Ani Klang – Ani Klang (New Scenery)
Strand statt Spree – dafür hat sich Ani Klang entschieden. Die Abkehr vom musikalischen Mekka schlechthin ist sicherlich mal etwas erfrischend Neues. Vor allem, wenn man selbst schon die Berghain-DJ-Booth gerockt hat. So geschehen 2019. Seitdem ist allerdings viel passiert. Die unfreiwillige kollektive Ruhezeit während Corona wusste Ani aber gut zu füllen. Einzelne Singles, die straighter Natur waren, schärften über die Jahre ihren Fußabdruck in der Szene.
Die gänzliche Loslösung davon hat sie jetzt mit ihrem ersten Album geschafft. Mutig, mutig, die Erfolgswelle am kalifornischen Laguna Beach nicht weiter zu reiten. Genau diese Kühnheit macht das Album auf New Scenery auch aus. Da werden Frequenzbereiche verschoben, Beats verfrickelt und wieder zusammengebracht, Konzepte der klassischen Dance Music erst aufgegriffen, dann frech grinsend zerstört. Musik für die experimentelle Alles-Ist-Erlaubt-Fraktion. Andreas Cevatli
Bienoise – This Meaning Today (Mille Plateaux)
Viel Konzept hier. Frage vorab: Muss man die Selbstverständigung eines Künstlers mitberücksichtigen, wenn man seine Musik rezipiert? Oder genügt Abstimmen mit den Ohren? Beim italienischen Musiker Alberto Ricca alias Bienoise gibt es einiges an Überlegungen, die er zu seinem Album This Meaning Today in die Runde wirft. Etwa die Frage: „What is the meaning of a Fortissimo today?” Was spontan zur Gegenfrage veranlassen könnte: Hat bzw. hatte ein Fortissimo denn, egal in welcher Epoche, exakt eine Bedeutung, abgesehen davon, dass es laut wird? Oder kann es nicht in ein und demselben Stück ganz Unterschiedliches bedeuten? Wobei es ja mit den Bedeutungen in der Musik schon grundsätzlich heikel ist.
Bienoise erkundet jedenfalls, unabhängig von alledem, eine ganze Reihe an Klangkonstellationen, dichten und losen Strukturen, oft in ein und demselben Stück, wenig davon behaglich, vieles davon auf raue Art energisch, ohne sich zu Noise als Säurebad für die Ohren oder die Nerven zurückzuziehen. Was nicht heißt, dass nicht einige Frequenzen sich der Schmerzgrenze zumindest annähern, vorübergehend. Mithin ein Album, das durchaus einige Ideen zu hören gibt. Wie man die versteht, ist eine andere Sache. Tim Caspar Boehme
Caterina Barbieri — Spirit Exit (Light-Years)
Es gibt wahrscheinlich wenige Künstler*innen, die innerhalb kurzer Zeit einen derart markanten Signature-Sound für sich entwickelt haben wie Caterina Barbieri. Die überbordenden Kompositionen der Modularsynth-Virtuosin aus Mailand stehen so sehr für sich, dass man ihnen eigentlich ein eigenes Genre widmen müsste, verarbeiten sie doch Einflüsse von Synthpionieren wie Schulze und Jarre auf eine ihr eigene, polyphone und zugleich minimalistische Weise und kombinieren sie mit großem Drama, einer kleinen Brise Ben Frost’scher Atonalität und dem verträumten Nachhall einer euphorisierten Ravenacht. Die ineinander verhakten Melodien der Wahlberlinerin bestimmen auch hier wieder die Szenerie, mäandern umeinander und konvergieren an den ein oder anderen Stellen zu einem großen Thema, nur um dann wieder in vielschichtigen Layern auseinanderzudriften.
Das Album wurde komplett im zweimonatigen Mailänder Lockdown produziert und ist auch das erste auf ihrem eigenen Label Light-Years. Mit „Terminal Clock” enthält es den ersten Sampling-basierten Track von Barbieri, der als einziger des Albums mit subtiler Rhythmik am Dancefloor schnuppert, ohne sich direkt drauf zu wagen. Spirit Exit klingt so retrofuturistisch wie zeitgemäß und steckt noch mehr als Barbieris Vorgänger voller epischer Minidramen, die wie „At Your Gamut” oder „Broken Melody” in einem Track oft so viel Dramatik wie sonst ganze Alben transportieren. Barbieri scheint hier nicht nur posthumanistische Philosophie von Rosi Braidotti und Poesie von Emily Dickinson aufzunehmen, sondern passt auch hervorragend als Soundtrack zu den visionär dystopischen Romanen von Emily St. John Mandel, die mich gerade genauso faszinieren wie Barbieris Musik. Stefan Dietze
Félicia Atkinson – Image Langage (Shelter Press)
Zum Nebel gehören Schiffe. Und zu Schiffen gehören Nebelhörner. „La Brume” von Félicia Atkinson, das erste Stück auf Image Langage, beginnt denn auch ganz lautmalerisch mit den Klängen eines solchen Horns, von einem Saxofon imitiert. Für den umgebenden Nebel sorgen synthetische Streicher. Verschiedene Stationen durchstreift die französische Musikerin in den neun Titeln, für die sie stets leicht unterschiedliche musikalische Vokabularien wählt. In „The Lake Is Speaking” sind es Drones mit geflüsterten Worten darüber, bei „Our Tides” kommen zum Drone Klaviertöne und äußerst sparsame, hallende Trommeln.
Überhaupt verwendet Atkinson wiederkehrende Elemente – die Stimme gehört genauso dazu wie die gelegentlichen Bläserklänge, echt wie artifiziell –, die sie in wechselnden Konstellationen kombiniert. Immer geht es dabei um offene Räume, Luft zwischen den einzelnen Ereignissen und eine Vorliebe für abstrakt gehaltene Effekte. In „Becoming a Stone” sind es etwa knackende Störgeräusche, die den Rhythmus vorgeben, bei „Pieces of Sylvia” erzeugt ein scheinbar wahllos im Hintergrund mitlaufendes, hohles Pochen eine ähnliche Wirkung.
Ihre Worte dazu fügen sich, gern auch in collagierter Form, wie eine weitere Klangschicht in das Ganze ein, assoziativ eher als mit exakter Bedeutung. Eine Traurigkeit schwingt mit in diesem stoischen Fluss, ebenso in Titeln wie „The World Is Full of Abandoned Meanings”. Zu gleichen Teilen Abgesang auf Vergangenes und gegenwärtige Kontemplation, erfreut diese Bildersprache mit präzise konstruierter Ungreifbarkeit. Tim Caspar Boehme
Hugo Rolan – Origen Cero (Warm Up)
Der Nordspanier Hugo Rolan lässt sich auf seinem Debütalbum auf Oscar Muleros Label Warm Up Zeit, das Kernelement seines Langspielers zu offenbaren. Der Opener „Ciclo” ist eine dreiminütige Minimal-Music-Meditation mit polyrhythmisch-perkussiven Synthesizerfiguren, erinnernd an Steve Reichs Werke der späten Sechziger – Minimal also nicht technoid verstanden. Das Hauptelement des zweiten Tracks, der auf einer punktierten Bassdrumfigur basiert, ist ein hoher, sich stoisch wiederholender Ton, der an Warnsignale rückwärtsfahrender LKW erinnert. Genau, die können echt anstrengend sein, und das trifft auf „Sistema Antigua” auch zu, aber in positivem Sinne – das Stück erzeugt eine enorme Spannung, die sich auf vielen Dancefloors in ausgelassenen Dance-Moves entladen wird.
Trotz dieser sich hier schon andeutenden energetischen Seite von Origen Cero würde kaum jemand erwarten, was nun folgt. „Distribucion Lineal” und „Modificacion Binaria” sind knallige, lupenreine Technostücke auf gut 134 BPM mit eindeutigen Detroit-Techno-Wurzeln. Das Energielevel steigert sich nochmals enorm, auch wenn beim zweiten Stück dieses Paares die Kickdrum fehlt und durch eindringliches Tom-Tom-Getrommel ersetzt wird. Ähnlich strukturiert wie diese vier ersten Songs stellt sich der weitere Verlauf des Albums dar. „Emergencia Iconica” ist wieder ein eher experimentelles, nicht vordergründig für den Club konzipiertes Stück mit sich überlappenden Loops und einem maschinenartigen Beat im Hintergrund. Auf den nur zweieinhalb Minuten langen Track folgt dann erneut tooliger Techno, ebenfalls auf flotten 131 BPM und mit kompromisslos-kerniger Kick.
Danach nimmt Rolan mit auf einen spacigen Weltraum-Spaziergang voller psychedelischer Soundschlieren, Bleeps und Delays. Aber die Abwechslung kennt keine Gnade, alles Abdriften in den Chill-Modus wird vom bislang härtesten Track „Tecnologia Futura“ über komprimierte vier Minuten und 44 Sekunden weggeblasen. Die drei finalen Stücke huldigen dann mit abnehmender Krassheit klassischem Neunziger-Techno und Großmeistern wie Jeff Mills und Surgeon und dem Sound von Axis, Tresor oder Dynamic Tension, aber nie plakativ-epigonal. Hugo Rolans Albumdebüt wohnt durchgehend eine subtile persönliche Handschrift inne, die trotz aller Bezüge eine zeitlose Frische besitzt. Mathias Schaffhäuser