Air Max ’97 – Coriolis (Decisions)
Neu gekaufte Prestige-Nike-Sneaker trippeln gespannt zum etwas konstruiert wirkenden Drum-Workout des aus Neuseeland stammenden und nun im UK lebenden Air Max ’97. Man wähnt sich an den Treppenstufen zur Kunstgalerie – im Club geht es später mit einem volleren Sound weiter. Trotzdem erinnert die Coriolis EP mit ihrem Spagat aus Funktionalität und Experiment abstrahiert an Club-Momente oder dient dem ein oder anderen Drum’n’Bass-DJ als Tool.
Der Break-Tüftler und Vorwärtsdenker verschiebt mit dieser EP keine Grenzen des Machbaren – vielmehr wirkt sie wie eine Übung, mit der der Meister seinen Break-Jüngern beispielhaft erläutern will, welche Reduktion es braucht, damit Breaks noch funktionieren. Ob dem so ist, wird sich zeigen.
Und so breaken die Tracks minimalistisch, ein wenig steril und sehr aufgeräumt vor sich hin. Für eine Kunstinstallation perfekt – für euphorische Dancefloor-Momente fehlt jedoch vielleicht die nötige Portion Soul. Eher vorstellbar ist der Einsatz in diversen Mixen, die abseits des Clubs Sounds erkunden wollen. Denn ein wenig klingt die EP auch, als hätte eine Künstliche Intelligenz via Ableton mit der Computertastatur zuvor eingespielte Sounds und Rhythmen nach bekannten Regeln arrangiert und sich zumindest im letzten Track „Collapsing Void” mit dem Vocoder mitteilen wollen. Vincent Frisch
Mr. Mitch – WORK! (Gobstopper)
Bereit für eine Reise an die äußeren Ränder der Dancefloor-Galaxie? Durch das Outer Rim des Hardcore Continuums? Denn genau dorthin wird euch Mr. Mitchs neueste EP auf dem ihm eigenen Label Gobstopper mitnehmen. Los geht’s mit dem wackelig-wuseligen 303-Breakbeat-Konglomerat „JACK RUSSELL”, das gleich mal in die äußerste Schienenkurve schmeißt. „LIKKLE TASTE” bohrt sich von dort aus tief in die auralen Hirnschichten hinein, bevor Mitch mit von hypnotischen Bassschwingungen angetriebenem R’n’B-Schmalz fragt: „R U IN IT?”
Eine rhetorische Frage natürlich, denn für ein Zurück ist’s hier längst zu spät – und so ergibt man sich nur allzu gerne dem mitreißenden Gummi-Stomp des abschließenden vierten Tracks “SPEED”. Immer gerne. Wahnsinnsplatte. Tim Lorenz
Niklas Wandt – I Wandt To Believe (Animals Dancing)
Niklas Wandt, der fitteste Fischerfetzenfetischist, Teufelstrommler und Solaranlagenmüslifabrikant, führt zur alljährlichen Rundreise über Deutschlands schönste Badeseen. Pünktlich zum Sommerbeginn hängt man sich dafür ein Handtuch mit lässigen Bibelsprüchen um die Hüfte und grinst ein bisschen blöd aus dem Humana-Hemd.
Würde man nicht ein paar Duracell-Häschen in die Bluetooth-Box friemeln, um mit 122 schnuckeligen Beats im Minütchen in Seelenreise zu stechen, man ginge auch als wohlstandsverwahrloster Schlauchbootvertreter der Gen Z durch. Doch halt, nein: Wer vom „Schlabberwasser“ kostet, wird irgendwann believen – an die Murmeltiere, die Traumfänger und -innen, an einen jener Glitzer-Blitzer-Wandt-Akkorde, die nach drei Teilen am Sonntags-Open-Air so richtig zu schieben beginnen.
Was sich „Im Verborgenen” alles auftut, muss man zwar selbst rausfinden, indem man mit Alice nachlegt oder sich auf Ibiza taufen lässt. Wer durchhält, tänzelt aber irgendwann mit Füchsen, Hasen und anderen Viecherln durchs Unterholz. Ergibt alles keinen Sinn, eh klar. Dafür kraftwerkt die Mukke psyched-out genug, um es auf die eingeatmeten Abgase des Bordsteinkanten-Benziner-Benz zu schieben. Christoph Benkeser
Redshape – Release Me (Running Back)
Der Titel mag Raushaudruck nahelegen, Release Me jedoch sieht den Berliner Produzenten Sebastian Kramer alias Redshape jedoch da, wofür er sich weltweit bereits einen Namen machen konnte: zwingende Clubtracks, die ohne offensichtlich hittige Figuren oder Samples auskommen.
Das Titelstück taucht auf in zwei Versionen. Im „Windy Mix” erzeugen Delays in der Keyboard-Figur einen Zustand des Träumens. Subfrequente Bassdrums hieven diesen Traum auf die Tanzfläche, wo Acid-Bleeps den zuvor eingegrenzten Raum zum nicht Messbaren hin öffnen. Der „Bass Mix” hingegen geht zielstrebiger ran, mit pointierten Hi-Hats, Chicago-Piano und straightem Beat. „Second Ten” beginnt mit housigen Percussions, um dann schnell zu wechseln zu Techno von Detroit’scher Eleganz und ebensolcher Wucht. Am Ende, im „Bonuz Beat”, greift Kramer ein drittes Mal auf das „Release-Me”-Thema zu, diesmal in 8-Bit-Spielchen. Wie die gesamte EP: weit draußen. Christoph Braun
Ruf Dug – Manctalo Beach (International Feel)
Diese Seven-Inch ist eine Verbeugung vor Manchesters Italo-Enthusiast Il Bosco, der das Kofferwort Manctalo mit Veröffentlichungen seines Labels Red Laser Records geprägt hat. Ruf Dug lebt nur wenige Straßen von Christian Wood entfernt.
Dementsprechend wird „Manctalo Beach” vom elektronischen Pulsieren einer klassischen Discobassline getragen, die gleichzeitig an „Blue Monday” erinnert, Synthesizerflächen lecken der Dünung gleich an den Gestaden des Meeressaums, während eine Bleep-Hookline über die Wellengipfel tanzt. Als Synthese von Italo Disco, New-Order-Erbe und Balearic Beats nahezu unschlagbar, wäre da nicht die fabelhafte „Version”, die Ruf Dug auf der B-Seite anbietet: in ihrer ausgeräumten, hypnotisch-immersiven Dub-Ästhetik den besten Gaznevada-Mixen vergleichbar. Mit Manctalo Beach legt International Feel einen lupenreinen Sommerhit vor. Harry Schmidt