-Drop verschleppt, um den Bänger nach langem Warten mit einem fetten Grinsen wieder reinzudrehen. Priceless! Cool also, dass Robotnick die Tracks samt Stanley-Kubrick’schem Match-Cut-Moment auf seinem eigenen Label Hot Elephant Music für die Vinylnerds konserviert. Christoph Benkeser
Benedikt Frey – 1987 (R.i.O.)
Benedikt Freys zweites (Mini)Album – fünf Jahre nach seinem Debüt Artificial auf ESP Institute – kommt in Form einer Mini-LP, diesmal auf dem eigenen Label R.i.O. Darauf zu finden sind sechs Tracks, die es wahrlich in sich haben, die sich düster und tief ins Innerste der Hörerin einfurchen. Früher hätte man den Stil vielleicht Trip-Hop geschimpft, spielt sich hier doch alles zwischen 80 und 100 BPM ab, sind die Rhythmen eher gebrochen denn gerade. Doch damit täte man der Musik Unrecht. Vielmehr handelt es sich um eine zutiefst bewusstseinserweiternde Melange.
Psychedelic-Rock, umgedacht in die Techno- und Bass-Musik-Ästhetik des Jetzt (eines Jetzt, dessen Dystopie, gemäß dem Albeninfotext, im Jahr 1987 begann – daher der Titel), dann per Bio-Chemika auf niedrigste Pulszahl heruntergerendert. Herauskommt ein magisches Stück Musik, ein 27-minütiger hypnotischer Strudel, verhallt und verrauscht, dem man sich nicht zu entziehen vermag. Mini in Form, maximal in Wirkung. Tim Lorenz
Chaos In the CBD – Intimate Fantasy EP (In Dust We Trust)
Kaum ein Produktions-Duo kann solch einen makellosen Katalog vorweisen wie die Brüder Ben und Louis Helliker-Hales alias Chaos In The CBD. Sie stehen für stilsicheren House, ohne jemals abgehoben oder austauschbar zu wirken. Dabei helfen ihnen perfekt gesamplete Drums und Mut zu langen Laufzeiten, die den Stücken genug Zeit zur Entfaltung geben.
Ihre neueste EP Intimate Fantasy für das seit 2017 betriebene Label In Dust We Trust versprüht zurückgelehnte Balearic-Vibes mit sonnengetränkter Romantik. Genau das Richtige für immer kürzer werdende Tage. Der Titeltrack glänzt demnach mit kosmischen Gitarren-Licks, butterweichen Drums und sanften Pads – ein weicher, einnehmender Groove, der auch nach acht Minuten noch gut reingeht. Auf der Flip ergeben gedämpfte Chords, ein kraftvoll rollender Beat und simple Piano-Akzente eine geschmackvolle Housenummer, die sich für einen Lichtblick zu jedem Moment der Nacht eignet. Leopold Hutter
Robag Wruhme – Speicher 123 (Kompakt/ Speicher)
Kompakts Speicher-Serie ist den großen Geschützen vorbehalten und eigentlich scheint ein Feingeist wie Robag Wruhme da nicht unbedingt ins Bild zu passen. Speicher 123 ist allerdings schon sein dritter Beitrag für das Sublabel in genauso vielen Jahren – vielleicht hat Gabor Schablitzki also die Pandemie über seinen inneren Bigroom-Crowdpleaser entdeckt.
Gestichel beiseite: Selbst auf einem vergleichsweise muskulösen und aggressiven Backbeat wie dem von „Fire” kann Schablitzki seine Kernkompetenzen ausspielen, Simplizität und Komplexität ebenso miteinander verschränken, wie er aus disparaten musikalischen Elementen atmosphärische Kippbilder schaffen kann. Das Stück hätte auch vor 20 Jahren auf International Deejay Gigolo erscheinen können, trüge es nicht diese unterschwellige Melancholie in sich.
„Un-spoke-en” holt statt der Electro-Peitsche den Techno-Wumms raus und zeigt sich ebenso reduktionistisch wie fokussiert: Gäbe es nicht nicht den fast schon humorigen Breakdown mit irrlichterndem Bassgeplärre und hauchigen Vocals, hätte es vor gut zehn Jahren auf Ostgut Ton nicht fehl am Platz gewirkt. Dienstleistungs-Techno, sicherlich – aber mit Charakter. Kristoffer Cornils