Antoine Fontaine/ Few Crackles – № 106 (Edwin)

Antoine Fontaine alias Ntn mixt für die Jeansmarke Edwin organischen, verrauschten Dub mit Reggae und Jungle, wie man ihn auf seinem in Marseille, Lyon und Paris ansässigen Label Few Crackles findet und unterstreicht dabei seine Digger-Expertise. Mit Mark Ernestus’ Mix von „Congo Get Slap” von Equiknoxx lässt Fontaine die Roots-Klänge von Sheriff Lindo, Pretty Sneaky, Pecker und Erosion vom Anfang des Mixes hinter sich und wechselt in schnellere Gewässer. Auf die so verheißungsvollen wie melancholischen Fanfaren von Equiknoxx bzw. Mark Ernestus folgt Franken mit „YPY”, einer so fragilen wie durchdachten Rhythmus-Studie. Dann überrascht Fontaine mit einer Exkursion in einen dunklen Techno-Tunnel mit dem 1990 erschienen „Dr. Ronalds Beats” von der niederländischen Detroit-Legende Terrace, das in Acid-Gefilde abdriftet. Den Höhepunkt des Sets bildet eine Jungle-Sequenz, in der „Religion”, ein wüster Drum-Workout mit dramatischen Hardcore-Sequenzen von Formula von 1994, heraussticht. Fontaine ist ein leidenschaftlicher Selector, aber auch ein ebenso virtuoser DJ – die Dramaturgie des Sets ist ihm ebenso wichtig wie die Selection. So bringt er die Hörer*innen wieder in die chilligen Gefilde zurück, mit denen er sie am Anfang abgeholt hat. Den Schluss macht ein Rarität von Tandem, die deutsche Reggae-Pop-Single „Ein Typ Wie Du” von 1980. Ein „alberne Tracks, das musste sein”, sagt Antoine Fontaine schmunzelt dazu. Andrea Würtenberger

P.Vanillaboy – none/such (HÖR – Mar 12 / 2022)  

P.Vanillaboy, seines Zeichens Skater und Produzent aus Berlin-Charlottenburg, ist den Soundcloud-kundigen Electro-Fans da draußen schon seit längerem ein Begriff. Nach mehreren certified Hood-Classics wie „Heute Sport” oder zuletzt „Nachtschicht”, das auf DJ Swaggers Label Goddess Music erschien, folgt nun das HÖR-Debüt für none/such. 

Auf die wunderschön-kitschige Eröffnung mit Paradis’ „Toi et Moi” folgt gefühlsseliger Vocal-House bis Cinthies „Push it” die Hitparade der Newschool-Ghettotech-Speerspitze eröffnet und die Acid-Salven durchs Badezimmer fliegen lässt. Schließlich bricht die Nachtschicht an, die Breaks knallen und Viko63 & DJ Mell G beweisen, dass 2022 das Jahr der Techno-Rap-Crossovers wird. Für den sagenumwobenen Spannungsbogen wird dann zum Finale DJ Swagger himself heraufbeschworen, um dem Ganzen einen gebürend-gefühlsduseligen Abschluss zu bescheren. Till Kanis

Soichi Terada – Essential Mix (BBC Radio One)

Obvious choice, ist man hier nicht nur als Brit*in geneigt zu sagen. Soichi Terada ist einer der japanischen House-Producer, bei denen fast immer zu Gold wird, was sie anfassen, zuletzt etwa sein Album Asakusa Light auf Rush Hour aus dem Dezember. Für seinen Essential Mix greift er auf mitunter wohlbekannte deep house sounds from the far east zurück. Shinichiro Yokota, Kuniyuki Takahashi, DJ Nori oder Satoshi Tomiie sind nur einige der Namen, die im zweistündigen Mix auftauchen.

Wer außerdem mit der 2015 von Hunee zusammengestellten Compilation Sounds From The Far East etwas anfangen kann, wird maximal belohnt. Tracks wie „Do It Again” oder „Low Tension” holen gleich zum Einstieg ab und klingen – obwohl aus den frühen Neunzigern – irrsinnig zeitlos. Terada tritt als stilsicherer Altmeister auf, der gleichzeitig extrem Lust hat. Der gleichmäßige House-Trott regiert keineswegs, mal lockern Bongos die Stimmung, dann wieder schrauben sich quietschbunte Melodien in wilden Spiralen durch den Mix oder die Atmosphäre schwenkt innerhalb von Millisekunden um wie beim Übergang von Hiroshi Watanabes „The Strength In Life” zu Yukihiro Fukutomis „Revisions” wenige Minuten vor Ende. Ein absolut denkwürdiger Mix, der die Zeitlosigkeit insbesondere der House Music aus dem Fernen Osten monumental zelebriert. Maximilian Fritz

GiGi FM – RA.822

Erst kürzlich wurde im GROOVE-Roundtable über GiGi Fm und ihre Magnetite EP diskutiert, die im März auf Bambe erschienen ist. Im Zuge dieses Releases droppt sie einen vielschichtigen, zweistündigen Mix bei Resident Advisor. Der Mix lebt davon, Altes mit Neuem zu kombinieren und dabei selbst produzierte Tracks, veröffentlicht wie unveröffentlicht, mit einfließen zu lassen. Dabei jongliert Gigi gekonnt mit den unterschiedlichen Genres. Zu Beginn spielt sie viele eigene Produktionen, die gepaart mit den Tracks anderer aktueller Break-Engineers ordentlich braindancen. Nach gut 40 Minuten nimmt sie das Tempo raus und spielt kurz Beatless, bevor sie langsam aufbauend Breaks in ihr Set einfließen lässt.

Nach genau einer Stunde ertönt dann zum ersten Mal die kaum vermisste Kick im Viervierteltakt. Im Verlauf wird es hypnotischer und vielschichtiger und auch ein wenig housy. Am Ende ertönt das psychedelische „Cleo“ von maestro Donato Dozzy. Dieser Mix hat Tiefgang und eröffnet die Möglichkeit, alte Erinnerungen aufleben zu lassen, an neue Orte zu reisen und an mancher Stelle ganz mit der Musik zu verschmelzen. Und im Clubsetting natürlich auch zu tanzen. Um es in den berühmten Worten Chantals auszudrücken: Something for your mind, your body and your soul! Vincent Frisch 

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Stella Zekri – Venus Vessels (Radio80000)

Es ist wieder einmal so weit. Nach einem gefühlt endlos langen Winter zeigen sich die ersten Zeichen des Frühlings. Seit zwei Wochen dürfen die Clubs wieder ihren Betrieb aufnehmen, der Himmel ist fast jeden Tag in ein karibisches blau getaucht, die allgemeine Stimmung bessert sich. Die Berliner Crew Venus Vessels, zu der unter anderem auch die aufstrebende THC gehört, weiß mit dieser Stimmung zu arbeiten. In ihrer monatlichen Show auf dem Münchner Community-Radiosender Radio80000 präsentieren die Protagonist*innen häufig die euphorischere Seite der elektronischen Tanzmusik. Und auch dieses Mal trifft Venus Vessels mit einem Gastspiel von Stella Zekri ins Schwarze. Die gebürtige Französin, die schon lange in Berlin residiert, ist in der Stadt und auch außerhalb bestens bekannt. So stand sie schon auf Line-ups gefeierter Partyreihen wie der Cocktail d’Amore und hinter den Decks von Clubs von ://about blank bis Paloma. Auch zu Zeiten, in denen die Clubs still standen, gab es von Stella Zekri immer viel zu hören und nicht allzu selten bespielte sie Berlins womöglich bekanntestes Badezimmer. Erfrischend sympathisch dabei: die gerade zu hörende Platte stellt sie für alle sichtbar ins Bild, sodass man gar nicht erst nach der Track-ID fragen muss. 

In ihrer Show für Venus Vessels legt Stella Zekri ein Set hin, das nicht unbedingt Unerwartetes birgt. Aber das ist in dem Fall auch total schön so. In einer guten Stunde navigiert sie selbstbewusst wie immer durch sich aufbauende House-Grooves aus den neunziger Jahren, mit einigen perfekt platzierten Exkursionen in Richtung Disco. Die Musik verbreitet von Anfang an eine warme, fröhliche Atmosphäre. Mal ein paar catchy Vocals, mal ein paar kitschige Synths, pumpende Beats und eigentlich immer ein leises Knistern des Vinyls. Ein perfekter Start in den Frühling und in die kommende Saison! Jan Goldmann

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