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Carl Cox: „Das wäre, als würde man sich selbst grundlos bestrafen”

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Kaum ein Gesicht erscheint so oft in den Social-Media-Feeds erfolgreicher DJs wie das von Carl Cox. Zum einen hat das mit seiner gewinnenden, stets positiv gestimmten Persönlichkeit zu tun. Zum anderen repräsentiert er als DJ wie kaum ein anderer die britische Sichtweise auf Techno.

Schon auf den Raves der frühen Neunziger in der Umgebung von London spielte Carl Cox Techno, als dort noch die Breakbeats des Hardcore-Sounds dominierten. Später stand er zur reinen Lehre der gerade Bassdrum, als Kollegen wie Paul Oakenfold sich in Pop-Gefilden verloren.

Das Geheimnis seines Erfolges liegt unter anderem darin, dass er nie von seinem großspurigen, unmissverständlichen Sound abwich, der zwar die Nerds langweilte, dem großen Publikum aber genau die Beschallung lieferte, die für es zu einem gelungenen Rave gehörte. Anfang Dezember erscheint nach fortwährenden Verschiebungen sein fünftes Album Electronic Generations. Zu dieser Gelegenheit gewährte Cox GROOVE-Autor Simon Popp und Chefredakteur Alexis Waltz eine digitale Audienz.

Anfang Dezember erscheint dein neues Album, das erste seit einem Jahrzehnt. Wie verarbeitest du in den Tracks die vergangene Dekade?

Carl Cox: Ich bin nicht nur DJ, sondern auch recording artist, spiele Klavier und Drums. Schon immer wollte ich selbst Musik machen, habe meine eigene aber nie benutzt, um meine Karriere voranzutreiben, sondern weil ich Spaß dran hatte. Ich bin in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern aufgewachsen, da gab es keine DJs, die Musik produzierten. Musik kam von Bands. Es ging immer um Bands: Man wollte eine Band sehen, man war in einer Band. Bands mit Gesang, Gitarre und Schlagzeug. Es gab aber auch eine einzige Person, die alleine Musik machte: Das war Jean-Michel Jarre. Er stand allein auf der Bühne, spielte das Keyboard und alle waren beeindruckt. Das war, was mich interessierte: Elektronische Musik, keine Band, kein Gitarrist.

Warum hat Jean-Michel Jarre dich so beeindruckt?

Sein Sound hatte nicht die gängige Struktur mit verschiedenen Instrumenten, er hat alles aus dem Nichts erschaffen. Kein einzelner Musiker hat mich mehr inspiriert als er.

Carl Cox 2019 (Foto: World Famous Promotions/ Zenith Watches)
Carl Cox 2019 (Foto: World Famous Promotions/ Zenith Watches)

Zu was? 

Meine Musik entsteht mit keiner bestimmten Absicht. Sie entsteht, weil ich sie in meinem Herzen habe. Techno, House, Drum’n’Bass, Ambient, House, Trip-Hop – ich mag alle Stile. Die Herausforderung bestand für mich immer darin, ein Album zu machen. Mit einzelnen Tracks wäre ich ein one trick pony. Am Ende des Tages geht es aber darum, eine Geschichte zu erzählen.

Der Titel deines neuen Albums, Electronic Generations, deutet eine Geschichte an.

Das ist eine Geschichte. Ist das nicht fantastisch? Die Geschichte ist, dass ich eine Reihe von Generationen durchlaufen habe. Ich spreche nicht davon, was ich jetzt mache, ich spreche von der Geschichte, die mich hierher gebracht hat. Ihr seht mein Studio hinter mir, da sind auch einige Modulargeräte dabei. Während des Lockdowns war ich hier in meinem Haus eingesperrt. Da habe ich gespürt, dass ich kein Album machen kann, bei dem ich einfach nur Sounds auf das Raster lege. Ich wollte Geräte zusammenbauen und sehen, was dabei herauskommt. Einfach mal schauen, was passiert. Das Ergebnis hat mich begeistert, gerade weil es völlig unstrukturiert war. Das habe ich noch nie gemacht, einfach so im Studio drauf loszuspielen.

„Nimm’ Avicii: Ich habe erlebt, wie er durchgestartet ist – und ich habe ihn untergehen sehen.”

Wie hast du sonst gearbeitet? 

Normalerweise hast du vier Leute im Studio, der eine spielt Gitarre, die zweite Bass und so weiter. So entsteht eine Struktur. So habe ich auch auf meinen früheren Alben gearbeitet. Die Reaktionen waren immer: klingt okay, klingt nice. Das neue Album klingt aber nicht okay und auch nicht nice. Nun war die Reaktion eher Verwunderung, die Leute fragten: Wo kommt das her? Wie passt das zusammen? Wo will das hin? Und das Beste ist: Das weiß ich selbst nicht mal. Ich weiß nur, dass es bestimmte Momente gab. Und ich habe auf den Aufnahmeknopf gedrückt.

Warum erscheint das Album jetzt auf BMG und nicht auf Intec, deinem eigenen Label?

Ich habe das Album einfach gemacht. Matt King von BMG hörte es und sagte, er will das einfach so rausbringen, wie es ist, ohne Vocals, ohne Remixe. Das haben wir gemacht. Deshalb kann ich mit dem Album auch live auftreten. Das ist das Tolle: Ich kann die Musik live spielen, so wie sie im Studio entstanden ist. Das ist auch der Grund, warum ich sie überhaupt veröffentliche. Ihr seht: das begeistert mich wirklich. Ich werde damit in der Wembley Arena vor tausenden Menschen auftreten. Da treten normalerweise die Rolling Stones auf. Da weiß man, was einen erwartet. Aber Carl Cox in Wembley? Da fragt man sich, was das sein könnte. Man muss es erlebt haben.

Carl Cox im Gespräch mit der GROOVE (Foto: Screenshot)
Carl Cox im Gespräch mit der GROOVE (Foto: Screenshot)

Wie Jean Michel Jarre.

Der erste Auftritt meiner elektronischen Liveshow in Deutschland wird auf der Time Warp in Mannheim im nächsten Frühling stattfinden. Da werden keine CDJs auf der Bühne stehen, keine Computer. Nur ich und die Maschinen. Das ist die einzige Art, wie ich mir eine Rückkehr auf die Time Warp vorstellen kann. Denn nach 25 Jahren meinte ich, dass ich keine zweistündigen DJ-Sets mehr spielen will. Als Live-Act stehe ich da auf einer anderen Stufe. Ich bin seit 40 Jahren DJ, die Leute wissen, was ich als DJ mache, wir haben eine gemeinsame Reise durch die verschiedenen Generationen elektronischer Musik hinter uns. Diese Geschichte endet für mich. Mit meinem elektronischen Live-Act beginnt eine Neue.

Bevor wir in deine 40-jährige Karriere springen, haben wir noch eine Frage zu deinem Standing in der Szene. Du erscheinst in diversen Feeds junger Acts im Doppelporträt mit der betreffenden Künstlerin. Warum, denkst du, wollen die sich mit dir zeigen?

Ich bin der godfather. Nimm’ Charlotte de Witte. Als ich vor 25 Jahren zum ersten Mal auf der Time Warp spielte, war sie fünf Jahre alt. Damals wusste sie noch nicht, was Techno ist. Wenn wir heute auf derselben Stage auf dem Tomorrowland spielen, dann bin ich für sie jemand, der Techno von Anfang an miterlebt hat. Für sie ist das mindblowing, genauso wie es für mich mindblowing ist, zu erleben, wie sich die Künstler:innen entwickeln, die nach mir kommen. Nimm’ Avicii: Ich habe erlebt, wie er durchgestartet ist – und ich habe ihn untergehen sehen.

„Ich sagte einfach nur: Fuck it, guys, Ich gehe meine eigenen Weg.”

Wie ist das für dich, neben Künstler:innen zu spielen, die halb so alt sind wie du, die elektronische Musik ganz anders kennengelernt haben?

Ich liebe es. Und ich frage mich, wie es möglich ist, dass ich immer noch dabei bin. Zur Zeit gibt es viele weibliche DJs, die wirklich harten Techno spielen. Mein Set endet auf 128 BPM und Amelie Lens steigt mit 135 BPM ein. Ich denke dann: Wow, ok. Reinier Zonneveld fängt mit 135 BPM an und steigert sich in seinem Set auf 180 BPM. Bei 140 BPM steige ich dann aus. (lacht) Dabei ist alles, was die jungen Künstler:innen machen, nichts Neues für mich. Ich habe das vor 20 oder 25 Jahren gespielt, als Trance und die andere Richtungen zum ersten Mal aufkamen. 

Mit Oh Yes, Oh Yes hast Du im letzten Jahr auch deine Autobiografie veröffentlicht. Du erzählst unter anderem von deiner Zeit in den späten Achtzigern im Shoom, das als einer der ersten Technoclubs überhaupt gilt. Du bist dort zweimal aufgetreten, aber plötzlich wurdest du nicht mehr gebucht. Dann hast du deine Karriere über die Open-Air-Raves aufgebaut, die Anfang der Neunziger in der Umgebung Londons erblühten. Dort dominierten auch schon bestimmte Namen, Paul Oakenfold etwa. Wie konntest du dich da durchsetzen?

Paul Oakenfold hatte schon vor dem Shoom eine Montagnacht in einem Club namens Heaven. Ich war damals Paul Oakenfolds go-to guy für Soundsystem und Licht. Manchmal spielte ich auch als Warm-up-DJ für ihn, das war aber eher die Ausnahme. Als DJ kaufte ich vom ersten Tag an alle relevanten Platten, egal ob Techno, House, Gospel oder Garage, von den frühen Achtzigern an. Ich legte auch immer schon auf, aber damals im Heaven wurde ich nicht als DJ wahrgenommen – außer von Danny Rampling.

Danny Rampling machte mit seiner Frau Jenni das Shoom. 

Ich spielte eine Dienstagnacht im Kingston. Daran erinnere ich mich noch, als sei es gestern gewesen. Danny Rampling zeigte mir den Flyer für die erste Party im Shoom und erklärte mir, was dort laufen soll. German Beats und Chicago Acid House. Ich hatte das alles. Bei der Eröffnung spielten dann Danny Rampling und ich zusammen mit einem Warm-up-DJ. Ich spielte vor Danny und die Crowd drehte durch. Jenni Rampling sah, dass ich besser ankam. Deshalb ließen sie mich nach zwei Wochen nicht mehr spielen. Ich sagte einfach nur: Fuck it, Guys, ich gehe meine eigenen Weg. Das war für mich auch eine Lektion, wie man nicht mit Menschen umgehen sollte.

Carl Cox in den 1980ern (Foto: unbekannt)
Carl Cox in den Achtzigern (Foto: Unbekannt)

Dann bist du deinen Weg über die Raves gegangen. Dort bist du bald herausgestochen, weil du nicht den gängigen Hardcore-Sound gespielt hast, sondern auch Techno. Wie bist du auf diese Ausrichtung gekommen?

In UK hatten wir Breakbeats, ohne Kickdrum. Ich war der einzige DJ, der beides zusammenbrachte, Breakbeat und Techno, weil ich beide Energien mochte. Insgesamt kam viel mehr Techno raus, weil Breakbeats nur in UK produziert wurden. Vieles war cheesy, manches aber war großartig, LFO oder The KLF.

Wie haben die Leute auf deinen Stilmix reagiert? 

Er hat ihnen den Kopf verdreht, sie wussten nicht, was sie machen sollten. Das war der Carl-Cox-Sound. Ich spielte auch nicht mit zwei, sondern mit drei Plattenspielern. In Frankreich oder Deutschland spielte ich dann noch mehr Techno. Wenn ich mein erstes Mayday-Set [von 1994, d.Red.] anhöre, laufen da gleichzeitig Breakbeats und Techno und Trance. Das war mein signature sound. Es war aber mehr Techno als Breakbeat, im UK war es umgekehrt. Jeff Mills, Mark Spoon oder Laurent Garnier haben Techno gemacht, Carl Cox war immer ein anderer Sound, in dem zwei Richtungen aufeinandertrafen.  

„Die Hautfarbe ist die Hautfarbe, du musst wissen, wer du als Mensch bist. Wenn du ein Idiot bist, bist du ein Idiot.”

Hardcore-DJs wie Grooverider oder Fabio haben sich immer auf Breakbeats beschränkt.

Am Anfang habe ich das auch gemacht. Als ich angefangen habe, auch Techno zu spielen, standen Leute mit verschränkten Armen auf der Tanzfläche. Aber nach und nach habe ich die Raves mit meinem Sound infiltriert. Es gab auch zwei Veranstalter, Universe und Tribal Gathering, die ein europäisches Verständnis von Rave nach UK gebracht haben. 

Jetzt wollen wir wieder in die Gegenwart springen und über die Politisierung von Techno in den letzten zehn Jahren sprechen. Techno wurde woke, der Kampf gegen Sexismus und Rassismus zur absoluten Priorität. Du warst selbst von Rassismus betroffen, als du als junger Schwarzer im Norden Englands in der Nähe von Manchester aufgewachsen bist. Im Feierkontext der Neunziger war Antirassismus aber eher ein implizites Thema, es ging eher um Inklusion als um die Vermeidung von Ausschlüssen.

Ich kann nur von meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich bin in England, in einer weißen Gesellschaft, aufgewachsen, unter einer weißen Königin, die jetzt nicht mehr am Leben ist. Meine Familie kam aus der Karibik, aus Barbados. Meine Eltern sollten helfen, Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufzubauen.

Carl Cox in Mixmag 1992 (Foto: Presse)
Carl Cox im Mixmag 1992 (Foto: Presse)

Dein Vater war Busfahrer, deine Mutter Hebamme. 

Meine Mutter wurde festangestellte Krankenschwester, mein Vater irgendwann Supervisor eines Busbahnhofs. Ich selbst habe aber nie auf Barbados gelebt, bin durch und durch Engländer. Aber das war immer auch seltsam. Wo ich aufwuchs, gehörte ich zu einer Minderheit, in der Schule auch. Alle meine Freunde waren weiß. Ich habe mich aber immer verstanden gefühlt. Leute hatten aufgrund meiner Identität Probleme, aber nicht umgekehrt. Das ist heute immer noch so. Meine Fans sind mehrheitlich weiß, aber ich sehe Menschen als Menschen, egal von wo sie kommen. Die Hautfarbe ist die Hautfarbe, du musst wissen, wer du als Mensch bist. Wenn du ein Idiot bist, bist du ein Idiot. Wenn du ein guter Mensch bist, bist du ein guter Mensch. Damit bin ich aufgewachsen, nicht mit ethnischen Stereotypen.

Wie bist du so nachsichtig geworden? Warum kannst du Menschen ihre Rassismen verzeihen?

Ich denke nicht, dass ich dickfellig bin. Ich begreife, wie die Menschen sind. Ich werde immer wieder von rassistischen Stereotypen verfolgt, auch in meiner Position. Vor ein paar Tagen flog ich business class und die Stewardess fragte mich als einzigen in der Schlange nach meiner Bordkarte. Ich habe mich umgedreht und dachte: Warum hat sie niemand anderen gefragt?

„Ich finde gut, wenn Musik Menschen zusammenbringt und hilft, mit dem Leben fertig zu werden – egal, ob das Rock’n’Roll, Britney Spears oder David Guetta ist.”

Wie hast du darauf reagiert?  

Ich weiß nicht, ob es Absicht war. Aber sie hat mich ausgesondert. Ich habe nichts gesagt. Wenn Menschen mich nicht als Person erleben, sondern nur meine Hautfarbe wahrnehmen, ist das deren Problem, nicht meins.

Jetzt würden wir mit dir gerne noch über den Techno der Gegenwart sprechen, wie er von Netzradios wie HÖR gepusht wird. Im Zusammenhang mit deiner Kollaboration mit Nicole Moudaber hast du gesagt, dass Techno düster geworden sei in den letzten Jahren. Wie stehst du dazu?

Natürlich gibt es in der Szene Raum für jede Art von Musik. Jeder kann sich ausdrücken, wie sie oder er das möchte. Mich persönlich würde es eher deprimieren, wenn ich nur Schwarz tragen, nur düstere Musik hören und nur nachts das Haus verlassen würde. Nicht wegen der Gesundheit, sondern weil es nachts kein Licht gibt, weil niemand lächelt. Strahlende Gesichter geben mir eine positive Energie. Ich spiele auch düsteren Techno, aber ich lächle dabei. Das ist eine Stimmung, die man an einem Punkt hinter sich lassen muss, um in das Licht einzutauchen. Das ist auch einer der Gründe, warum Leute nach Ibiza fliegen. Sie wollen die Sonne genießen und nicht in einer dunklen Ecke 150-BPM-Düstertechno hören. Das wäre kein gelungener Urlaub.

Carl Cox auf einer seltenen Honda RCV213 der Klasse Moto GP (Foto: Presse)
Carl Cox auf einer seltenen Honda RCV213 der Klasse Moto GP (Foto: Presse)

Musik ist nicht nur dazu da, um Urlaubsstimmung zu verbreiten. 

Das wäre, als würde man sich selbst grundlos bestrafen. Nimm’ Kurt Cobain von Nirvana: Man kommt aus Seattle, einer der deprimierendsten Städte der Erde. Er macht die Musik, die er gemacht hat. Und er bringt sich um. Das kann ich nicht wirklich unterstützen, denn heute ist er nicht mehr am Leben. Bei Speedmetal-Hardcore-Techno geht es um Wut, man will der Welt sagen: Fuck you.

Vielleicht spiegelt man den Schmerz, den man selbst erlebt hat.

Wo ist da der Spaß? Und wie passt da das andere Geschlecht ins Bild? Stell’ dir ein Mädchen und einen Jungen vor, die sich so was zusammen anhören. Wie sollen die reagieren? Soll er dann zu ihr sagen: „Klingt cool.”? Wo soll das hinführen? Natürlich verstehe ich, dass man das Establishment und den Status Quo herausfordern will. Aber ich bin eine stets positiv gestimmte Person. Ich finde gut, wenn Musik Menschen zusammenbringt und hilft, mit dem Leben fertig zu werden, – egal, ob das Rock’n’Roll, Britney Spears oder David Guetta ist.

„Wenn deine Mutter im Sterben liegt, dann steigst du in den Flieger und denkst nicht über die CO2-Emissionen nach.”

Zum Schluss wollen wir noch über dein Leben jenseits der Musik sprechen. Du hast viele Hobbys, unter anderem unterhältst Du einen Autorennstall. Hast du zuletzt ein neues Hobby entdeckt?

Für etwas Neues habe ich keine Zeit. (lacht) Ich koche, ich kümmere mich um meinen Gemüsegarten, ich unterhalte einen Drag-Car-Rennstall, fahre Motorradrennen, ich repariere Motorräder und ich entwickle neue, experimentelle Rennautos. Dann gehe ich noch ins Studio, kümmere mich um mein Label und nehme neue Künstler:innen unter Vertrag. Da auch noch ein Privatleben zu haben und eine Beziehung zu führen, ist nicht so einfach. Mein Leben ist schon ganz schön voll. Ich komme also ohne Bungeejumping oder Tiefseetauchen aus. (lacht)

Die letzte Frage zielt auf die Klimakrise. Als Star-DJ reist du viel und nutzt auch immer wieder Privatjets.

Natürlich beschäftigen mich meine CO2-Bilanz und die Frage der Klimakompensation. Dabei nutze ich Privatjets nicht oft, nur wenn es nicht anders geht. Meistens bin ich mit Linienflügen unterwegs, und die Fluggesellschaften haben durchaus ein Bewusstsein für ihre CO2-Bilanz. Am Ende des Tages verstehen die Menschen, was mit dem Planeten passiert. Aber trotzdem nutzen die meisten Leute Flugzeuge, Autos oder Motorräder, um irgendwo hinzukommen. Wenn deine Mutter im Sterben liegt, dann steigst du in den Flieger und denkst nicht über die CO2-Emissionen nach – weil es schön ist, sie nochmal zu sehen.

Carl Cox 2019 (Foto: World Famous Promotions/ Zenith Watches)
Carl Cox 2019 (Foto: World Famous Promotions/ Zenith Watches)

Wenn man nur in diesem Fall fliegen würde, sähe die CO2-Bilanz trotzdem anders aus.

Mein Geschäft bestand immer darin, von A nach B zu kommen, um mit meiner Musik aufzutreten. Der Einsatz von Privatjets wird dabei oft falsch verstanden. Die Leute denken, wir wollen unbedingt mit dem Privatjet zu einem Gig fliegen. Aber gerade dieses Jahr war der Linienflugverkehr wegen Covid-19 sehr chaotisch. Ich hatte eine Tour mit drei Etappen, der mittlere Flug fiel aus und ich konnte nicht auf dem Tomorrowland auftreten. Dann sagen die Leute: Hättest du doch einen Privatjet genommen! Dabei haben sie sich im letzten Atemzug noch über den CO2-Aussto? beschwert. Wenn jemand ein Ticket gekauft hat, freut er sich darauf, mich zu sehen.

Wie verarbeitest du für dich persönlich dieses Dilemma? 

Ich bin ein freiberuflicher DJ, wenn ich nicht arbeite, verdiene ich auch nichts. Keiner erstattet mir meine Ausfälle. Wenn der einzige Weg zu meinem Auftritt ein Privatjet ist, muss ich den nehmen, egal, ob dir das passt oder nicht. Wenn du ein Auto nimmst, um einzukaufen oder deine Freundin zu treffen, machst du dasselbe. Denk an die Beatles: Die sind nicht Lufthansa geflogen. Led Zeppelin haben sich sogar einen eigenen Jet gekauft. Und das war in den Siebzigern, als Flugzeuge noch viel mehr Schadstoffe ausgestoßen haben. Da hat sich technologisch schon einiges getan. Leute werden Düsenjets nutzen, bis es Elektroflugzeuge gibt. Im Sommer auf Ibiza stehen mehr Privatjets am Flughafen als Linienflugzeuge – auch, weil man manchmal einfach nicht anders dorthin kommt.

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