Fort Romeau – Control 10,000 Leaves (Permanent Vacation)
Es scheint sich eine Traumehe anzubahnen. Da ist auf der einen Seite das Münchner Label Permanent Vacation, auf der anderen Michael Greene, den man vornehmlich unter seinem Moniker Fort Romeau kennt. Überraschen sollte uns das nicht: Die Vorliebe des Perm-Vac-Machers Benjamin Fröhlich für feste Künstler*innen-Stämme ist fast schon sprichwörtlich. Und warum eigentlich auch nicht? Fort Romeau passt ins Labelroster wie gemacht und fast vergessen.
Nach den etwas müde betitelten Singles Heaven & Earth, Fantasia und The Mirror folgt mit Control / 10,000 Leaves bereits die vierte Zusammenarbeit innerhalb kürzester Zeit. Die A-Seite klingt dabei wechselweise wie etwas, was PV-Frühbegleiter Bostro Pesopeo noch als total irre Demo rumliegen hatte, und einem Hivern-Discs-Gehirn-Zündling. Aus dem sich hoch- und runterschraubenden Derwisch spricht jedenfalls mehr Südeuropa, als man es von den unterkühlten Engländer*innen kennt. Der feuchte Kartoffelstampf-Beat wird da schnell nachrangig.
Auf der B wird hingegen etwas hermetischer gearbeitet. Feine Anklänge von verträumten Deep-House-Exkursen à la Roman Flügel auf Dial (File under: „Brian Le Bon”) sprechen da genauso raus wie gezähmte Progressive-Ideen. Was immer wieder droht, in eine technokratische Frostigkeit abzurutschen, mit leicht-chemisch-riechenden Schweißflecken, bekommt dann doch immer noch die Kurve; auf dem Thermostat steht: handwarm. Lars Fleischmann
Klara Lewis & Peder Mannerfelt – KLMNOPQ (The Trilogy Tapes)
Zwei schwedische Schwergewichte sind hier gemeinsam zu erleben. Klara Lewis ist die vielleicht eigenständigste Stimme, die Schweden in der elektronischen Musik zu bieten hat. Wer eine Ahnung davon hat, wie viele exzellente Klänge aktuell dorther kommen, kann diese Aussage besser einordnen. Peder Mannerfelt hat sich in den vergangenen zehn Jahren wie kein Zweiter musikalisch dafür eingesetzt, dass Techno und Ambient konsequent auch miteinander gedacht werden können. Abgesehen davon hat er als Produzent mit Fever Ray und Blonde Redhead gearbeitet; zusammen mit Malcolm Pardon bildet er das Duo Roll The Dice.
Auf KLMNOPQ zeigen die beiden also nicht allein im Titel, dass sie das Alphabet ihres Handwerks verstehen. Und sie kennen sich schon lange: 2014 hat Mannerfelt der damals 21-jährigen Lewis als Produzent zu ihrem ersten Release, der Msuic EP, verholfen. Dieses blinde Verständnis ist hier in jedem Sound zu hören. Wie bei „My Clementine Is Making Paella Tonight”, dem mit achteinhalb Minuten deutlich längsten der fünf Tracks dieser EP, in dem die Geräuschesuppe, dann der Rhythmus langsam zu köcheln beginnt, um dann ganz unrhythmisch Dampf abzulassen.
Ein weiteres Highlight ist „You Need To Be Kind”, das zuerst den spannungsgeladenen Moment im Club imitiert, wo die Tanzenden in jedem Augenblick den Einsatz der Bassdrum erwarten, wo der wummernde Viervierteltakt bereits im Kopf vorweggenommen wird. Lewis und Mannerfelt lassen diesen Moment konsequent ins Leere laufen, nehmen das Gefühl der Euphorie aber mit auf den weiteren Weg dieser ambienten Reise. Tolle Musik also. Leider nur 25 Minuten lang, leider noch nicht auf Schallplatte erhältlich. Sebastian Hinz
Nasty King Kurl – Weak Lips (Nerang)
Im Opener von Nasty King Kurls EP Weak Lips vermählen sich housige Vocals und ein heimtückischer Jungle-Bass zu Electro-Beats. Im zweiten Stück, dem Titeltrack, finden sich deutliche Spuren von G-Funk und Hip Hop über einem verfrickelten Breakbeat, konterkariert von smoothen Rhodes-Akkorden. Das folgende „Low Carb Bitches” verneigt sich eindeutig vor Detroits Electro-Techno-Stammbaum unter sich daraus ergebender Verwendung von Footwork- und Hip-Hop-Elementen.
Und in dem herrlich betitelten „Make Tech House Great Again” findet schließlich alles statt, nur nicht Tech-House – dafür ein Vocalsample, das sich gnadenlos durch beinahe den gesamten Track zieht und erst nach guten fünf Minuten vom Einsetzen des Basses in seine Schranken verwiesen wird. Das liest sich nicht nur opulent, sondern ergibt auch gehört eine der besten EPs der letzten Monate aus dem undogmatischen Electro-Fach – und ein DJ-Tool vor dem Herrn. Und falls jemand noch nach einem wirkungsvollen Mittel gegen drohende Herbstdepression oder den inneren Morgenmuffel sucht – „Weak Lips” macht auch mit diesen Dämonen kurzen Prozess. Word! Mathias Schaffhäuser
Sven Weisemann – Limerence ToolZ Vol. 1 (Mojuba)
Keine Frage: Sven Weisemann ist ein guter Handwerker. In der Regel aber verwendet er Werkzeuge und stellt keine Tools her. Limerence ToolZ Vol. 1 für die neue, Dancefloor-orientierte FREKOBA-Serie auf Mojuba ist allerdings schon in den Titel eingeschrieben, dass auch diesen Handreichungen für DJs eine Weisemann-typische Emotionalität innewohnt. Obwohl es über all die limerence, die Verknalltheit, tatsächlich noch knallt, keine Sorge. Nachdem „△” noch als sanfter Deep-House-Schieber einsteigt, regelt Weisemann das Tempo wie auch das Energielevel auf den Folgetracks graduell hoch, kämpft sich also behutsam vom Opening zur Peak-Time vor.
Der von Detroit-House inspirierte Funk von „▲▲△” schlägt dabei auch die Brücke zum polternden Beat, mit dem „▷” die Flipside eröffnet und darauf noch eine wummernde Bassline legt. Es wird eine Angriffslust hörbar, wie sie in Weisemanns Diskografie eher die Ausnahme ist. Schon im Folgetrack allerdings weicht sie buttrigen, mit ratternden Bongos garnierten Grooves und verflüchtigt sich endgültig im Finale, einem sehnsüchtigen After-Hour-Track.
Die Handschrift Weisemanns, sein Faible für musikalische und klangliche Tiefe, ist jedem dieser Tracks eingeschrieben. Und obwohl die allemal ein multifunktionales Paket für die rapide ausklingende Open-Air-Saison darstellen: In ihrer Gesamtheit berichten sie doch vom Aufflammen, dem Plateau und dem Abklingen heftiger Gefühlsregungen. Weisemann ist eben nicht nur ein guter Handwerker, sondern vor allem ein exzellenter Geschichtenerzähler. Kristoffer Cornils
Willow – Workshop 30 (Workshop)
Wie die letzten Sonnenstrahlen des Sommers versprüht Workshop 30 eine sanfte Wärme. Sophie Wilson alias Willow verschreibt sich weiter einem angenehm weich groovenden House, driftet an mancher Stelle jedoch auch in andere Gefilde ab. Auf „Phoebe” exploriert sie mit entzerrtem Rhythmus Dub, auf „Strawberry Moon” geht es auf einen außerirdischen Ausflug mitsamt stolperndem Breakbeat zu galaktischem Rumoren.
Was jedoch die gesamte EP trotz Genre-Erkundungen durchzieht, sind weiche, neblige Pads. „Squirrel City” reichert diese mit einem gemächlich groovenden Bass an, auf „Sexuall” kommen Perkussionen und assoziativ eingesetzte Vocal-Fitzelchen wie gemurmelte Worte oder Atmen hinzu, die eine sinnliche Aura erzeugen. Wilsons Sound ist von einer schwer beschreibbaren Unbeschwertheit geprägt. Die Tracks sind eher minimal statt überladen gehalten, und von ihnen geht eine milde Ästhetik aus, ohne fad zu klingen. Reduziert und verspielt zugleich steuert Workshop 30 fast schwerelos in Richtung frühherbstliche Wärme. Louisa Neitz