Mozhgan (Sämtliche Fotos: Presse)
Bis Anfang letzten Jahres tummelten sich amerikanische DJs hinter den Decks hiesiger Clubs und Festivals. Mozhgan aus San Francisco war eine von ihnen, ihr düsterer Electro-Sound machte sie besonders in Holland zum Liebling der Crowds. Ihren eigenwilligen, gerade für US-amerikanische Verhältnisse ungewöhnlichen Ansatz hat Mozhgan sich in Dallas und San Francisco erarbeitet. Dort entwickelte sie mit ihrem Partner Solar die We-Are-Monsters-Partyreihe, bei der Lena Willikens ihr erstes US-Booking überhaupt hatte.
Damit schuf Mozhgan eine Alternative zum glatten House- und EDM-Sound, der die Westküste der USA schon lange dominiert. Ebenso sehr wie um die Biographie der Künstlerin geht es unserem Autoren Lars Fleischmann um die Frage, ob Mozhgan jemals wieder so zwischen den Kontinenten pendeln wird wie bis zum Februar 2020.
Was uns jetzt schon klar sein muss, zu diesem Zeitpunkt: Den großen DJ-Jetset können wir wohl die nächsten Jahre vergessen. Egal, wie positiv man eingestellt ist, muss man erkennen, dass die weltweite Pandemie ihre Folgen hat. Und eine ist eben, dass es keinen großen Flugverkehr mehr geben wird.
Ob mit EU-Impfpässen, die schon jetzt von der WHO kritisiert werden, oder ohne: Der Grenzübertritt, hauptsächlich der interkontinentale, wird noch lange mit Hürden verbunden sein. Testregime und Quarantänepflicht sind der neue Alltag.
Die Folgen dieser Entwicklung werden wir alle spüren: Es ist nicht davon auszugehen, dass sich DJs und Produzent*innen im gleichen Maße nach und in Europa bewegen werden, wie es noch 2019 üblich war. Das hat mehrere Gründe: Einmal muss man sich als DJ Quarantäne leisten können. Wer fünf Tage nicht auflegen kann, der kann fünf Tage auch nichts verdienen – bei dicht getakteten Schedules auf interkontinentalen Arbeitstrips kaum zu bewerkstelligen. Dazu gesellt sich, dass die Clubs weltweit, und vor allen Dingen in Europa und den USA, seit Langem stillstehen. Wie viele diesen Umstand überstehen werden, wird sich noch zeigen.
Die DJs, die es schaffen, werden aber kaum anknüpfen können an die Zeit vor Corona: Behördliche Hygieneauflagen mit verringerten Kapazitäten, Impfkontrollen und Schnelltests sind nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich. Und auch dann erst, wenn ein Großteil der Menschen schon geimpft ist und sich die Vakzine auch resistent gegen Mutationen zeigen.
„Während man in Europa fast unbegrenzt feiern kann, ist man in den USA immer darauf zurückgeworfen, dass Partys eben um 22 Uhr beginnen und dann irgendwann zwischen 2 und 4 Uhr enden müssen.”
Mozhgan
Wer mit größerem Aufwand weniger verdient, weil er nur mit 50 Prozent Eintritt kalkulieren kann, wird sicherlich große Risiken scheuen. Den regionalen und lokalen Szenen wird eine sehr viel größere Bedeutung zukommen. Vierstellige Gagen, Travel-Shares und Hotelkosten – das scheint gerade für viele kleinere und mittlere Clubs (Kapazität unter 500) kaum mehr zu stemmen.
Es ist also nicht davon auszugehen, dass sich DJs und Produzent*innen im gleichen Maße nach und in Europa bewegen werden, wie es noch 2019 üblich war. Allen Unkenrufen zum Trotz ist das auch eine bedenkliche Situation, wird es doch dazu führen, dass gerade US-Amerikaner*innen und Kanadier*innen immer seltener in unseren Clubs spielen.
„Ich werde Europa sehr vermissen. Es gibt unglaublich gute Partys in den USA, aber ich werde die aufgeschlossenen europäischen Partys vermissen. Ich habe mich aber schon damit abgefunden, dass es so kommen wird”, erzählt Mozhgan im Videocall. Und Mozhgan ist ein außerordentlich gutes Beispiel dafür, warum auch wir hier in Deutschland traurig sein sollten.
Eine folgenreiche Abschiedsparty
Nehmen wir mal die eine Richtung: Von Europa nach Amerika. Mit einer unnötigen Hochnäsigkeit begegnen wir hier gerne der amerikanischen Partyszene – obwohl viele unserer Lieblings-DJs auf der anderen Seite des Atlantiks leben. Mal beiseite gelassen, dass House, Electro und Techno halt alle ihren Ursprung in den USA haben. Bis zum Beginn der Pandemie gab es dort noch fantastische Partys: „Klar, der größte Unterschied ist immer noch die Zeitspanne, in der eine Party stattfindet. Während man in Europa fast unbegrenzt feiern kann, ist man in den USA immer darauf zurückgeworfen, dass Partys eben um 22 Uhr beginnen und dann irgendwann zwischen 2 und 4 Uhr enden müssen. Aber die Veranstalter*innen kümmern sich mindestens genauso darum, dass die richtige Stimmung aufkommt. Vielleicht sind sie sogar konzentrierter.”
Mozhgan weiß, wovon sie spricht, immerhin gilt sie mittlerweile als eine der profiliertesten Promoterinnen und DJs auf dem ganzen Kontinent.
Bei den We-Are-Monsters-Partys, die seit 2011 in San Francisco stattfinden, stehen dementsprechend die europäischen DJs an, um dort einmal aufzulegen. Der Ruf eilt der Reihe voraus: Zusammen mit Dark Entries, dem Label von Josh Cheon, das seit Jahren erstklassige Achtziger-Jahre-lastige Clubmusik auf unsere Plattenteller bringt, stellt man die Speerspitze des Westküsten-Undergrounds dar. WAM steht dabei, genauso wie ihre Promoterin, Bookerin und Resident-DJ Mozhgan für darkere Sounds, gerne (minimal-)wavig, Synth-lastig, beeinflusst von EBM-Kapriolen, Italo House, genauso wie vom Electro Detroiter Machart.
Immer wieder durchdringen tiefe Mono-Synth-Läufe und orgelhafte Pads die bloße Funktionalität. Der Slogan dazu kommt von Mozhgan und ihrem Partner Solar dann direkt selbst.
Vieles von dem, was man hier vor allen Dingen in und um Berlin feiert, entsteht entweder dort oder wird zumindest da wiedergefunden und ausgegraben. Die musikalischen Referenzen finden sich dabei nicht bloß auf der Tanzfläche, viele Sounds scheinen losgelöst von einer formalisierten Tanzmusik entstanden zu sein. Man darf das gerne auch Giallo-Sound nennen. Passenderweise durchdringen immer wieder tiefe Mono-Synth-Läufe und orgelhaften Pads die bloße Funktionalität. Der Slogan dazu kommt von Mozhgan und ihrem Partner Solar dann direkt selbst: „Alles, was wir machen wollten, war weird, soundtracky monster music spielen.”
„Ja, es gibt das Zitat. Das beschreibt einfach sehr gut, was Solar und ich B2B spielen auf unserer Party, wo wir meist das Warm-Up übernehmen. Ich glaube aber kaum, dass wir zu jedem Zeitpunkt und bei jedem Booking dieses Versprechen einlösen.
Und während man solche Sets wie jenes beim Dekmantel Festival 2019 einfach sprechen lassen könnte, lohnt es sich hier besonders herauszuarbeiten, was Mozhgan zu einer der interessantesten DJs der letzten Jahre macht. Geboren im Iran, von wo ihre Eltern fünf Jahre später wenn nicht flüchten, so doch emigrieren sollten. In den USA landete man in Oklahoma. Böse Zungen würden sagen: Vom einen Extrem ins andere. Dass sie nicht allzu lange im ultra-orthodoxen Christenstaat bleiben würde, war relativ früh klar. Sobald sie konnte und durfte, zog es sie nach Dallas, die texanischste unter den texanischen Großstädten. Aber glücklicherweise mit dem nötigen Maß an Anarchie, um zwischen der Kreativwirtschaft Austins und dem Hip-Hop-Zentrum Houston als Clubstadt zu fungieren.
„Seit der Pandemie gibt es einen Massenexodus. All die Tech-Leute ziehen wieder weg aus San Francisco. Wer Home Office macht, der kann auch raus aufs Land ziehen. ”
Mozhgan trieb es auch sogleich in die Clubwelt hinein; eine Freundin schlug ihr vor, doch einfach Partys zu buchen und zu veranstalten. Damals musste sie noch ihre Chefin in einer Bar davon überzeugen, dass sie es ernst meinte. Doch schon bald erarbeitete sie sich einen Ruf; weil sie eben auch mal andere Wege ging als der Rest der Stadt. Ohne ins Detail gehen zu wollen oder zu können an dieser Stelle: So cool die Techno- und Electro-Szene dort auch immer war mit Künstlern wie Gerard Hanson alias Convextion, so eingefahren waren manchmal auch ihre Sound-Universen. Mozhgans Lieblingskünstler*innen lebten derweil an der Westküste. Wie zum Beispiel Alland Byallo. Den es übrigens mittlerweile nach Berlin verschlagen hat. Zum Verhältnis zwischen San Francisco und Europa aber gleich mehr.
Weil es ihr musikalisch schon mal gut in San Francisco gefiel, verlegte sie gleich ihren Lebensmittelpunkt dahin. Vorher gab es noch eine folgenreiche Abschiedsparty: Mozhgans erster DJ-Gig sozusagen. Danach sollte es erst wieder ein paar Jahre dauern, bis sich die zurückhaltende Plattensammlerin traute, wieder zu spielen. Dazwischen folgten noch ein Umzug nach New York, der sich aber wegen der Weltwirtschaftskrise von 2008 als suboptimal herausstellte, und so zog sie einfach zurück. Nur um dann mit den We-Are-Monsters-Partys alsbald Szene-intern zur Institution zu werden.
Vier schreckliche Jahre
Doch San Francisco ist eben auch ein schwieriges Pflaster: „Als ich in San Francisco ankam, war die Stadt voller Künstler*innen und junger, kreativer Menschen. Die Mieten waren auch noch bezahlbar. Aber die ganzen tech people von Google und so haben dazu geführt, dass die Mieten durch die Decke gingen.” Das hat in Folge erst die Kreativen verdrängt, dann die Clubs und Bars. Es gab etliche Läden, die in den vergangenen zehn Jahren Abschied nehmen mussten. DER LGBTQ-Club überhaupt, das STUD, musste in dieser Gemengelage (zumindest vorläufig) 2020 schließen. Was das für die Zukunft bedeutet, kann Mozhgan nicht abschätzen. Sie erkennt aber: „Seit der Pandemie gibt es einen Massenexodus. All die Tech-Leute ziehen wieder weg. Wer Home Office macht, der kann auch raus aufs Land ziehen, wo er das Gleiche für eine viel bessere Atmosphäre bezahlt.”
„Wir planen jetzt hier und schauen, wie wir mit der Party noch mehr für die lokale Szene machen können“, sagt Mozhgan und wird dabei etwas wehmütig.
Eigentlich wären auch Mozhgan und Solar nicht mehr in San Francisco beheimatet. Sie wollten Anfang des letzten Jahres nach Berlin ziehen, hatten sogar schon eine Wohnung. Das wäre für die Clubgänger*innen in Deutschland ein Zugewinn gewesen. Doch (Ein-)Reiseverbote haben das verhindert. Ein Grund mehr einfach in der Heimat zu bleiben, denn Mozhgans Blick ist auch ein optimistischer: „Es fällt uns so eine große Last von den Schultern. Wir haben jetzt nach vier schrecklichen Jahren endlich einen neuen Präsidenten.” Das hält für sie auch ganz greifbare Veränderungen bereit: „Ich machte mir immer Gedanken bei der Einreise aus Europa, dass ich wegen des muslim ban Probleme bekommen könnte. Glücklicherweise ist es nie soweit gekommen, aber ein ungutes Gefühl blieb bis zuletzt. Das ändert sich jetzt endlich wieder.”
Damit wäre eigentlich der Weg nach Europa geebnet, doch wie schon eingangs erwähnt: Corona wird uns da noch lange einen Strich durch die Rechnung machen.
„Wir planen jetzt hier und schauen, wie wir mit der Party noch mehr für die lokale Szene machen können”, sagt sie und wird dabei etwas wehmütig. „Ich habe schon immer sehr gerne in Europa gespielt. Gerade die Festivallandschaft ist schon viel ausgereifter als bei uns. Wobei wir dafür ganz kleine intime Festivals vorzuweisen haben.”
Und auch die andere Richtung bleibt vorerst versperrt; das sieht Mozhgan, die als Bookerin immer sehr bemüht war, dem amerikanischen Publikum auch europäische Acts zu servieren, mit mehr als einem weinenden Auge. Schaut man sich mal die Gästeliste an, so kann man erahnen, wie sich auch das Gesicht der We-Are-Monsters-Reihe ändern wird. In den letzten Jahren begrüßte man nämlich formidable Acts wie Sneaker DJ aus Dresden, Vladimir Ivkovic und Lena Willikens aus dem Salon-des-Amateurs-Umfeld in Düsseldorf, Batu und Black Merlin aus dem UK.
Dieses avantgardistische Booking wird nun auch ausbleiben – und wir dürfen gemeinsam darauf hoffen, Mozhgan bald nicht nur im Stream zu hören, sondern wieder auf unseren Bühnen und in unseren DJ-Kanzeln begrüßen zu können.