MMM – On The Edge (MMM)

MMM veröffentlichen nach einer Ewigkeit gemeinsamen Musikmachens ihr erstes Album. Also nach 25 Jahren. Also ihr allererstes Album. On The Edge überrascht in seiner Heimhör-Tauglichkeit. Und gleichzeitig klingen die Tracks ganz vertraut in ihrer Perfektion, die sich nicht selbst im Weg steht, in der Energie des Dancefloors, die in diese Tracks für Zuhause hieingepresst ist.

Außerdem passt On The Edge in diese Monate: Ein Abfeiern der Isolation, ein Feiern der Zusammenkommerei. Einer der unerhörten Momente dieses Albums passiert auf Stück acht, „So Nigh” heißt es. Hier klingen MMM ganz verführerisch und liefern die sensorische Message in der Verpackung eines zärtlichen Dub-Riddims. Darüber entfaltet sich eine Frauenstimme, nimmt die Szene ein, und verblasst nur ganz allmählich. 


On The Edge ist Musik, die sich zuhause entfaltet. Und doch ist all die Energie der Dancefloors dieser Welt, so unerreichbar sie alle in den mindestens 18 Monaten Pandemie schienen, enthalten.


Wie sie singt, das klingt ganz verbindlich und führt zu einem Lovesong neuer Art. Hier zeigen sich die Produktions-Skills dieses Duos. MMM sind Errorsmith und Fiedel, beide so verzweigt im Berlin-Brandenburger Tech-Set, dass es die Geschichte wert ist, sie kurz zu erzählen. Doch zunächst noch zur Gegenwart: Fiedel ist Resident-DJ im Berghain, und Errorsmith ist Software-Entwickler mit dem Spezialgebiet Synthesizer.

Jede Veröffentlichung von Errorsmith, sei es mit Soundhack als Smith’n’Hack, solo oder eben als Teil MMMs, klingt immer cutting edge und übertrifft alle Erwartungen. Dafür spielen die Sounds gerne mit billigem Material, aus schierer Freude. Wie Errorsmith- und Smith’n’Hack-Produktionen auch sind die bislang großen MMM-Hits geprägt vom lustvollen Neuarrangieren der Geschichte von House und Techno.

„Infinity Crash” aus dem Jahr 2018 zaubert die Glitzerkälte der Disco über einen Freestyle-Beat. „Nous Sommes MMM” von 2010 spielt mit Tanzmusik aus Afrika wie Gqom. Und der „Electro Cut”, die erste Veröffentlichung des Duos von 1996, transportiert in einem Electro-Track die Energie des Brachland-Berlins. 

All das ist da auf On The Edge, doch wie der Track „So Nigh” schon zeigt, gibt es diesmal noch mehr Konzept, vielleicht gewollt, vielleicht, weil es die Zeiten einfach hergegeben haben. Ganz vorne schon: „Where To Go”. Meint in den Park spazieren oder doch am Fluss lang? Es findet sich das Über-Serielle, worin Fiedel und Errorsmith jeden Loop auskosten, bis Wiederholung zurückkehrt als Farce.


Wie ein gut runtergekochter Jus, der dem Salat etliche ungeahnte Aroma-Feuerwerke abtrotzt.


Ist das schon ein Charakterzug des MMM-Sounds, so gibt es zusätzlich das Element der Essenz. Gingen die beiden, die übrigens auch ganz normale Namen tragen – Erik Wiegand (Errorsmith) und Michael Fiedler (Fiedel) –, bisher gerne mit dem Flow und ließen ihren analytischen Kommentar zu Disco, House und Techno einfach mitlaufen, so scheint es auf On The Edge eher umgekehrt zu sein: On The Edge ist Musik, die sich zuhause entfaltet. Und doch ist all die Energie der Dancefloors dieser Welt, so unerreichbar sie alle in den mindestens 18 Monaten Pandemie schienen, enthalten.

Wie ein gut runtergekochter Jus, der dem Salat etliche ungeahnte Aroma-Feuerwerke abtrotzt. „No Thought” ist ein einziger Break, wird angetrieben von einem Schellenkranz-Sample, das so in dieser Vereinnahmung auch noch nicht zu hören gewesen ist in der elektronischen Musik, beleuchtet präzise platziert ein paar Kraftwerk-Robo-Stimmen: Spannung endlos.

„Everything Falls Into Place” hat was von einer Partie Flipper unter Androiden, so plastisch, dass es anmutet wie ein Computerspiel in Audio (und weniger wie ein Game-Soundtrack). Und in „When Does Ghosting End” legen sich halbtransparente Schichten übereinander und entwickeln einen sagenhaften Flow. Es gäbe noch mehr Beispiele zu nennen, etwa das Cello in „The Interview”.

Es ist so: Sie haben den Moment. Gerade stehen MMM wieder einmal mit „Donna” im Licht, nämlich auf der vielbeachteten Compilation No Photos On The Dancefloor. Ihren Sound und ihr Umfeld feiern MMM gleich weiter, wenn nämlich die nächste Ostgut-Ton-Jubiläumscompilation erscheint. Das ist ganz unverzüglich, und das passiert mit einem unverzichtbaren Track von MMM. Als Opener. Christoph Braun

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