Marcos López & Mijk van Dijk sind Marmion (Foto: Kerstin Ehmer-Kraus)
Wenn es eine ähnlich klar definierte Golden Era wie beim Hip Hop auch im Techno gäbe, „Schöneberg” von Mijk van Dijks und Marcos López‘ Projekt Marmion wäre der Opener vieler Compilations. Die fast schon überbordende Naivität, mit der hier Sounds aufeinandertreffen und gemeinsam in den neongefluteten Sonnenaufgang flüchten, kann man sich nicht ausdenken. Sie drückt musikalisch das aus, was Berlin Anfang der 1990er Jahre ausmachte.
Trotz aller Genres, Cliquen und entstehender Underground-Pfründe hörte man sich gegenseitig zu, verstand die Perspektive der anderen. So ist „Schöneberg” nicht weniger als sechs Minuten und 24 Sekunden Dokumentation der sich entwickelnden Berliner Ursuppe, die zwar schon brodelte, deren Garpunkt aber noch lange nicht erreicht war. Noch schnippelten dutzende von Sous-Chefs Zutaten hinein, setzten den Sud immer wieder neu auf und forschten weiter. Oldschoolige Dringlichkeit, radikale Basics und farbenfrohes Abbiegen bei Dunkelorange machen „Schöneberg” zu einem strahlend lauten Beweis für die Stimmung in der Stadt unmittelbar nach dem Mauerfall.
Mijk van Dijk: „Wann wir uns kennengelernt haben? Das muss 1990 gewesen sein, beim Studium der an der FU Berlin. Wir waren zu diesem Zeitpunkt beide schon im Nachtleben unterwegs, und ich schrieb damals für das Hamburger Magazin Oxmox einen Artikel über das Berliner Nachtleben. Da besuchte ich auch Marcos an seinem Arbeitsplatz.”
Marcos López: „Das war Joe an der Hasenheide. Das Rolf-Eden-Prinzip vom Ku’damm, adaptiert für das prekäre Neukölln. Ich studierte Publizistik, Theaterwissenschaften und Amerikanistik. Und kellnerte bei Joe am Ku’damm, freundete mich mit dem DJ an und bekam dann den Auftrag von ihm, das Konzept für die Hasenheide zu entwickeln. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon in anderen Clubs unterwegs. Ich legte also Michael Jackson und Madonna auf, während ich anderswo zu T99 tanzte.”
Man mag sich nicht ausmalen, wie viele verwässerte Kaffees und absurd belegte Brötchen Mijk van Dijk und Marcos López in der Cafeteria der Berliner Freien Universität gemeinsam getrunken und verspeist haben, um dabei Pläne zu schmieden. Die Stadt war on fire. Und die Musikszene sowieso. „Coldcut machten Pop, Kevin Saunderson lief auf allen Floors rauf und runter, alles passte. Ich hatte nicht das Gefühl, mich auf einen Style beschränken oder konzentrieren zu müssen”, erinnert sich van Dijk. Zum ersten Mal arbeiteten beide Musiker beim Remix von van Dijks „High On Hope” zusammen – der Beginn einer wunderbaren Kollaboration.
„Wir haben den Track dann in einer Nacht aufgenommen, als Reaktion auf das, was wir als DJs gefunden hatten.”
Mijk van Dijk
Van Dijk war der Musiker, mit Releases auf Low Spirit, MFS und Bash – Lopez der leidenschaftliche DJ. Die Berlin EP und somit auch der Track „Schöneberg” entstanden aus der damaligen Attitüde: Lass’ mal treffen und machen. Das erste wirkliche gemeinsame Stück war „T-Dancer”, eine Hommage an den sonntäglichen Tea-Dance im Metropol am Nollendorfplatz. „Wer den Walfisch überlebt hatte, schlug am Sonntag gegen 19 Uhr dort wieder auf. Frankie Goes To Hollywood hätten an diesem Hedonismus ihre Freude gehabt”, erinnert sich Lopez.
„T-Dancer” also. Wann das Stück „Schöneberg” produziert wurde, darüber sind sich die beiden – 30 Jahre später – nicht mehr ganz einig. Gleich im Anschluss oder doch als letzter Track? Der „T-Dancer” sorgte bei Labels jedoch schon als Demo für Furore. López spielte ihn bei Harthouse in Frankfurt am Main vor, und der Deal für eine EP schien bereits perfekt. Doch es sollte alles anders kommen. „Schöneberg” ist daran nicht ganz unschuldig. „Es lief eigentlich immer so: Ich saß am Atari, Marcos schraubte an den Maschinen”, sagt van Dijk. „Ich hatte wenig bis keine Ahnung vom Technischen, aber eben doch ein Gefühl für das, was ich wollte. Und Mijk konnte das exakt umsetzen”, ergänzt López. „The Secret Plant” geht jedoch auf López’ Kappe. Den komplexen Tribal-Rhythmen, die er auf seiner Roland R8 programmiert hatte, war nur wenig hinzuzufügen.
Tatort Bunker
In diesem Club in Berlin-Mitte, dem ehemaligen Bananen-Bunker der DDR und der heutigen Kunstsammlung von Christian Boros, legten beide oft gemeinsam auf. Oben die Gabber-Hölle, unten die House Music. „Schöneberg entstand eigentlich dort – aus unseren DJ-Sets. Zwischen Techno und Trance versuchten wir, unseren gemeinsamen Nenner zu finden. Marcos sagte immer wieder: Nein, das muss anders, die Tänzer*innen wollen das so, und nicht so”, erinnert sich van Dijk. „Geile Shaker, die Hi-Hat, nein, noch nicht. Wir haben uns da super ergänzt. Denn dass die Hi-Hat tatsächlich erst so spät kommt, ist Teil der Magie des Stückes. Und dann ist da noch der ‚Null-Break’. Nennen wir so, weil: Der Break ist so kurz und irritierend. Wurde aber auch zu einer Trademark. Wir haben den Track dann in einer Nacht aufgenommen. Als Reaktion auf das, was wir als DJs gefunden hatten. Aber irgendwie war ich mit dem Ergebnis noch nicht ganz zufrieden. Es fehlte etwas. Bei einer zweiten Session haben wir uns dann aber verzettelt. Was auch damit zu tun hatte, dass ich mir mein Studio damals mit einem anderen Musiker teilte und der in der Zwischenzeit schon alles an den Geräten wieder verändert hatte. Total Recall gab es ja nicht. Solche Aufnahmen waren nichts anderes als Jams. Wir haben dann beschlossen, dass wir es bei der ersten Version belassen würden. Ich halte mich eigentlich noch immer an diese Prämisse.”
Glücksfall der Musikproduktion
„Wenn man sich das Stück heute anhört, muss man sagen, dass wir uns mit der Kombination der Elemente auch ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt haben”, sagt López. „Es beginnt minimal, cool, hat etwas von Lil’ Louis. Da passt die Melodie ja eigentlich gar nicht zu. Aber das Wochenende war vorbei, wir gut dabei und haben das genau so gefühlt. Wir hätten auch hart bleiben und die zweite Version aufnehmen können, den Track vielleicht im Tresor oder E-Werk testen. Wer weiß, wie das dann geklungen hätte. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich den Track höre. Wie alles nach dem Null-Break ein- und abfährt.”
„Berlin war unsere Base, also haben wir die Platte so genannt. Das kam so semi-gut an, weil viele DJs schon die Deutungshoheit über die Stadt und ihren Sound für sich beanspruchten.”
Marcos López
Manchmal beschreiben Musiker*innen ihre eigene Musik eben doch treffend. Es sollte nach diesem Wochenende jedoch noch eine ganze Weile dauern, bis „Schöneberg” wirklich gepresst wurde. Das richtige Label zu finden, war nicht ganz einfach.
Schöneberg goes global
„Ich erinnere mich, dass du die Tracks mit nach Frankfurt genommen hast. Um sie bei Harthouse vorzuspielen”, sagt van Dijk in López’ Richtung. „Harthouse fand die schon gut, mit ‚Schöneberg’ kamen sie aber nicht klar”, fährt dieser fort. „Ich drückte dann noch Mark Spoon ein Tape in die Hand. Er war damals A&R für R&S und wollte das mal Renaat vorspielen.” „Ich dachte nur: R&S? Das ist ja noch viel besser”, wirft van Dijk ein. Doch auch daraus wurde nichts. „Nach langem Hin und Her – vor allem Funkstille – sagte Renaat dann am Telefon, dass er die Tracks schon veröffentlichen wolle, aber nicht auf R&S, sondern auf einem Sub-Label – auf ETC. Das Label fand eigentlich niemand so wirklich geil.” Beide Musiker schauten sich kurz an und sagten den Deal ab. „So kam dann der Kontakt zu Superstition. Das Label hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Release draußen, aber wir kannten die Leute – das waren Freunde. Gary D., Tobias Lampe, das war meine Crew. Das Label ging mit Releases von Kid Paul und Jens Mahlstedt durch die Decke – und unsere Berlin EP war mit dabei.”
„Der Name Berlin EP ist auch wichtig. Als DJ habe ich den Globus[-Floor im Tresor, d.Red.] mit zur House-Location gemacht. Berlin war unsere Base, also haben wir die Platte so genannt. Das kam so semi-gut an, weil viele DJs schon die Deutungshoheit über die Stadt und ihren Sound für sich beanspruchten”, erinnert sich López. „Wir haben das mit Schmunzeln quittiert. Aber auch mit einer klaren Haltung. Tribal, Trance, House, Techno: Das waren wir. Wir saßen 500 Meter Luftlinie vom Schöneberger Rathaus, wo Kennedy eine nicht ganz unwichtige Rede gehalten hatte. Das war unser Berlin. Daher auch der Name. Ursprünglich sollte „Schöneberg” auch mal „A Little Japanese Boy Having A Good Time Sailing From A Groovy Ship Of Ecstasy To The Bright Harbour Of Harmony” heißen. Ich mochte das und habe das DAT noch heute, auf dem dieser Titelvorschlag von Mijk steht. Ich mochte die Band Japan und David Sylvian. Da war ‚Schöneberg’ dann doch besser.”
Der Erfolg kam Schritt für Schritt. „Natürlich hatten wir uns viel versprochen, aber eigentlich passierte rein gar nichts”, sagt López. „Es ist aber auch ein spezieller Track.” Und van Dijk erinnert sich: „Ich traf mal Jeff Mills im Hard Wax. Er mochte die Platte, war aber auch unentschieden.”
Ganz langsam aber entwickelte sich eine Liebe für den Track. Mehr und mehr DJs spielten das Stück. Und mit zunehmenden Lizenzierungen zeigte sich die globale Wirkung. „Für mich ist das Stück noch heute eine zusammengedampfte Version eines ganzen DJ-Sets.”
Nicht zuletzt auch mit dem Remix der beiden Musiker. „Wir konnten irgendwann nicht mehr mit dem Original gegen andere DJs und den Lauf der Zeit bestehen”, erinnert sich van Dijk. „Das Interessante dabei: Der Remix öffnete uns die Türen in UK. Der lief in den Afterhour-Clubs rauf und runter. Er war also schon wichtig. Mir ist diese Szene eher fremd, aber das hat schon funktioniert. Einen Gig in UK hatten wir trotzdem nie.”
Die Geschichte von „Schöneberg” lebt weiter – auch mit immer noch neuen Versionen. Den Ursprung immer weiterzuentwickeln, zu verfremden, ist für die beiden Musiker kein Problem. Im Gegenteil: Der Track wird nun 30 Jahre alt. Viele neue Versionen sind dafür in Planung. Die alte Diskussion, ob ein Track ein Track bleiben muss oder soll – diese Frage stellt sich für die beiden nicht. „Wir haben da einiges in Planung”, sagt van Dijk. Schöneberg ist ja auch heute noch eine schöne Nachbarschaft.