Response & Pliskin – Ability II Corrupt (Tempo)
Mit so breiten wie dunklen Pinselstrichen, getränkt von der vielfarbigen Palette des britischen Hardcore Continuums, malt das aus Manchester stammende Duo Response & Pliskin auf der zweiten LP von Tempo Records ein episch-dystopisches Klanggemälde, das Bild eines düsteren Futurismus, von einer Sonde, einsam unterwegs, zu uns gefunkt aus den tiefsten Tiefen des kalten, menschenleeren Weltalls. Ein Album, das neu und up to date klingt, sicherlich aber auch in der Release-Liste von Goldies Metalheadz in den Mittneunzigern des vergangenen Jahrhunderts nicht fehl am Platze gewesen wäre – woran man auch sehen kann, wie weit seiner Zeit voraus dieses damals war. Passend dazu findet sich mit „Head Of The Buccaneer” auch eine Zusammenarbeit mit Metalheadz-Kollaborateur Digital auf dem Album.
Doch auch allein machen Response & Pliskin wahrlich keine Gefangenen. Auf den episch langen Tracks – mitunter elf bis 14 Minuten – geschieht so einiges, von hypnotischem Techstep-Geklopfe bis hin zu wild übereinander stolpernden Jungle-Breaks, von düster unterkühltem Deepspace-Bass bis souligem Liquid-Funk oder minutenlangen Ambient-Breaks – das Manchester-Duo hat sein Handwerk gelernt, und dieses Album ist der beste Beweis dafür. Tim Lorenz
Sam Prekop and John McEntire – Sons Of (Thrill Jockey)
Hier empfehlen sich zwei Veteranen der Chicagoer Musik, die einst unter dem Namen Post-Rock antrat, den Klang der Neunziger umzukrempeln. Alte Bekannte, die eigentlich seit einer Ewigkeit als Bandkollegen zusammen spielen. Trotzdem gibt es sie jetzt zum ersten Mal als Duo. Sam Prekop, Sänger und Gitarrist von The Sea and Cake, begann später solo mit Modularsynthesizern zu arbeiten, John McEntire trommelt mit ihm seither in dessen Band neben seiner Tätigkeit als Schlagzeuger bei den Post-Rock-Pionieren Tortoise.
Auf Sons Of gibt es weit und breit nur elektronische Apparate zu hören, modulare analoge, außerdem digitale wie Sampler. Als patternbasierte Grooves mit unterschiedlich starkem Drumcomputereinsatz lässt sich die verbindende Herangehensweise für ihre vier Stücke beschreiben. Ein bisschen mag da ein Gruß in Richtung kosmische Musik entboten werden, doch kann man sie nicht darauf reduzieren.
Selbst wenn auf den ersten Blick alles gleichförmig und freundlich-ausgeglichen zugeht, bekommt man die Geschichte so nicht auf eine Formel. Zu viele kleine Details haben die beiden in ihre zwischen acht und 24 Minuten langen Instrumentalnummern eingearbeitet, zu viele Spielereien am Rand, ohne dass sie große Aufmerksamkeit einfordern würden. Zu diesem unaufdringlich begeisternden Einstand der alten Freunde passt das sehr liebevolle Cover, das eines der schönsten Katzenmotive des Jahres bereithält. Da bleiben keine Wünsche offen. Tim Caspar Boehme
Good News/ Nina/ Moopie/ Mark – Not Kennt Kein Gebot! (A Colourful Storm/ V I S )
Weder bei V I S noch auf A Colourful Storm werden naheliegende musikalische Entscheidungen getroffen, weshalb die Zusammenkunft der beiden Köpfe hinter dem Hamburger Label auf der einen und Moopie sowie Label-Regular Mark irgendwie schon naheliegt. Dabei macht diese Doppel-MC mit vier Mixen namens Not kennt kein Gebot! auch klar, wie unentwirrbar von allen Beteiligten auf den Decks persönliche Präferenzen mit konzeptioneller Verve zusammengebracht werden.
Mark mixt sich beispielsweise nicht etwa durch die sein Solo-Schaffen prägenden Breaks und Subbässe, sondern verblendet angeblich einen alternativen Soundtrack zu Parsifal mit Einsprengseln aus seinem kommenden Debütalbum. Operngesang und Versatzstücke einzelner solistischer Momente – keine Wagner-Orchester-Wände weit und breit! – sowie Anklänge bisweilen sehr zeitgenössisch anmutender Kammermusik treffen darin allemal aufeinander. Nur was davon die eigenen Zugaben sein sollen, bleibt unklar. Die LP dürfte also spannend werden. Moopie lässt hingegen kaum Fragen offen: Über 45 Minuten hinweg geht es durch den nicht gerade schmalen Backkatalog von Scorn, des Downbeat-Industrial-Projekts des ehemaligen Napalm-Death-Drummers Mick Harris. Leicht verständlich und doch aufreibend.
Good News und Nina beweisen in der Kuration von V I S immer wieder eine anarchische Lust am Unvorhersehbaren. Während die beiden damit ebenfalls vielen Breaks eine Plattform geben, sind die veröffentlichten Sets der beiden Golden-Pudel-Residents primär von einem Interesse für elektroakustische Klänge, Noise und Texturen sowie Techniken geprägt, die Pierre Schaeffers Geist auf den CDJ übertragen. Während Good News sich auf 32 Minuten durch eine beeindruckende Spannbreite von dröhnenden Bläsern hin zu vokaler Performance-Art und Harsh Noise Wall bewegt, zeigt sich Nina etwas angriffslustiger. Mit viel Geräuschmusik baut sie einen Spannungsbogen auf, der sich in schneidenden, mutierten und mutierenden Breaks entlädt. So könnte eigentlich auch das kommende Mark-Album klingen. Kristoffer Cornils
Thugwidow – Seventh Circle of Litness (Western Lore)
Für ältere Menschen bringt dieser Albumtitel gleich eine kleine Interpretationsaufgabe. Was ist „litness”? Nun, man könnte das Substantiv als gegenwärtigen Ausdruck für etwas umschreiben, das positiv besetzt ist, korrespondierend zum Adjektiv „lit”. Ob der Produzent Thugwidow aus Manchester das für sein aktuelles Album auch so durchgehend positiv meint, ist vermutlich Frage der Perspektive.
Titel wie „Overall Failure” oder „A Cleansing Pain”, eventuell ebenso „United Kingdom” deuten darauf hin, dass für ihn das eine oder andere um ihn herum im Argen liegt. Wenn man es auf die Musik bezieht, ist die allerdings durchgehend lit. Auch im Sinne von „entzündet”. Die Beats des Jungle-Forschers paaren sich in seinen clubhistorischen Studien mit Sounds der frühen Rave-Euphorie, der Signatursound aus „Anasthasia” von T99 scheint etwa im Titeltrack gewürdigt zu werden, Hooversounds kommen auf der Platte sowieso zum Einsatz.
Thugwidow bratzt die fräsenden Frequenzen jedoch nicht einfach zusammen, sondern schichtet sie liebevoll, gestaltet lockere, dynamische Nummern daraus. Im Zweifel müssen die Leute sich das im Herbst ja mangels Alternativen dann ohnehin allein zu Hause anhören. Was mit diesem siebten Kreis der litness aber keine Hürde bedeutet. Bei Thugwidow wird harsch gescheuert, und zwar so, dass die Ohren hinterher wieder sauber sind. Große, heftige Platte. Tim Caspar Boehme
Tomu DJ – Half Moon Bay (Franchise)
Kein leichtes Unterfangen muss es sein, tiefgehende Emotionalität fast durchgehend ohne Lyrics in elektronische Gewänder zu kleiden – nur anhand von Melodie und Instrumentation. Tomu DJ gelingt dieser Kniff mit vielen Lagen hauchdünner Klangelemente, die sie mit zärtlicher Gelassenheit zusammenwebt. Der Musikerin aus Kalifornien transportiert auf ihrem zweiten Album Half Moon Bay eine Gemengelage an Gefühlen und Eindrücken mit ambientgetränktem Footwork.
Flächige Pads und melancholische Synthmelodien kontrastieren oftmals klare Drums, die Dub-Rhythmen oder Breakbeats anschlagen und der sonstigen Tragik der Tracks einen dynamischen Schubs Richtung Erleichterung geben. Alle der sieben Titel haben etwas Meditatives und Delikates, klingen in sich gekehrt, so als würde Tomu DJ mit äußerster Sorgfalt die einzelnen Klänge aneinander fädeln.
„Spring of Life” beispielsweise scheint wie vor Leben zu summen, zirpen und schnurzen zu einer ausgedehnten Melodie und entzerrtem Rhythmus, bis der Track zu einem sanft blubbernden und glucksenden House-Klang umschwingt. Dem Song entgleiten dabei Gefühle der Leichtigkeit und des Loslassens. An anderer Stelle dringen mit „Half Moon” dunklere, eher trostlose, aber sehr berührende Impressionen ein. Mit einer Klangfarbe, die an subtilere Radiohead-Songs erinnert, taumelt die Synth-Melodie etwas ziellos durch den Track zu künstlich summenden Pads und simpel trottendem Beat. Während die ersten beiden Titel auf Half Moon Bay noch ein wenig wie Aufwärmer wirken, entfaltet sich das Zusammenspiel zwischen melancholischen Synths und offensiveren Drums im Laufe des Albums und transportiert umso mehr Emotionalität. Louisa Neitz