Die meisten Praktikant*innen kommen als mehr oder weniger unbeschriebenes Blatt zu uns. Bei Philipp Thull war das anders. Philipp hat bereits eine Karriere hinter sich: Als Veranstalter einer der wenigen kredibilen Partyreihen Aachens, für die er unter anderem Steve Rachmad buchte. Aber wie mit vielem in Westdeutschland ging es mit dem Club, der die Party beherbergte, bergab, und Philipp brach nach Berlin auf – und wurde in die GROOVE-Redaktion gespült. Hier fiel er nicht nur durch seinen bedingungslosen Idealismus im Bezug auf die Werte der Szene auf, sondern auch mit einem profunden Wissen und zielsicherem Geschmack, was klassischen House und Techno angeht. 

In sechs Monaten produzierte Philipp für uns 79 Beiträge. Dazu gehören Premieren von Tracks von Reeko, Jeff Mills oder Ricardo Villalobos. Sein Gesellenstück war ein Interview mit Extrawelt. Besonders brillierte Philipp in einem Format, das für die GROOVE besonders wichtig ist: den Charts from the Past. Hier konnte er den Mix aus Leidenschaft für das (oder zur Zeit eher die Sehnsucht nach dem) Feiern und Musikexpertise ganz und gar ausleben. Wir danken Philipp für seine Unterstützung und wünschen ihm viel Erfolg bei der Gestaltung seines Berliner Lebensentwurfs. Euch wünschen wir viel Spaß bei der Lektüre unseres Farewell-Roundtables, bei dem Philipp euch in den Genuss seiner kuratorischen Expertise kommen lässt.

Bell Towers – Junior Mix(d) (Public Possession)

Bell Towers - Junior Mix(d) (Public Possession)

Bell Towers – „Want You (Need You) (Adam Port Remix)”

Alexis: Wir starten mit Remixen zum Bell-Towers-Album.

Max: Ah, Bell Towers. War ein super Album im Frühling, das den Lockdown schon damals ein wenig erträglicher gemacht hat.

Philipp: Ich wurde tatsächlich erst durch die Remix-EP darauf aufmerksam.

Alexis: Adam Port liefert linearen Techhouse mit Schunkelbass und Autotune-Vocal.

Max: Hier klebend am unverkennbaren Keinemusik-Perpetuum-Mobile.

Philipp: Und die typischen Keinemusik-Trommeln dürfen auch nicht fehlen.

Alexis: Da fehlt viel, etwa ein sauberer Mixdown und Spannung, Funk, im Groove. Es schlonzt so vor sich hin.

Philipp: Ja, dramatisch undramatisch.

Max: Drop, und ein Plateau höher. Bongos, Cowbells, alles dabei. Seit &ME mit „Woods” damals so durchgebrochen ist, ist das die Signatur. Konsistent würde ich es nennen.

Alexis: Spannung entsteht dann erst durch den Break.

Max: Das ist für Open-Airs am späten Nachmittag. Zum Totems schwingen auf der Fusion.

Philipp: Genau. Oder Aufbruchsstimmung für den abendlichen Rave.

Max: Ob Bell Towers, der übrigens auch so mit Nachnamen heißt, selbst wusste, dass seine Stimme für Tech-House prädestiniert ist?

Alexis: Es ist kleinteilig, auch wenn nicht ganz verständlich wird, was er mit dem Geratter und Geklacker erreichen will. Die eklektischen Samples lassen den acht Minuten und 41 Sekunden langen Mix in Richtung Kater-Territorium driften.  

Philipp: Das Tempo ist aber überhaupt nicht Keta. Pardon, Kater. Dennoch stilsicher, da hast du Recht, Max.

Max: Oh, wenn das wirklich knapp neun Minuten sind, vergehen die aber schneller, als man glaubt. Am Schluss noch viel Raum und Zeit zum Mixen gelassen, läuft seicht aus.

Bell Towers – „Privacy (DJ Python Remix)”

Philipp: Was ein Kontrast.

Max: „Privacy” ist der Track aus dem Originalalbum, der mir am stärksten im Ohr geblieben ist. Python, der für nicht wenige mit Mas Amable das Album des Jahres ablieferte, verfrachtet den ohnehin schon leeren Club hier ins Träumerische.

Alexis: Für Resident Advisor.

Max: Und Kristoffer Cornils. So, jetzt aber genug gepressetextet: Finde den Track super. Was Python macht, wird in aller Regel langsam, aber gut.

Alexis: Wo Port sich als Routinier gibt, strotzt Python mit vertracktem IDM-Groove und komplizierten Stimm-Effekten vor Ambition.

Philipp: Schon sehr herzzerreißend. Nicht ganz so mein Fall. Da hatte Python schon andere Produktionen, die mehr nach meinem Geschmack waren.

Alexis: Spannung kommt aber auch nicht hier nicht auf. 90er-Nostalgie-Barock.

Max: Ja, die unbeschwerte Reggaeton-Phase bei Python scheint vorbei.

Bell Towers – Maybe We Can Work It Out (Eden Burns 48hrs Remix)”

Alexis: Wer ist Eden Burns, Philipp?

Max: Das würde mich auch brennend interessieren. Wer ist mir da schon wieder durchs Netz geflutscht?

Philipp: Kannte ich vor dem Remix aus noch nicht. Auf jeden Fall aus Aotearoa. Ganz schön anspruchsvoller Stadtname.

Max: Ah, Neuseeland.

Philipp: Gefällt mir aber mit Abstand am besten auf dieser EP.

Alexis: Mit Eden Burns kommt zum ersten Mal Clubstimmung auf, mit einem kleinteiligen, nervösen Ping-Pong-Riff und einem satten Bass.

Max: Vielleicht ein alter Bekannter von Bell-Towers? Der ist meines Wissens nach Australier.

Philipp: Das stimmt, Max. 

Max: Adam Port sollte auch Clubstimmung sein. Beziehungsweise Sandgruben-Stimmung.

Philipp: Haha, ja.

Alexis: Erinnert an den Fidget-House der späten 2000er, klingt aber stilvoller. Tritt allerdings schnell auf der Stelle. Der Loop ist gut, dann weiß er nicht, wohin.

Philipp: Auf jeden Fall viele Claps und Hats fürs Tempo.

Max: Gefällt mir gut, hin und wieder die Stimmfetzen dazwischen. Bretternder Techno lässt sich aus dem Ausgangsmaterial einfach nicht schmieden, dazu sind wir zu sehr im Techno-Chanson-Bereich. Deswegen was für die Plattenkoffer anspruchsvollerer Tech-House-Acts. Fidget House finde ich, nebenbei bemerkt, eine anmaßende Beleidigung.

Alexis: Haha, wieso das? Für mich ist das zu harmlos, zu gediegen, zu safe.

Max: Habe letztens erfahren, dass diese Szene in Warschau groß war. Und dann mal was davon angehört, musste sehr lachen. Davon sind wir hier schon meilenweit weg.

Philipp: Was wäre ein Beispiel für klassischen Fidget House?

Max: Ich habe mir das reingefahren.

Philipp: Alles klar. Ich werde es mir mal später anhören. Ich entscheide mich dann später, ob ich dir dafür danken soll.

Max: Nicht mehr als zehn Sekunden.

Bell Towers – Roll With Me (Super Drama Remix)”

Max: Wer ist Super Drama?

Philipp: Dieses Mal haben wir ein Remixer-Duo aus dem Vereinigten Königreich. Haben 2017 ihre erste Platte auf dem hauseigenen Super Drama Records herausgebracht. Jerome Slesinski und Jon Arnold bilden dieses Gespann und legen vor allem bei LGBTQI+-Partys auf.

Max: Hm, da fällt mir nicht viel zu ein. Außer dass es klingt wie aus der Zeit gefallen. Und nicht von der guten Sorte. So Southside-Techno. Kavinsky, M83, Gesaffelstein. Übel.

Philipp: Ich hab auch ein bisschen an Gesaffelstein und französische Elektronummern gedacht.

Max: Leider so gar nicht meine Baustelle.

Philipp: Vor fast 15 Jahren schon. Mit Uffie und Feadz. Heute aber auch gar nicht mehr meins.

Alexis: Das ist aalglatter Techhouse. Super Drama hat nicht die klangliche Ambition von Eden Burns (der mit seinen nüchternen Sounds ein wenig an Efdemin oder Chloé erinnert). Blechern produziert ist es trotzdem.

Louis Marlo – Who Wants Alchemy? (Felt Sense Recordings)

Louis Marlo - Who Wants Alchemy?

Louis Marlo – Earchin’ For Paradise (ft. Sam Brickel)”

Philipp: Schon wieder ein Australier: Louis Marlo.

Max: Ok, ist mir ebenfalls neu.

Philipp: Nicht verwunderlich. Marlo ist noch recht frisch im Geschehen. Er hat vor fünf Jahren seine erste EP herausgebracht.

Max: Bass Music, die dem Club den Rücken zudreht.

Alexis: Die Beats orientieren sich an 1980er-Jahre-Hip-Hop, erinnern an Nightmares On Wax, die Sounds sind überraschend sphärisch und ein wenig ziellos. Gut produziert, aber dennoch steril und ausgedacht.

Max: Ich find’s ganz schön, mäandert ja bewusst ins Ziellose.

Philipp: Da stimme ich euch zu. Mir gefällt es aber irgendwie trotzdem auf eine neue, melancholische Art und Weise.

Max: Melancholisch trifft’s. Ich denke bei diesem hellen Chor-Sample jedesmal wieder, dass jetzt Eleven Ponds „Watching Trees” losgeht.

Louis Marlo – „Who Wants Alchemy?”

Philipp: Der Titeltrack als nächstes.

Max: Wer will Alchemie? Eine komische Frage.

Philipp: Ich kann mir schon vorstellen, wieso er Alchemy als Namen gewählt hat.

Max: Und zwar? Die absolute Goldmedaille ist das bisher ja nicht. Auch wenn ich Sounddesign und Klang gelungen finde.

Philipp: Die Melodie sprudelt und wabert so vor sich hin, und seine Vorliebe zum Acid-Sound passt dann auch ganz gut.

Max: Gefällt mir am besten bislang. Weiß nicht genau, wo er in puncto Stimmung hinwill, wirkt unkonventionell und anregend.

Alexis: Auch wieder fett produziert, die Nummer. Ein versierter Producer ist er, seine Produktionen haben schon fast zu viel Schmelz. Sie gefallen sich in ihrer Slickness.

Max: Ganz langsamer, betulicher Elektro. Auch dieser Bass zwischen artifiziell und organisch – groß!

Philipp: Spannend. Der gefällt mir bisher am wenigsten. Was nicht bedeutet, dass er mir nicht gefällt.

Max: Wieso?

Alexis: Es gefällt dir und es gefällt dir nicht – das ist ein Zen-Moment, wie er nur im Corona-Winter 20/21 möglich ist.

Philipp: Die Stimmung ist für mich sehr unentschlossen und ich weiß nicht genau, wie ich in einordnen soll.

Max: Haha, ok. Dann haben wir beide denselben Grund für Wohl- und Missgefallen.

Louis Marlo – „U.F.O’S Over New York”

Alexis: Diesen futuristischen Drumbeat hat man schon sehr oft gehört, ich weiß nicht, wo zum ersten Mal. Auch dieser Track schwelgt in seiner US-amerikanischen Sicht auf IDM und deren zahlreiche Revivals. Die Nummer geht für mich eher auf, trotzdem klingt sie steril. Malen nach Zahlen.

Max: „Malen nach Zahlen” ist immer die Waltz’sche Vernichtung.

Louis Marlo & Will Patterson – GBVI”

https://youtu.be/JUD10q68nRk

Max: Oh, krass. Jetzt ein regelrechter Banger.

Alexis: Jetzt das Rave-Stück auf der EP. Peitschende Stabs und ein upbeatiger Groove, dennoch wieder entrückt.

Max: Klingt nach einem beliebigen Space-Racer auf einer Konsole, die Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger erschienen ist. Also top.

Alexis: Der Track gefällt mir bisher am besten, Rave, aber unterdrückt und nonchalant

Max: Will Patterson ist also der Partybeauftragte von den beiden.

Philipp: Ich finde ihn auch irgendwie elegant und das Sounddesign spitze. Auch wenn ich nicht immer auf Sirenen stehe.

Max: Kann ich nachvollziehen. In dem Fall passen sie aber ganz gut.

Philipp: Keine wirklichen Breaks, es passiert durchgängig viel.

Alexis: Luke Slater, Donato Dozzy, aber mit einem streetwisen Augenzwinkern. Der Blick der Bboys auf Rave, wie Autechre sagen würden

Max: Schön zusammengefasst, wenngleich ich Luke Slater da schon als etwas weit hergeholt erachte.

Philipp: Dann eher Planetary Assault Systems oder nicht?

Max: Ja! Jetzt bietet sich der Vergleich stark an.

Alexis: Ja. Voll PAS.

Louis Marlo – Colour Therapy (Lou Karsh Remix)”

Max: Auch Lou Karsh ist Australier, bürgerlich heißt er Lucas J. Hatzisavas.

Philipp: Wie Louis Marlo sehr frisch dabei, aber schon produktiv und weit, was die Skills angeht.

Max: Ok, nun wieder Electro. Definitiv eine Spur zielgerichteter als „Who Wants Alchemy”. Die letzten Tracks der EP für mich am stärksten. Hat auch was Maschinell-Subaquatisches mit diesem industriellen Keuchen.

Philipp: Schön beschrieben. Hört sich für mich genauso an.

Max: Dass die EP überragend klingt, jetzt auch wieder mit den szenischen Pads, möchte ich noch erwähnt haben.

Philipp: Dem kann ich nur zustimmen. Louis Marlo und seine australischen Freunde werde ich definitiv im Auge behalten.

Alexis: Ja, auch dieser Remix ist stimmiger als die ersten Tracks, auch wenn die Flächen die Spannung der, wie du richtig sagst, keuchenden Breaks zu sehr aufheben.

Octo Octa – She’s Calling EP (T4T LUV NRG)

Octo Octa - Shes Calling EP

Octo Octa – Goddess Calling”

Die EP ist auf Bandcamp, anhören kann man aber nur einen Track.

Max: Von ihr kommen eigentlich nur starke Releases die letzten Jahre. Bis zum Breakdown klang das verdächtig wie Axel Bomans Break in „Purple Drank”. Auf Melodie-Ebene.

Philipp: Gewaltige Breakbeat-Nummer. Vor allem das langgezogene, flächenartige Vocal.

Max: Schön beobachtet, klingt sehr griffig und druckvoll.

Alexis: Octo Octa schwelgt mit einer satten Bassdrum, aus der sich ein kolossaler Breakbeat herausschält, über den sie gefiltertes Vocalsample zieht, in den 1990ern.  

Alexis: Ein fettes Piece, diese Nummer, ebenso überbordend und barock wie zart und brüchig

Max: Klingt wie ein Megamix.

Philipp: Klingt ein bisschen wie die Vocal in Josh Winks „Are you There?”

Octo Octa – Find Your Way Home”

Max: Kompromissloser Party-House. Genau das, was sie auch auf dem Fabric-Mix mit Eris Drew gemacht hat.

Alexis: Der Track erinnert an den Pop-House von Acts wie Deee-Lite.

Max: So oder so ähnlich könnten Bicep heute auch noch klingen, hätten sie nicht die Konzertatmosphäre gewählt.

Alexis: Mit einem stolpernden Groove, einer rasanten Bassline und humorvollen Samples.

Max: Die ganze EP erinnert mich immer wieder an Chrissys New Atlantis aus dem letzten Jahr.

Alexis: Bicep sehe ich da weniger, Chrissy eher.

Max: Wegen des distinkt amerikanischen Ansatzes?

Alexis: Wegen dem Humor. Dieses Overachievertum von Bicep passt da nicht.

Max: Na ja, in den frühen Zeiten war’s ja schon sehr humoresk-atzig bei ihnen.

Alexis: Atzig und fett, hier ist es eher atzig und fragil.

Max: Atzig ist für Octo Octa hingegen genau das falsche Stichwort. Bei ihr schwingt der befreiende Geist von House mehr mit. Alles wirkt bei ihr sehr gewählt, sehr ausformuliert.

Philipp: Interessant, woran ihr bei atzig denkt.

Max: Na ja, im schlimmsten Fall natürlich an ein, zwei Nummern von der Bell-Towers-Remix-EP. Haha.

Philipp: Haha.

Alexis: Atzig ist die Produktion, die bewusst dumpf und nach Kassette klingt. Ebenso grenzt sich der eklektische, verspielte Pop-House mit gelegentlich aufblitzendem Mainstream-Potenzial von gediegenem Deep House etwa von Blaze ab – daher auch atzig.

Philipp: Dieser Track ist ein ziemlich wilder Mix aus unterschiedlichsten Stilen, alle in einem recht flotten Tempo.

Max: Das klingt jetzt eher ein wenig nach Filler. Da können auch die hastig eingeschobenen Breaks nichts mehr ändern. Klar wird dabei allerdings, welche Strategie Octo Octa verfolgt: Nämlich, da bin ich bei Philipp, Stile zu fusionieren und Tracks nicht als hermetische Einheit zu begreifen.

Octo Octa – Spell For Nature”

Die EP ist auf Bandcamp, anhören kann man aber nur einen Track.

Max: Oh, ist das Eurodance? Und immer noch derselbe Track? Sakrales und Eurodance zusammengedacht.

Philipp: Das ist schon der Nächste.

Alexis: Der Track beginnt mit einem stehenden Orgelton, über den sich Rumba-Rasseln oder ein ähnliches Rhythmus-Instrument schiebt

Philipp: War aber auch überrascht vom noch immer andauernden Orgelton.

Alexis: Erinnert mich an Madonnas „Like A Prayer”, wie dieser religiöse Pathos erotisiert wird. Die Breakbeats sind dann eher Orbital, was eine lustige, weil unwahrscheinliche Verbindung ist.

Max: Jetzt Dialog zwischen Vocal und musikalischer Ebene, die befürchtete Eurodance-Verfehlung ist nicht eingetreten.

Philipp: Wenn man aber überlegt, in welche Räume sakrale sowie orbitale Musik passt, leuchtet die Verbindung doch wieder ein.

Alexis: Das stimmt.

Max: Super produziert auch, reißt plötzlich ab. Octo Octa denkt elektronische Musik hier sehr progressiv.

Ruff Stuff – Origins And Moments EP (Step Recordings)

Ruff Stuff - Origins And Moments EP

Ruff Stuff – Daily Routine”

Max: Da kommt ein Act, der Ruff Stuff heißt, doch wie gerufen, um zu erden.

Philipp: Voll.

Max: Sattes Drum-Workout.

Philipp: Auch wieder in die Tech-House Richtung. Dieses Mal aber mit mehr Funk und deeperen Chords.

Max: Zufall, dass doch ein paar Tracks in Richtung Festivalsommer schielen, Philipp?

Philipp: Nein, sowas würde mir doch nie einfallen. Zwinkersmiley.

Max: Das finde ich richtig gut.

Alexis: Ruff Stuff ist Gianfranco Barnaba, ein Italiener, der in Berlin lebt, der schon seit 2015 soliden, eher unauffälligen House produziert.

Philipp: Die Nummer hat richtig viel Sexappeal.

Max: Großer Freund bin ich auch davon, Melodien aus exakt einer Note zu formen. Ah, jetzt kommt sogar noch eine Zweite dazu. Zieht mächtig an, schwere Hi-Hats. Kannst du immer und überall spielen, wenn die Party Spaß macht.

Philipp: Da stimme ich dir zu. Macht richtig Spaß, die Nummer. Ruff Stuff wurde mir schon vor Jahren von einem guten Freund ans Herz gelegt. Normalerweise auch viel cleaner und einfacher Dub Techno. Hier deutlich mehr House.

Max: Haha, dieses misstönende Gedüdel im Hintergrund müsste nicht sein. Aber sonst stark!

Alexis: Dieser Track bewegt sich in der Derrick-Carter-Schule von Chicago House – mit überschäumenden Snares, der ungewöhnlichen Härte, die immer funky ist, und den sparsamen Samples, die für eine technoide Stimmung sorgen.

Max: Schön zusammengefasst.

Ruff Stuff – Let It Move”

Max: Jetzt etwas konservativerer House.

Alexis: Diese Nummer ist etwas ruhiger mit ihren melancholischen New-Jersey-House-Chords

Philipp: Das dachte ich auch gerade. Clap auf die Zwei, ein langer Break und eine eingängige Vocal.

Alexis: Gut ist die gerade, monotone Bassdrum, von den Ideen her eher durchschnittlich, aber mit Finesse auf Kante produziert.

Max: Geht immer, bleibt aber nicht allzu viel von übrig.

Ruff Stuff – River Side”

Alexis: Jetzt noch etwas verspielter mit Percussions und einer tragenden Orgel-Melodie

Philipp: Deutlich exotischer dieses Mal mit den Percussions und den rasselnden Hats.

Max: Mag ich wieder etwas lieber, an den ersten kommt’s aber nicht ran. Trotzdem schöner House, der sich aufs Wesentliche besinnt. Wenn man mal schaut, was zwischen dem hier und etwa Detroit Swindle, pardon, Dam Swindle, liegt – das sind Welten.

Philipp: So habe ich Ruff Stuff bisher auch abgespeichert. Er fällt nicht aus dem Schema heraus, bedient dieses aber wunderbar.

Alexis: Originell im Mix mit der sehr präsenten Orgelfigur und dem zurückgenommenen Drumming. Sagt mir dennoch nicht so zu, mit dem Gospel-Vocal.

Max: Stimmt, wollte ich auch noch einwerfen. Gospel-Vocals sind was für Floorplan, und auch da bringen sie mich hin und wieder dazu, meine Fingernägel zu verschlingen.

Ruff Stuff – Ma Love Noperc”

Max: „Noperc”?

Philipp: Si.

Alexis: Haha. Also er will sagen, dass er Perc nicht mag?

Max: Ist das als Diss zu werten? Hahaha.

Philipp: Hahaha. Mit Sicherheit. Das waren früher beste Freunde und haben sich jetzt Zerstritten.

Alexis: Exactly

Max: Ah, Gossip!

Philipp: Haha. Scherz beiseite.

Max: Wäre schon amüsant, wenn er dann plötzlich House gemacht hätte, um zu provozieren.

Philipp: Das wäre mindestens eine Story wert.

Max: Mist, ich hatte mich schon so gefreut.

Alexis: Das ist jetzt nochmal klassischer Vocal House, auch fett, auch etwas generisch. 

Max: Nummer eins und drei waren meine Highlights. Der Letzte läuft an mir wieder eher vorbei.

Philipp: Diese Nummer steht bei mir auch eher hinten an.

ÆX014 (ÆX)

AEX014

W.A.C. – HOMM4LIFE”

Alexis: “Next drop on Indigo Aera‘s ÆX series brings us another strong compilation of whitelabel dancefloor weapons.” 

Philipp: Ein großartiges niederländisches Label, das immer wieder Highlights hervorbringt.

Max: Gefällt. Da ist extrem viel gebündelt.

Philipp: Fast schon klaustrophobisch.

Max: Leider sticht aus dem Bündel genau das Nervigste raus, dieses Vocal.

Philipp: Stimmt. Insgesamt sehr schrill.

Max: Der kreischende Synth wäre genug.

Alexis: Eine starke Technonummer, die von den aufgepeitschten Streichern und dem Vocalschnipsel zehrt.

Philipp: Ungewöhnliche kitschige Chords.

Max: Jetzt schiebt sich das Rave-Klavier drüber, wow. „Mäßigung!”, möchte man da rufen. Aber irgendwie auch geil. Versucht geringfügig, an die Traumprinz-Ästhetik anzudocken. Dafür aber zu überladen.

Philipp: Ja, dieser Track schreit schon sehr aus sich heraus.

Max: Stimmt, Kitsch, auf sehr interessante Weise gebrochen.

Emeline – Kiss Me Quick”

Philipp: Diese doppelte Kick hab ich für Jahre dank Dax J totgehört.

Max: Sind das alles Niederländer*innen?

Philipp: Wenn ich richtig informiert bin dann ja.

Max: Oh, jetzt eine Snare, die Florian Kupfer gefühlt 2013 schon auf L.I.E.S. ausgepackt hat.

Alexis: Stimmt. Etwas unauffälliger, aber dennoch interessante Dynamik. Durch und durch Techno, aber ungewöhnlich verhalten, ohne ziellos zu sein.

Max: Synths gefallen mir super, brodeln schön.

Philipp: Sehr interessantes Sounddesign. Genau. Vor allem das synthetische Schnurren im Hintergrund.

Alexis: Nicht so auftrumpfend wie viel Techno zur Zeit, weiß dennoch, wo er hinwill.

Max: Auch der Track tendiert zum wohligen Überschwang. Stopft sich am Buffet aber so voll, dass das auf lange Sicht eventuell nicht gutgeht.

Daniel Jacques – Waiting For You”

Philipp: Daniel Jacques tauchte 2014 bereits auf DVS1s Mistress auf. Schon beachtlich, dass er von Anfang an mit namhaften Künstlern wie Ben Sims, DJ Bone und DVS1 zusammengearbeitet hat.

Alexis: Der Track hat eine weniger eigentümliche Dynamik als die anderen beiden, er zehrt von der schweren Bassdrum und den ratternden Hihats

Max: Klassisch, unaufgeregt.

Philipp: Da ist das immer wiederkehrende Streichinstrument am interessantesten.

Max: Schließe mich an. Bricht am ehesten aus der Techno-Ästhetik aus.

Deniro – Malamute”

Max: Jawohl, Dub. Versöhnlich, wenn man bedenkt, was davor auf uns eingeprasselt ist. Weise zusammengestellt.

Alexis: Deniro kennt man von Nina Kraviz’ Label Trip. Eine flach gehaltene Bassdrum mit dubbigen Sounds, klingt etwas unauffälliger.

Max: Malamutes sind doch diese Schlittenhunde, oder? Diese richtigen Brocken.

Philipp: Das stimmt. Was du nicht alles weißt, Max. Was diese Hunde aber mit diesem Dub-Sound zu tun haben?

Max: Ja, Schlittenhunde hätte ich jetzt eher mit Footwork assoziiert. Aber über die Kälte bekommst du schon Anknüpfungspunkte, wenn du willst. Denke ich zumindest.

Max: Zum Glück lässt sowas viel Spielraum für Fantasie.

Alexis: Der Track hat eine ungewöhnliche Spannung, das Drumming ist überraschend dicht und treibend, die Sounds verlieren sich.

Max: Kann man sich richtig reinhören, Groove funktioniert lückenlos.

Sterac – „P909 (Elias Mazian Remix)”

Max: Ah, Rachmad.

Philipp: Steviiie.

Alexis: Elias Mazian ist ein Gelegenheitsproducer, der in den letzten Jahren mit zwei Maxis auf Tom Tragos Label Voyage Direct aufgefallen ist.

Max: Sinnstiftender Spannungsbogen. Im Vergleich zum Adam-Port-Remix ist mir sowas deutlich lieber, obwohl auch Warm-Up-Sound.

Philipp: Der Rhythmus ist auch deutlich angenehmer und nicht so aufdringlich.

Max: Absolut.

Alexis: Der labyrinthische Loop erinnert an Nous’klaers frühen Hit „Loving”. Eine nicht allzu auffällige, aber gelungene Nummer. Stilsichere Produktion, schöne Sounds und Melodien und das Arrangement ist packend vom Storytelling her. Solide Ware, da können sich einige eine Scheibe abschneiden.

Max: Dem schließe ich mich an.

Philipp: Word.

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