Peyote Dreams – State Of Mind (Love On The Rocks)
Techno beamt sich zurück an den Anfang seines Endes – 1993, auf Plateauschuhen, gute Laune in Tablettenform. Nicht viel, aber man gab sich bescheiden, um bei der After auf getrockneten Kakteen rumzukauen, an Traumfängern rumzustricken und mit Bongos über Platten von Underground Resistance zu ballern. Klare Sache: Punks, die früher Hippies waren, zogen sich plötzlich an wie Hippies, die keine Punks mehr sein wollten. Sie verbrannten ihre Gitarren, blätterten in der Bravo und waren ganz geil auf Chemie. Für Peyote Dreams, ein Duo mit Drumcomputer, war der Gedanke an Goa-Gärten am Selbstversorgebauernhof allerdings so abschreckend, dass sie zwei Tschingbum-Platten produzierten. „State of Mind” klapperte auf Synths rum, bis sich der Trip von selbst einstellte. Nächster Halt, next Stop: Papua Neuguinea, ein Traum in Pastellblau. Dass die Kids von heute den Sound von damals pumpen, hat Gründe, die man am ehesten zwischen der Frühjahrskollektion von Urban Outfitters und der vorletzten TikTok-Challenge findet. Dort knarzt Trance aus den 90s auch schon wieder auf stabilen 145 Beats in der Minute aus den Handy-Speakern. Keine schlechte Entscheidung des Berliner Labels Love On The Rocks also, die Peyotischen Träume auszugraben und neu aufzulegen. Mit psychonautischer Erfahrung von Roza Terenzi und Alex Kassian scheppert das Teil wie 1993 – der State of Mind ist eh schon wieder da. Christoph Benkeser
Rotciv – Pur NRG (Polari Records)
Seit mehr als einer Dekade versorgt der brasilianische Producer Victor Augusto Silveira als Rotciv Dancefloors mit einem Mix aus House, synthetischen Discoklängen und Electro. Nach Releases auf Labels wie Full Pupp, Freeride Millenium, Luv Shack Records, Funnovejere und seinem eigenen Imprint Mister Mistery steuert Silveira mit „Pur NRG” die dritte Katalognummer zu Cormac McAdams noch jungem Label Polari Records bei. Die vier Tracks decken sehr gelungen das discoide Spektrum gegenwärtiger (derzeit allerdings lediglich virtueller) Dancefloors ab: Das Titelstück – nomen est omen – präsentiert sich als veritabler Digital-HiNRG-Banger, dessen Dark-Cosmic-Feel auf „Fear” mit sorgsam dosiertem Acid noch weitere Verstärkung erfährt. Der eigentliche Hit ist aber „Slipping” – ein Track, den Massive Attack vermutlich gern selbst produziert hätten. Kaum weniger attraktiv: die Italo-Freestyle-Nummer „XTSY”. Auch angesichts von EPs wie dieser ist der Club-Lockdown ein Desaster: Diese Platte braucht Auslauf! Harry Schmidt
Samo DJ – Come Down To Earth (Public Possession)
Das Münchner Label Public Possession hat sich keine Pause gegönnt und auch 2020 haufenweise neues Vinyl pressen lassen. Der Fokus dabei liegt meist auf eigenwilliger Electronica, die sich kaum strikt unter dem Dancefloor-Label vereinen lässt. Etwas überraschend deshalb die 12” des Stockholmer Produzenten Samo DJ, dessen oft experimentell anmutende Tracks zwischen Ambient und Techno auch schon bei Trilogy Tapes Veröffentlichung gefunden haben. Auf dem Titeltrack zeigt der Schwede sich von seiner ungewohnt tooligen Seite: ein simples Acid-Arpeggio trägt den schnurgeraden Tech-House-Titel fast 7 Minuten, während der melodiöse Breakdown ruhig mehr Platz bekommen haben könnte. Die Flip dann wieder ganz der Samo und auch gewohnt PP, mit tiefer Bassline à la UK und geschickt geschichteten, verwirbelten Vocals, die dem Track die nötige Portion Seele und besonders ein Gefühl für späte Nachtstunden geben. Leopold Hutter
Sofia Kourtesis – Fresia Magdalena (Technicolour)
Fresia Magdalena fängt die Sonnenstrahlen von Lima bis Berlin auf. Sofia Kourtesis, die in dem Stadtteil Magdalena del Mar in Lima, Peru aufwuchs, bringt mit ihrer neuen EP einen Schwall Wärme und farbenfrohe Assoziationen. Mit umherhüpfenden Synths und langgezogenen „Aahs” auf dem Track „La Perla”, die die Wahlberlinerin selbst einsang, kann man schon fast die sonnengetränkte Stimmung der Uferpromenade Limas spüren, die als Inspiration des Tracks herhielt. Mit viel Liebe zum Detail kommt auch „By Your Side” daher, das vor Samples, rauschenden Field Recordings und Glockenklängen strotzt. Mit unkonventionellen Soundelementen und Songstrukturen bewegt sich Fresia Magdalena am Rande des House und gibt dadurch Raum für Kourtesis’ eigene Sound-Entfaltung. Wie eine Art Klang-Kaleidoskop, das sich ständig in Bewegung für neue Elemente öffnet und schließt. So auch „Nicolas”, das mehr von perkussivem Klappern als von der eigentlichen Bassline getrieben wird. Durch die vielen Facetten, die Kourtesis aufblühen lässt, sind ihre Tracks keineswegs vorhersehbar. Und obwohl man den freudig-warmen Sound der EP klar ihr zuordnen kann, hat man trotzdem das Gefühl, ihr beim Experimentieren zuzuhören. Louisa Neitz
Speaker Music – Soul-Making Theodicy (Planet Mu)
Manche Musiker blähen ihre Produktionen gern mit theoretischen Dekorationen auf, um Relevanz zu beanspruchen. Andere kommen aus der Theorie und machen Musik, die sich mehr oder minder direkt als Konsequenz ihres Denkens ergibt. Was man auch Inspiration nennen könnte. DeForrest Brown alias Speaker Music gehört in letztere Gruppe. Bei seiner jüngsten EP – oder LP, Soul-Making Theodicy bietet eine gute Dreiviertelstunde Musik – kann man schon allein über den Titel produktiv rätseln. Die Theodizee stellt ja die Frage, wie Gott allmächtig und gütig sein, zugleich aber in der Welt so viel Leid geschehen lassen kann. Von hier aus kommt man über den Schritt der afroamerikanischen Musik (Soul) ziemlich direkt zu Themen wie Black Lives Matter. Jedenfalls unwahrscheinlich, dass Brown diese Dinge nicht zusammengedacht wissen möchte. In der Musik artikuliert sich dieses Seelenmachen als ein instabil erscheinendes, zugleich auf erkennbarem rhythmischen Fundament ruhendes perkussives Bassfrequenzwesen. In einer Mischung aus technisch avancierter Produktion und in Echtzeit eingespielter mutmaßlicher Improvisation mit ausdifferenziertem Stereoeinsatz bildet Brown eine Klammer vom Jazz hin zu Techno. Kopfmusik, die sehr direkt den Körper affiziert, auch überwältigen kann. Zum unbekümmerten Mitwippen weniger gut geeignet, trotzdem something for your mind, your body and your soul. Tim Caspar Boehme