burger
burger
burger

Die Platten der Woche mit Cinthie, Leo Anibaldi, Surgeons Girl und Yazzus

Cinthie – Light A Fire EP (Aus Music)

Mit sonnigen, über schwingendem Rhythmus schwebenden Akkorden eröffnet Cinthies „Light A Fire” ihre gleichnamige neue EP auf Aus Music – ein wohliger Feel-Good-Housetrack, perfekt geeignet für die lauen Morgen eines schwindenden Sommers. Der zweite Track dagegen, „Keeping Strong”, trägt mit energetischen Früh-Neunziger-Stabs tiefer in die Nacht hinein. Noch deeper dann das abschließende „Everything”. Warme Chords und eine analog-runde Kickdrum, die gleichzeitig die Bassline bildet, treiben in einen hypnotischen Sog, dem man sich nur zu gerne hingibt. Dazu epische Piano-Breaks, die vom verhallten „Everything that I need”-Vocal akzentuiert werden: Das ist wirklich alles, was man für den perfekten Housetrack benötigt. Konservativ? Sicherlich. Aber eben auch funktional like hell. Tim Lorenz

Cinthie – Light A Fire EP (Aus Music)

Leo Anibaldi – Classics EP (Vargmal)

Luke auf und Leiter hinunter – ab auf die Kommandobrücke, Matros:in! Leo Anibaldi (ver-)schickt Hörer:innen auf seiner Classics EP mit Sonargeräuschen in die tiefsten Tiefen der Weltmeere. Dass sich daraus keine klaustrophobischen Sequenzen entwickeln, sondern weitgreifende rhythmische Edelstücke, liegt an der Feinfühligkeit des Producers.

Leo Anibaldi war schon in den Neunzigern, aus denen die vorliegenden Tracks stammen, das Underground-Aushängeschild Italiens. Tiefschürfendere Sounds für experimentelle Techno-Heads wird man auch tausende Meter unter der Meeresoberfläche nicht finden. Ein weiterer Italiener, Donato Dozzy nämlich, ist dann on remix duty. Der ist bekanntlicherweise heute der wohl gefragteste U-Boot-Kapitän der psychedelischen Technotiefen, diese Kollaboration hätte man also gar nicht besser zusammenstellen können.

Dozzy nimmt das Stück „Muta 5” vorsichtig auseinander, verleiht ihm einen modernen Geschwindigkeitsschub und einen lumineszenten Anstrich. Auch bei „Endurance 4 (Version 2)” geht er so vor. Im Original noch ein obskurer Kopfverdreher, mutiert es im Remix mittels eleganter Strings und leichtfüßiger Modulationen zum Vorzeige-Bindeglied zwischen Warm-up und Peaktime. Molto bene. Andreas Cevatli

Leo Anibaldi - Classics EP (Vargmal)

Surgeons Girl – Sever (Lapsus)

Bei Modularsynthesizern mit ihren gern raumgreifenden Ausmaßen könnte man versucht sein zu sagen, dass sich da ein durchaus männliches Konkurrenzdenken in musikalischen Mitteln bemerkbar macht im Sinne von: Ich habe den Größten. Dass Frauen wie Sinead McMillan mit modularem Gerät arbeiten, ist streng genommen kein Gegenargument. Geht ja um die Haltung, die mit den Apparaten zum Ausdruck kommt.

Wobei McMillans Musik als Surgeons Girl vom Ergebnis her jegliche Unterstellung von Protzgebaren Lügen straft. Bei ihr geht es so filigran zu, dass man sich die Instrumente dazu eher als kompakt-unauffällige Kästchen vorstellen möchte. Polyphone Geflechte, fein gesponnen, hier und da mit ein bisschen Beatbasis, allenfalls diskret zischend, Tanzen scheint dazu bloß beiläufig möglich zu sein. Muss auch nicht. Die Balance zwischen übersichtlicher Trackstruktur und Obertongebilden, die unerwartet ausscheren, stimmt jedenfalls. Tim Caspar Boehme

Surgeons Girl – Sever (Lapsus)

VA – Thee Church Ov Acid House Volume 2 (Pudel Produkte)

Knapp ein Jahr nach der ersten säuregetränkten Messe verlesen die Kleriker der 303 zum zweiten Mal die Litanei und veröffentlichen Thee Church ov Acid House Vol. 2 über das Hamburger Label Pudel Produkte. Dabei hat sich im Vergleich zum Erstling eigentlich nicht viel geändert: noch immer tragen die Priester verheißungsvolle wie mysteriöse Namen und noch immer verstecken sich unter den Talaren von Bhutan Acid, Northsyde oder Elektra, Jörn Elling Wuttke und Oliver Bradford.

Auf sechs Tracks wird abermals gezeigt, wie dehnbar und facettenreich Acid doch sein kann, wobei dabei fast immer die Tanzfläche im Blick behalten wird. Man hangelt sich von psychedelischen Modulationen („Theme”), über rohe Breakbeats („Neurotic Phunk”) und elektrisierende Piano-Chords („Rave Mantra (T.C.O.A.H. Remix)”) zum spirituellen Ausklang („Code Spirits”), inklusive Spoken-Word-Mantra. Man besucht die Messe, die 303 glüht, man fühlt sich gesegnet, man möchte wiederkommen! Till Kanis

VA - Thee Church Ov Acid House Volume 2 (Pudel Produkte)

Yazzus – Black Metropolis (Tresor)

Unter dem Namen Yazzus war Yasmine Heinel bisher primär im Umfeld des Londoner Labels Steel City Dance Discs aktiv und veröffentlichte dort neben einer ganzen Reihe einzelner Tracks auch eine veritable Flut an Edits, deren Palette von Eurodance über Anime-Themes bis hin zu Ghettotech reichte. Mit „Turn of Speed” debütierte sie im Vorjahr auf der großen Jubiläums-Compilation von Tresor und legt dort nun mit Black Metropolis eine EP nach, deren Namen womöglich ebenso auf Jeff Mills wie Drexciya anspielt.

Ein Hauch von Techno-Traditionalismus umweht die vier beziehungsweise in der Digital-Version fünf scharfkantig produzierten Stücke durchaus, doch zeigt sich Heinel als ebenso versierte wie innovative Produzentin, die mit Genuss wummernden Techno in Stingray-esken Electro überführt (klares Highlight: „Perforated”), bouncende Ghetto-House-Grooves mit Cowbell-Salven garniert (serious fun: „Metro City Bay Area”) oder Trance nochmal von Detroit aus neu erfindet („Three Deities”). Ein durch und durch beeindruckendes Tresor-Debüt, das nirgendwo besser aufgehoben gewesen wäre. Kristoffer Cornils

Yazzus – Black Metropolis (Tresor)

In diesem Text

Weiterlesen

Reviews

Motherboard: November 2024

In der aktuellen Nischen-Rundschau hören wir schwermetallgewichtigen Rock, reife Popsongs und Werner Herzogs Vermächtnis.

Lunchmeat 2024: Der Mehrwert liegt im Imperfekten

Auch in diesem Jahr zelebrierte das Lunchmeat die Symbiose aus Musik und Visuals bis zum Exzess. Wir waren in Prag mit dabei.

Motherboard: Oktober 2024

Unser Autor würde sich gern in Kammerpop legen – in der aktuellen Avantgarde-Rundschau hat er das sogar getan.

Waking Life 2024: Der Schlüssel zum erholsamen Durchdrehen

Das Waking Life ist eine Anomalie in der Festival-Landschaft, was programmatischen Anspruch und Kommerzialität anbetrifft. Wir waren dabei.