Deux – Golden Dreams (Minimal Wave)
Neues Re-Release vom Re-Release: das von Veronica Vasicka betriebene New Yorker Label Minimal Wave veröffentlicht erneut Golden Dreams, eine vier Track starke EP des französischen Duos Deux. Bereits 2012 wurden die zuvor unveröffentlichten Studio- und Demo-Songs limitiert auf Vinyl auflegt. Nun ein Repress in Gold. Eine gute Farbe für die Kunst des charmanten Duos, das sich 1981 in Lyon gründete und 1992 mit der Housemaxi Out Of Time die letzte Platte veröffentlichte. Bevor sie sich im Strudel der neuen Genres House und Techno unter dem neuen, einmalig genutzten Pseudonym Be Trance auflösten, veröffentlichten der 2013 verstorbene Gérard Pelletier und Cati Tête in den Jahren 1983 und 1985 zwei bewegende Minimal-Synth-EPs voller Songs, deren simple Hooks den frühen Arbeiten eines Vince Clarke nahekommen. Das ist auch auf Golden Dreams spürbar.
Ihr kühl liebliches Duett im Synth-Funk-Titelsong ist sexy à la Jean Birkin und Serge Gainsbourg. Auch die Songs „Fam Fam”, das partiell an Stereo Total erinnert, und „Lassitude” tanzen sich im Synthpop aus. Einzig „Everybody’s Night” kippt in seiner Mitte in einen frühen House-trifft-Techno-Track um, der heute leicht antiquiert wirkt, Mitte der 1980er aber als Zukunftsmusik durchgegangen wäre. Auf allen Songs gibt es – mal französisch gesungen, mal englisch gesprochen – die für Deux typischen Duette, die so hingebungsvoll nonchalant die Liebe und andere Lebensumstände im Neonlicht umkreisen, dass es fast egal ist, welcher Groove die Lyrics antreibt. Michael Leuffen
DJ Python – Club Sentimientos Vol. 2 (Incienso)
Mit Mas Amable hat der New Yorker Producer Brian Piñeyro alias DJ Python 2020 eines der überraschendsten und gleichzeitig meistbeachteten Alben des Jahres herausgebracht. Wirkte sein Mix aus Deep House, Reggaeton, IDM und Ambient auf Papier etwas ausgedacht, erwies sich Piñeyro im Longplayerformat als Meister der Uneigentlichkeit.
Auf Club Sentimientos Vol. 2 inszeniert sich DJ Python nun im Licht dieser neuen Gelassenheit und lässt nonchalant wissen: „Ich bin nicht mehr daran interessiert, das Richtige zu sagen – nur noch das Wahre.” Nahezu elf Minuten lang zieht „Angel” das Ohr mit Tabla-Percussion, schwebenden Chords, elektrostatisch aufgeladenem Hip-Hop-Groove und Subbass-Pulsen in Bann. Der selbstvergessenen Hypnose stellt Piñeyro zwei aufgeräumtere, solipsistischere Tracks gegenüber: „TMMD (IMMMD)” blickt auf Bassmusik zurück, während „Club Sentimiental Vol Three” eine Art IDM-Ballade ist, die an Boards of Canada erinnert. Um Nostalgie scheint es DJ Python in seinem Bezug auf die Neunziger am wenigsten zu gehen, eher um die Rekombination kontingenter Möglichkeiten: In allen Tracks schwingt auch der zeitliche Abstand hörbar mit. Harry Schmidt
Ellen Allien – Rosen (UFO Inc.)
„Ich fühle mich nach dem Auflegen wohl und aufgetankt. Oder wenn ich ins Studio gehe. Das ist ein Prozess, den ich brauche, um mich frei zu fühlen”, hat Ellen Allien im August 2021 im Groove-Interview erzählt. Die Tracks auf ihrer EP Rosen energetisieren, die kräftigen Bassdrums pumpen Leben in den Körper, stoßen sachte an und versetzen in Bewegung. Um die Drums legen sich wärmende Synthesizer-Decken, die sich in alle Richtungen ausbreiten. Alle Titel – „N2020”, „KCKC”, „KCKC (Epic Mix)” und „Rosen” – nutzen ähnliche Mittel, haben aber in Variationen, beispielsweise in den Rhythmen, einen eigenen Charakter. „Rosen” springt mit Breaks und schwurbelndem Acid-Bass direkt auf die (heimische oder Club-)Tanzfläche und versinkt kurz tief im dichten Nebel, um strahlend wieder aufzutauchen. Die EP gibt einen Eindruck von Ellen Alliens Freiheitsgefühl, das durch die Tracks auf packende Weise überspringen kann. Philipp Weichenrieder
Julianna & Matias Aguayo – Que Si El Mundo (Cómeme)
Von Deutschland nach Kolumbien ist es ein langer Weg, über 9000 Kilometer, um genauer zu sein. Über diese Entfernung hinweg kollaborierten der deutsch-chilenische Produzent Matias Aguayo und die in Medellín lebende DJ Julianna. Mit Distanz beschäftigt sich auch Que Si El Mundo, mit dem die beiden nicht nur die Isolation der letzten Pandemiejahre verarbeiteten, sondern auch den dadurch neu geschaffenen Raum für Emotion und Freilauf.Fast schon unnahbar klingen die fünf Tracks in ihren minimalistisch-kühlen und von spärlicher Instrumentalisierung geprägten Momenten, und dann wieder therapeutisch, wenn filigrane Synths und polyrhythmische Drums hinzukommen. Durch die Platte zieht sich jedoch eine kalte, industrielle Ästhetik, die auch auf „Primer Paso”, geprägt von Kontrasten zwischen energischen Rhythmen sowie aufreibendem Wummern und hellen Plätscher-Geräuschen, zum Vorschein kommt. Zwischen einengend und entzerrt hält Que Si El Mundo durchweg eine gewisse Distanz, die wie ein Spiegel einer aufreibenden Zeit wirkt. Louisa Neitz
Lady Blacktronika – Edge Of Forever (Step)
Das Englische ist eigentlich eine sehr präzise Sprache. Doch Unschärfen gibt es dort auch. „Centipede” heißt in der Regel der Tausendfüßer, obwohl es dem Wortlaut nach ein Hundertfüßer ist. Was es im Englischen gleichfalls bedeuten kann. Wenn Lady Blacktronica den ersten Track ihrer neuen EP „A Centipede Bit My Dick” nennt, ist vermutlich letzterer gemeint und nicht der eher harmlose millipede. Denn der Kontakt mit einem Hundertfüßer kann ziemlich unangenehm sein.
Von Schmerz ist in der Musik wenig zu hören, dafür ein metallisch pumpender Bass, zischend shufflende Hi-Hats und eine elegant träufelnde Synthesizerfigur im Hintergrund. Bestens abgehangener Tech-House. Ebenfalls gut gereift sind die Disco-Zitate in ihrer dramatische Gesten geschickt einkapselnden „Carmen Disco”. Der Titeltrack schiebt dann schwadenartig verhallte Akkorde über einen fiebrig-komplex pochenden Beat, dazu eine (ihre?) Stimme, deren wiederholtes „I can’t stand at the edge of forever” für Dringlichkeit sorgt. Zum Abschluss äußerst solide verrumpelter Techno mit „Panny the World Believes”, im Wesentlichen getragen von diesem elektronischen Billigklaviersound, wie ihn seinerzeit „Vamp” von Outlander unsterblich gemacht hat. Alles sehr no-nonsense, von der Hundertfüßerattacke einmal abgesehen. Tim Caspar Boehme