faux naïf – Refuge Worldwide (July 2022)

Im Rahmen eines einstündigen Refuge-Worldwide-Sets erzeugt die Londoner DJ faux naïf eine musikalische Symbiose aus 80s-Synths und Electro-Gegenwart. Anhand Sound-Äquivalenten der Genres Darkwave, EBM und Postpunk zieht sie Parallelen zwischen den Jahrzehnten und präsentiert ihre Lieblingskünstler:innen von damals und heute. Dabei scheut sie sich nicht vor genreübergreifenden Übergängen, in denen sie auch gerne mal eine Bunker-Techno-Platte in einen New-Wave-Hit faded. Um ihre exklusive Guest-Show aufzunehmen, ist die Gründerin von M II M sogar kurzum in das Berliner Studio von Refuge Worldwide gereist.

Nicht nur die Songauswahl von faux naïf ist ungewöhnlich charmant, auch die Emotionen und Personen, die sie mit den Picks verbindet, bleiben nicht unerwähnt. Welche Assoziationen prägen ihre Track-Kollektion? An welche Menschen denkt sie bei einem bestimmten Song? Das erfahren wir durch Grüße an Freund:innen und Kolleg:innen und Widmungen, die sie ins Mikro spricht. 

Welche Story sie mit ihrem 80er-Outro „Agent Orange” der Band Ski Patrol verbindet, bleibt ebenfalls ein Geheimnis, obwohl sie neben Reminiszenzen an vergangene Subkulturen auch gerne mit verschiedenen Stilen, Sprache und ihrer eigenen Stimme spielt. So vermittelt sie uns auf zweifache Weise ein durch und durch gelungenes Techno-Wave-Ensemble, in dem sich vier Dekaden entfalten. Celeste Lea Dittberner

He4rtbroken – 070722 (NTS)

DJ Liyo und Steff reißen ab. Monatlich. Auf NTS. Wer die beiden Brüssel-based Artists nicht kennt: Ihre Mix-Serie driftet wie eine Playstation in Need for Speed durch die Gehörgänge. Zwischen zweiter Pubertät und einem Faible für Glitzerkram klappern die beiden schon mal mit einer Jungle-Platte über TikTok-Songs von Pinkpantheress oder brettern mit 90s-Techno über Dark Wave, für den Robert Smith den Choker enger schnallt. Soll heißen: Liyo und Steff geben einen Kardanwellenbruch auf Genregrenzen. In ihrer Rekordbox rotiert, was aus dem Standgas in den sechsten Gang sprintet. Übrigens: Mit He4rtbroken veranstalten Liyo und Steff in der belgischen Hauptstadt ein gleichnamiges Event, bei dem sie alle Lowrider nochmal fünf Zentimeter tiefer schrauben. Was einen dort erwartet? Auf dem Juli-Mix für NTS fragt FKA Twigs nach der richtigen Abzweigung, Sully fetzt das Amen ins Gebreak und Niki Istrefi packt mit Shlømo auf der Überholspur das Schnitzelsemmerl aus. Wer nach einer Stunde nicht sofort den Klarlack aufpoliert, ist noch nie mit eingeschalteter Lichthupe über den Berliner Ring gepflügt! Christoph Benkeser

Orpheu The Wizard – Dekmantel Podcast 393 (Dekmantel)

Noch weit vor dem Lockdown, Anfang November 2019, bespielte Orpheu The Wizard die Panorama Bar und zog sein ganz eigenes Tempo durch. Derart auf Abriss getrimmte Tracks wie J-Zbels „Mortal Kombat” erklingen sonst selten im Oberstübchen des Berghain und sorgten zwischen 8 und 12 Uhr für Verwehungen unter den rekonvaleszenten Raver*innen. Dieser außerordentlich komplizierte Slot scheint dem Macher von Red Light Radio und Red Light Records übrigens zu liegen: Zwei Jahre später füllte er ihn wieder aus.

Was das mit seinem aktuellen Mix für den Dekmantel Podcast zu tun hat? Auch in dieser Stunde geht der Holländer seinen ganz eigenen Trott, der melodisch zwar housig-üppig klingt, aber mindestens eine Energiestufe über Zweitfloorstandard anzusiedeln ist. Das liegt gar nicht mal unbedingt an der Geschwindigkeit, sondern vor allem an den schillernden Melodien und Störgeräuschen, Bleeps und Effekten, die immer wieder quergeschossen kommen. Zugleich organisch und artifiziell, orgelnd und mit Synths ausstaffiert, hyperaktiv bis ins Mark, doch keineswegs mit kalter Seele ausgestattet, gehört dieser Mix sicherlich zu den bisherigen Jahreshighlights. Zauberhaft. Maximilian Fritz

KMRU – PURE Guest.024 (Pure G)

In einem Fernzug der Deutschen Bahn, zwischen Köln und Berlin, hat Joseph Kamaru alias KMRU diesen einstündigen Mix aufgenommen. Laut oder wuchtig soll es hier nicht werden. Aber die langsam anschwellenden und Ewigkeiten wie dichte Luft im Raum stehenden Synthesizerlinien des jungen Elektronik-Musikers aus Nairobi lassen auch nur unter Vorbehalt ein Einsinken in den ICE-Sessel zu. Im Gegenteil, der Mix ist getragen von nervöser Kleinteiligkeit und Konzentration, von Texturen, Haptik und etwas zu nah abgenommener menschlicher Stimme.

Seit seinem Debüt-Longplayer Peel auf Editions Mego – es sollte eines der letzten umgesetzten Projekte und Entdeckungen von Mego-Macher Peter Rehberg werden, bevor er 2021 Jahr in Wien plötzlich verstirbt – hat der junge Kenianer einen festen Platz in der europäischen Sound-Art-Landschaft. Sein Sound ist ernst, schön, mahnend, bewegt sich abseits von Ambientfloor-Gemütlichkeiten. Im erwähnten Zug von Köln hat er nun diesen einstündigen Einblick in seine forscherische und kompositorische Praxis erstellt, die von Pure G in Taipei gehostet wird. Eine Zusammensetzung aus eigenen unveröffentlichten Stücken, Feldaufnahmen und Musik, die er gerade hört. Für schwüle, wolkenverhangene deutsche Sommertage und in den unteren Volumebereichen. Simon Popp

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2 Girls 1 Club – Räuber*innenhöhle @ Fusion 2022

Auf einem Festival in Mecklenburg-Vorpommern, dessen Name wir hier nicht nennen wollen, gibt es neben Bands aller Couleur, Theateraufführungen und einem Skatepark samt Punkrockbühne vor allem eins zu entdecken – elektronische Musik diversester Spielarten. Dabei finden die wirklich überraschenden Dancefloormomente weder auf der Turmbühne noch der Tanzwüste, sondern abseits dieser Bombast-Floors, auf den unzähligen kleinen Tanzflächen statt, die sich über den alten Flugplatz verteilen.

 So macht die Räuber*innenhöhle ihrem Namen alle Ehre und zaubert mit viel Liebe zum Detail eine versiffte, aber herzliche Spelunke, in der spätestens ab Sonnenuntergang der Schweiß von der Decke tropft. Diesen Moloch von einem Tanzlokal haben auch 2 Girls 1 Club in den fortgeschrittenen Morgenstunden mit einem Set beehrt, das zur Uhrzeit nicht besser hätte passen können. Das Duo überzeugt mit groovigem Sound und weiß in den perfekten Momenten die richtige Portion Pop einzustreuen, ohne dabei in zu kitschige Gefilde abzudriften. Nebenbei lernt man einiges über Deutsche*, reißt sich zu Nelly die überflüssigen Klamotten vom Leib und wird am Ende von DJ Yarak in die wohlverdiente Mittagssonne entlassen. Till Kanis

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