Electric Party – Play (Knekelhuis)
Lediglich mit einem Tape, 1982 auf dem Cassette-Only-Label Fetisj erschienen, in Erscheinung getreten ist die Band Electric Party aus Amsterdam. Im Schmelztiegel von Hausbesetzerszene und Kunsthochschule gegründet, scheint die Formation um DJ Solo alias René van Rijn und Leo Low Wernaert gut vernetzt gewesen zu sein: Robert Smith habe nach einer Afterhour-Party auf seinem Sofa um ein Haar seinen anderntags geplanten Auftritt in Hamburg verschlafen, erzählt van Rijn in den Linernotes von Play. Was Mark van de Maat mit seinem Imprint Knekelhuis damit verfügbar machen, ist zwar technisch eine Compilation – drei Songs entstammen dem Debüt-Tape Work, sechs weitere sind unveröffentlichte Kassettenfunde –, fühlt sich aber auch wie ein nachgetragener No-Wave-Meilenstein einer zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Legende an. Allein schon „Tension“ reicht aus, alle Mutant-Disco-Funk-Wünsche zu erfüllen – ein Instant-Hit, der klingt, als hätten Liquid Liquid ihn mit ESG aufgenommen. „Catwalk” wiederum hört sich an wie eine gleichzeitige Antwort auf Blondies „Rapture” und „Lovecats“ von The Cure. In „Portrait of Ezra Pound“ trifft Synth-Wave auf Tangerine Dream. Zeittypisch die offensiv-melodramatischen Vocals im Stil der New Romantics, wenn Monique Koolen zu hören ist, denkt man leicht auch an Saâda Bonaire. Ein wenig aus der Rolle fällt „Caribe“: 1987 zur Eröffnung einer spanischen Discothek aufgenommen, verschmilzt die Punky-Reggae-Party hier mit dem Manchester-Acid-Rock der späten Achtziger und einer Prise Italo Disco zur Parodie eines Stranddisco-Sommerhits. Nichtsdestotrotz: „Play“ ist nicht weniger als eine essentielle Ausgrabung. Harry Schmidt
fabric presents Danilo Plessow (fabric)
Danilo Plessow dürfte den meisten unter dem Synonym Motor City Drum Ensemble ein Begriff sein, mit dem er einen House-Sound á la Moodymann prägte. Gleichwohl verschrieb er sich nie einem einzigen Stil, sondern ist bekannt als Vinyl-Head, der Genre-übergreifenden DJ-Sets spielt.
Auch für die fabric-presents-Reihe unternimmt er eine Reise durch die Jahrzehnte, was dem fertigen Mix aber nicht so sehr anzumerken ist, da er sehr konsistent wirkt. Im Gegensatz zu früheren Releases ist ein deutlicher Shift weg von organischen Samples aus Funk und Disco hin zu elektronischen Klangerzeugern zu spüren.
Zu Beginn baut er eine gefühlvolle Klangkulisse auf, bestehend unter anderem aus dem Stück „Understanding Body Messages” von Kaitlin Aurelia Smith. Daraus erwächst der wunderschöne Rhythm & Sound-Track „Music A Fe Rule“, der langsam in Raymond Castoldis aka Scientists „In Orbit” übergeht. Die beiden Nummern greifen so mühelos ineinander, im Club würde das einen Moment kollektiver Endorphinausschüttung befeuern.
Danach nimmt der Mix an Fahrt auf, mit Tracks wie „Dark Room” von Moogroove oder Recloose feat. Dweles „Can’t Take It (Herbert’s Some Dumb Dub)” mit seinem wundervoll emotionalen Vocal. Mit „Sky Walkers” von Proxyan und „Rain Dance” von Ciel finden auch zeitgenössische Künstler*innen ihren Platz, ehe er in einer Reihe von Tracks von Cabaret Voltaire, The Order, Iridium und Moonstarr dem Techno/ Ambient/ IDM Sound der 90er und 00er Tribut zollt: Diese Tracks geben wohl am besten die Essenz des Mixes wieder. Sie waren seinerzeit mit Sicherheit stilprägend, als Danilo Plessow mit Joachim Tobias als Inverse Cinematics seine ersten Platten veröffentlichte (Die Slow Swing EP erschien 2002). Man könnte die Selektion also auch als Rückbesinnung verstehen.
Und natürlich steht der Mix auch unter dem Zeichen der Pandemie. Die macht Danilo Plessow zum Thema, indem er Freunde befragte, was Musik für sie bedeutet. Die entstandenen Aufnahmen ließ er in den Mix einfließen. Und so endet das Set nach etwa 75 Minuten mit den Worten: „Without music, lockdown would’ve been a fucking nightmare”. Dem ist nichts hinzuzufügen. Philipp Gschwendtner
Grauzone – 40 Years Anniversary Box Set (WRWTFWW)
Übertrieben neo-expressive Songtexte, historisch früher Einsatz des Maschinenparks bei gleichzeitiger Verortbarkeit im Punk; darstellen, feiern, überhöhen und persiflieren des “Leere Welt”-Themas: Mami sag’ doch, sind Fraktus wieder da? Nein, nein, Dummerchen, das hier sind doch die, deren Songs die drei Hamburger Männer rauf- und runtergehört haben müssen, als sie sich auf ihr Mockumentary gleichen Namens vorbereiteten. Grauzone ist das einzige Album einer Band, von der kaum jemand überhaupt ein Album kennt. Grauzone ist erschienen vor vierzig Jahren. Zu diesem Anlass veröffentlicht das Genfer Label We Release Whatever The Fuck We Want das Album neu. Es lohnt sich. Denn die Geschichte der Band klingt wie ein Muster der Post-Punk-Ära. Ein Teil der Band war bereits in einer Punk-Band in Bern aktiv, dann kamen die beiden Eicher-Brüder Martin und Stephan zur Besetzung hinzu und das Rock-Instrumentarium ergänzten die zu Grauzone Umbenannten mit Samplern und Synthies. Und die Gruppe röchelte fortan vollauf zeitgenössisch.
Würden die Gitarren in “Wütendes Glas” nicht so rumschmrammeln, der Song könnte die Kraft von DAFs “Kebap-Träume” entfalten, so muskulös schnellt die Rhythmusgruppe. “Film 1” und “Film 2” zeigen Athmosphärenkunst im Medium der Instrumentalmusik. “Hinter den Bergen” versucht, einen Kurztext durch Wiederholung und Dub-Bearbeitung zum Klingen zu bringen. Das funktioniert, so gut gar, dass nur kurze Zeit Franziska Menke und Harald Gutowski wohl eine Geschichte drum herum stricken und unter dem Titel “Hohe Berge” in die Hitparade bringen mussten. Es kam aber auch von Grauzone ein Hit, nö, der Hit: “Eisbär”. Und danach ging es schnell schon wieder bergab. Mit der Band, nicht jedoch mit Stephan Eicher. Der wurde zu einer Art Udo Lindenberg der Schweiz. Erkenntnisbringender Fund der Archäologie: Band und Album lohnen auch tiefergehende Forschungen. Christoph Braun
Jayda G – DJ-Kicks (!K7)
Die junge Kanadierin Jayda G hat im letzten Jahr vor der Pandemie starke 80 Gigs abgerissen und sieht sich trotz Corona dem DJing stärker verbunden denn je. Auch wenn die gelernte Meeres-Biologin während der Pandemie mal mit dem Gedanken spielte, wieder zu ihrer Forschungsarbeit zurückzukehren, beweist sie mit diesem Eintrag in der altehrwürdige DJ-Kicks-Reihe, dass sie ihre wahre Berufung hinter den Decks gefunden hat.
Die erste halbe Stunde ihrer 21 Tracks umfassenden Selection kommt dabei ganz ohne Beatmatching aus. Was aber weder stört noch auffällt, da sie nahtlos den Bogen von Soul zu Funk zu Gitarren und Jazz spannt, um schließlich mit Boogie und Disco auf die Zielgerade Richtung House und Dancefloor einzuschlagen. Sie fährt diesen zarten Anlauf erfolgreich und zeigt damit einerseits die afroamerikanischen Wurzeln der elektronischen Tanzmusik auf, gleichzeitig wirkt ihr Einstieg rund und mühelos; wie jemand, der einfach aus der privaten Kollektion ein paar Platten hervorholt und damit schließlich in einem Flow landet. Der beginnt mit gut-gelauntem Neunziger-House voller Instrumente und mit viel Freude. Überhaupt drückt Jayda G immer eine gesunde Portion Optimismus aus, der sich durch ihre Sets und Produktionen zieht.
Mit Tracks von ihrer Landsfrau LNS oder von DJ Boring sind wir mitten im Mix dann in der Gegenwart angekommen; ganz unbemerkt haben sich diese ebenfalls positiv schimmernden House-Stücke im Set eingefunden. Bald folgt Jaydas eigene neue Single „All I Need”, die so etwas die den Höhepunkt des Mixes darstellt.
Mit weicher Stimme singt die Vancouveranerin von vergangenen Zeiten, als sie gemeinsam mit ihrer dortigen Posse die ersten Partys organisierte, und wie sie immer noch die gleichen Gefühle wie damals hegt. Zum Schluss bleibt es soulful und deep, mit weiteren Klassikern wie Houses Of Jazz’ „Hold Your Head Up” von 1995, dass schon auf MCDEs Mix für die Dekmantel Selectors-Reihe eine Wiederentdeckung erlebt hatte, oder auch offensichtlichere Picks wie Fit Siegels „Tonite” im „Detroit Mix” von Omar-S. Kozes „Homesick” darf das Outro einläuten, bevor die Aufnahme auf einer ebenso souligen Note stoppt wie sie begonnen hatte. Es festigt sich der Eindruck vom Anfang, dass da jemand auch einfach zu Hause für ein paar Freunde aufgelegt haben könnte, und zwischendurch eben zufällig eine Party abgefeiert wurde – genau so wie Jayda G eben auch einen Gig vor Publikum spielen würde. Leopold Hutter
Seefeel – Rupt and Flex (1994-96) (Warp)
See? Feel? Hear! Die allererste Gitarren-Band, die jemals auf Warp Records veröffentliche, schlittert mit frischen Reissues aus den 90ern in die Playlist. Seefeel, die Träumelinchen um Sarah Peacock und Mark Clifford, waren schon immer eine Mogelpackung für verkannte IDM-Puristen. Aphex Twin war Fan, remixte ihre Stücke und brachte die Band nach ihrem Debüt zu Rephlex. Kein Wunder, dass Warp-Head Steve Beckett später anklopfte, um die Electronic-Fraktion mit Sack und Pack auf sein Label zu locken. Seefeel tourten mit den Cocteau Twins, drei Alben erschienen bis 1996, dann war Sense. Autechre mischten an einigen Stücken in den 2000ern rum, Richard D. James spulte einen Mix for Cash ab. Ansonsten: Stille. Peacock und Clifford holten 2008 mit DJ Scotch Egg und E-Da neue Leute in die Band. 2011 erschien Seefeel auf Warp Records. Über zehn Jahre später springt man zurück zum Ursprung. Das Set Rupt and Flex (1994-96) zeigt, warum die Band in den 90ern Brücken zwischen Dream Pop und IDM, zwischen Post-Rock und Drone schlagen konnte. Wer sich von den drei Dutzend Tracks nicht einlullen lässst, folgt Spuren von Labradford und Flying Saucer Attack, um dabei zuzuhören, wie My Bloody Valentine mit Portishead ein Kind zeugen – und es auf den Namen Amber taufen. See? Feel! Christoph Benkeser