Cakeshop Seoul (Foto: Presse)
Während wir uns von einem Lockdown zum nächsten hangelten, schien die Lage auf der anderen Seite der Erde schon seit geraumer Zeit unter Kontrolle zu sein. Viele Länder in Asien weisen kaum Neuinfektionen auf, und es wirkt, als kehre langsam wieder etwas Normalität in den Alltag zurück. Auch Clubs in manchen Ländern dürfen unter bestimmten Restriktionen wieder öffnen.
Im Stadtbezirk Itaewon, mitten im Herzen der südkoreanischen Hauptstadt, das als Ausgeh- und Szeneviertel gilt, liegt der Club mit seinem verspielten Warehouse-Stil und dem schwer zu übersehenden, rot leuchtenden Cakeshop-Schriftzug. Untergebracht in einem der ältesten Gebäude der Gegend, ist die Location bekannt für seine Geschichte als ehemaliges illegales Striplokal, das sich früher zwischen den Wänden befand und dem Kellerclub heute seinen einzigartigen Charme verleiht. Eine breite Auswahl an lokalen Underground-DJs und internationalen Acts aus vielen verschiedenen Genres tritt hier normalerweise auf. Für diese Bandbreite stehen Nevin und Sam, die sich im Interview zur Geschichte von Cakeshop äußern, die Szene in Südkorea beschreiben und die politische Maßnahmen kritisieren.
Wie entstand Cakeshop?
Nevin: Alles begann im Jahr 2012. Ich war in Toronto und Sam war in Seoul. Als Sam hierher kam, haben wir angefangen kleinere Partys zu veranstalten. Dann haben wir diesen alten Stripclub entdeckt, der sich als die perfekte Location für uns herausstellte. Der Ort mit seiner Vergangenheit und die Underground-Atmosphäre haben genau zu unserer Vision gepasst. Und zu dem, was wir damals repräsentierten. Außerdem gab es eine Club-Lizenz, was hier in der Gegend sehr selten war. Das hat uns sehr in die Karten gespielt.
Sam: Wir hatten immer große Probleme, geeignete Locations für unsere Veranstaltungen zu finden. Insbesondere für das, was wir damals machten. Hier gibt es auch nicht so viele Locations wie in Berlin oder anderen europäischen Städten, wo man eine Party organisieren kann. Das ist hier anders. Wir mussten also in eine Bar oder einen Club gehen, um das zu machen, was wir wollten. Das Resultat war, dass die Clubbesitzer*innen irgendwann sauer auf uns waren, obwohl sie viel Geld mit den Partys verdienten. (lacht)
Was war die Idee hinter dem neuen Label Carousel ?
Sam: Die Idee hatten wir schon lange, aber leider nie die Zeit dafür. Wir sind nur ein kleines Team und konnten deshalb viele unserer Ideen noch nicht wirklich umsetzen. Dieses Jahr ist Zeit aber alles, was wir haben. Das hat uns ermöglicht, darüber nachzudenken, was wir veröffentlichen wollen. Im Endeffekt ist das Ziel, mit dem Label alle Künstler*innen in Asien und auf der ganzen Welt zu verknüpfen.
Nevin: Das fühlte sich an wie ein natürlicher Prozess. Dieser Schritt ist wie das letzte Teil im Puzzle für uns.
Wie kam die Compilation zustande, die ihr in diesem Jahr veröffentlicht habt?
Nevin: Jede*r Künstler*inn auf der Compilation vertritt eine bestimmte Szene oder eine eigene Kultur. Sie ist ziemlich breit gefächert und erzählt im Ganzen die große Geschichte von Cakeshop, allerdings nur einen Bruchteil von dem, was noch kommt.
Wie hat sich die Clubszene in Südkorea über die Jahre entwickelt?
Sam: Um ehrlich zu sein: Vor der Pandemie hat es langsam angefangen, interessant zu werden, obwohl Musik und Szene zum Teil sehr ausgereizt wurden. Es ist schwer zu sagen, weil jede Stadt anders ist. Der Großteil spielt sich jedoch in Itaewon und Yeouido ab. Zweiteres ist bekannt für seinen Warehouse-Flair und Kunstinstallationen. Dort war die Entwicklung wirklich sehr interessant mit anzusehen – und die damit einhergehende Gentrifizierung. Die kleineren Clubs wurden dadurch stark unter Druck gesetzt, mehr Geld zu verdienen. Wenn du hier durch unsere Gegend gehst, merkst du, dass etwa 50 Prozent der Clubs leer sind. Und das war schon vor Corona so.
Wie hat Südkorea die Pandemie im Griff und welche Maßnahmen wurden eingeführt?
Sam: Es gab viele Temperaturmessungen, die Leute mussten überall ihre Daten hinterlassen in Form von QR-Codes und Tracking. Das war eine sehr strenge Maßnahme, die uns aber wahrscheinlich vor dem kompletten Lockdown bewahrt hat, wie er in anderen Ländern gemacht werden musste. Dann gab es einen Ausbruch in den Gay-Clubs hier in der Nähe und sofort wurden alle Clubs geschlossen. Erst vor Kurzem wurde uns erlaubt, bis 22 Uhr zu öffnen. Theoretisch hat hier alles geöffnet, aber nur bis 22 Uhr. Tanzen ist nicht erlaubt und es gibt bestimmte Kapazitätsregelungen, die wir einhalten müssen. Für uns ist das nicht so schlimm wie für andere. Wir können in einer entspannten Atmosphäre agieren, viele Leute unterstützen uns.
Nevin: Wenn man die Gesamtlage von außen betrachtet, scheint es so, als würde hier alles toll laufen. Aber in Wirklichkeit ist die Situation sehr schlecht. Die Menschen haben keinen Job und die Stimmung ist allgemein einfach bedrückend. Wir haben zwar kaum Infektionen, aber viele Teile der Gesellschaft bekommen kaum oder gar keine Hilfe. Den Clubs hat das natürlich besonders weh getan.
Wie gehen die damit um?
Sam: Der Fakt, dass wir keine Unterstützung erhalten, hat die Clubszene hier sehr getroffen und bringt die Leute wieder mehr zusammen. Wir wissen jetzt, dass wir auf uns alleine gestellt sind – und uns gegenseitig unterstützen müssen.
Was haltet ihr von den Maßnahmen ?
Zu Beginn der Pandemie haben viele Clubs von sich aus geschlossen, aber wir hatten noch offen und eine gute Zeit. Wir dachten, wir hätten es unter Kontrolle, und ich bin der Meinung, dass das auch stimmt. Die Clubs sollten wieder öffnen, um ehrlich zu sein.
Hört sich nicht so an, als würden das alle Clubs ohne fremde Hilfe überstehen.
Sam: Viele Locations mussten schon schließen. Vor allem die großen Live-Venues mit hohen Mietkosten schaffen das nicht. Theoretisch dürfen wir ja bis 22 Uhr öffnen, aber ich sehe viele Clubs mit geschlossenen Türen und bin der Meinung, dass die sich in Zukunft nicht mehr öffnen.
Wie geht es der Clubkultur während der Pandemie? Bekommt ihr Unterstützung?
Sam: Wir haben von der Regierung überhaupt keine Unterstützung erhalten. Grundsätzlich versuchen sie, das Nachtleben hier langsam sterben zu lassen. Es fühlt sich fast so an, als würden sie sich wünschen, dass es gar nicht existiert. Eigentlich ist allen klar: Wir sind unerwünscht. Und das ist ziemlich hart für uns alle nach all den Jahren, in denen wir dachten, wir sind Teil von etwas.
Alle Clubs besitzen dieselben Lizenzen wie die Hostessen-Clubs hier. Wir werden so behandelt, als wären wir kein wirklicher Teil der Gesellschaft. Die Regierung hat ebenfalls viel Einfluss auf die Medien, die nur bestimmte Anweisungen befolgen. Du kannst keine ehrliche Meinung von den Medien zu diesem Thema erwarten und musst deshalb sehr vorsichtig sein. Es ist schon über ein Jahr vergangen, in dem die Clubs, DJs und andere Künstler*innen keine finanzielle Unterstützung erhalten haben.
Die Clubszene wird dadurch also noch politischer?
Sam: Ja, es wird sehr politisch. Viele Leute hier haben diesen Aspekt der Clubszene bis jetzt nicht verstanden. Ich glaube, das ist jetzt passiert. Vorher war der Grund fürs Feiern einfach nur eine gute Zeit zu haben und über sonst nichts nachzudenken.
Auf was habt ihr euch konzentriert, seitdem die Clubs geschlossen sind?
Nevin: Wir haben einige Livestreams via Club Quarantine veranstaltet und viel Zeit in das Label investiert. Eine weitere Einnahmequelle für uns ist der Online-Verkauf von Merchandise, der uns finanziell hilft. Der Fokus hat sich in der Zeit hauptsächlich auf lokale Bookings und die lokale Clubszene verlagert, was auch seine Vorteile mit sich bringt. Allgemein versuchen wir, mehr Online-Content in Verbindung mit dem Label zu realisieren.
Wann wird das Nachtleben wieder zur Normalität zurückkehren und was wird sich ändern?
Sam: Viele Menschen hier, die versuchen in dieser schwierigen Lage irgendwie zu überleben, sind sehr emotional. Ich glaube, nach der Pandemie wird es musikalisch sehr viel interessanter. Jetzt gibt es die Möglichkeit alles mal herunterzufahren, und, einfach gesagt, den ganzen Müll zu entfernen, denn es wurde irgendwann einfach zu viel. Seitdem einige Clubs wieder offen haben, wenn auch nur bis 22 Uhr, gehen die Leute raus und feiern. Es ist auch egal, wer spielt, sie wollen einfach rein. Die DJs bekommen weniger Gage, weil die Clubs weniger Geld verdienen. Und die Leute haben auch weniger Geld. Es geht wieder zurück zu den Wurzeln.
Sam: Einige Agenturen haben mir geschrieben, sie hätten Pläne für 2021. Aber ich sehe nicht, wie wir diese in die Tat umsetzen sollen. Die Clubs werden vielleicht öffnen, aber ich bezweifle, dass weltweites Touring so schnell wieder möglich sein wird. Das wird noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.
Nevin: Vor allem viele Agencies in Europa sehen kein Licht am Ende des Tunnels.
Sam: Man muss optimistisch sein!
Nevin: Wenn ich sie frage, wie es ihnen geht, bekomme ich eine E-Mail, in der steht: „Diese Person arbeitet nicht länger für dieses Unternehmen”. Vor allem Booker und Promoter sind in Gefahr, verlieren ihre Jobs oder müssen sich was anderes suchen.
Wie unterscheiden sich die beiden Kontinente in diesem Aspekt?
Sam: Die Lage in Korea und in großen Teilen Asiens ist ok und wir werden die Pandemie überstehen, aber der Rest der Welt ist irgendwie unverantwortlich. Es fühlt sich so an, als wollen sie nicht so schnell wie möglich wieder zur Normalität zurück. Das wird um einiges länger dauern als in den asiatischen Ländern. Viele Künstler*innen können aus diesem Grund für eine längere Zeit nicht bei uns spielen. In Zukunft wird es wahrscheinlich möglich sein, eine Tour in Europa zu organisieren. Und wir werden das in Asien bestimmt auch hinbekommen, aber die Verbindung untereinander wird komplizierter.