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The Crave: 5 wichtige Sets aus den Haag

Vladimir Ivkovic im psytrancegrünen Trikot (Foto: Bousou Photo)

Auch die vierte Edition des niederländischen Festivals The Crave im Den Haager Zuiderpark lief rund. Auf fünf Bühnen mit divers kuratierten Programm konnte zu mehr als 30 lokalen und internationalen Top-Acts geravet und getanzt werden. Auch viele Künstler:innen aus der holländischen Szene waren dabei – egal ob House-, Techno- oder Electro-Acts.


Vertreten war außerdem das Berliner Onlineradio HÖR mit einer eigenen Bühne, auf der Künstler:innen wie Cem, KI/KI oder Estella Boersma auflegten und von der aus live gestreamt wurde. Der Wetterverlauf hätte kaum besser sein können: War Den Haag vormittags noch von einer grauen Wolkendecke bedeckt, klarte diese am frühen Nachmittag auf und Sonnenschein wärmte die Tanzenden. Durch das diverse und zeitgemäße Booking genossen diese ein Programm größter musikalischen Bandbreite. Weil einige Künstler:innen Probleme mit verspäteten Flügen hatten und teilweise nicht auftreten konnten, ergaben sich für andere längere Playtimes – für Fans ein Geschenk, für Anhänger:innen der ausgefallenen Acts eine Enttäuschung.

Zohar

Zohar The Crave by Haris Begic
Zohar lässt es hallen (Foto: Haris Begic)

Die Eröffnung auf der Resident Advisor Stage bestritt die in Amsterdam ansässige Künstlerin Zohar. In ihren Sets vermischt sie EBM, Electro, Acid und basslastigen Dub. Dabei spielt sie sehr langsam und in den BPM-Bereichen, die sonst auf einer gewöhnlichen Party oft vernachlässigt werden, aber den vormals breakigen Stücken eine enorme Wucht verleihen – der maßgeschneiderte Warm-up-Sound für die von einem gigantischen Überdach bedeckte Bühne. Zohar spielt mit CDJs und einem Pioneer-Mixer, dessen digitale Halleffekte sie bedächtig nutzt, um die bereits vorhandenen Hallräume von Dub und Bass hervorzuheben.

Die Tanzfläche bleibt während ihres Sets noch weitestgehend leer, das Festivalgelände füllt sich nur langsam. Im Verlauf des Sets verweilen immer wieder Einzelne und grooven sich ein – eine größere Tanzgemeinschaft bildet sich aber erst später. Und so genießen dieses eklektische Drum-Workout nur wenige Eingeweihte. Als Warm-up DJ-hat man es manchmal schwer – die Lorbeeren sacken andere ein.

Vladimir Ivkovic

Vladimir Ivkovic by Bousou Photo
Vladimir Ivkovic vergreift sich schamlos an seinen Schätzen (Foto: Bousou Photo)

Im Anschluss gelingt es Vladimir Ivkovic, die Tanzfläche zu füllen. Aufgrund des Ausfalls von Leon Vynehall spielt der Labelchef von Offen Music anstatt der geplanten kurzen eineinhalb Stunden routiniert ein zweieinhalbstündiges Set. Im grünen Fußballtrikot und fokussiert am Bier nippend liefert Ivkovic ein Set von immenser Wucht. Ruhig und beständig erklingen die alten Psy-Trance-Schätze, die Ivkovic auf Platte mitgebracht hat. Durch das Runterpitchen dieser, ein Markenzeichen Ivkovics, entstehen plötzlich kräftige, technoide Bassdrums, die schneller Psytrance manchmal vermissen lässt. Wie seine Musik strahlt auch Ivkovic beim Mixing die beneidenswerte Ruhe und Tiefenentspanntheit eines Routiniers, der mit sich und seiner Umgebung im Einklang ist, aus. Sein Set bildet einen ersten spannenden Gegenpol zum ansonsten vermehrt ravigen Programm auf den anderen Stages.

Spekki Webu b2b Jeans

Speki Webu b2b Jeans The Crave by Stef van Oosterhout
Lassen – ebenfalls mit Psy-Sound – Wellen der Ekstase entstehen: Speki Webu und Jeans (Foto: Stef van Oosterhout)

Der aus Delft, einem kleinen Ort zwischen Rotterdam und Den Haag, kommende Spekki Webu versucht sich auf der in wohlbekannter Kacheloptik gestalteten HÖR-Stage mit seinem b2b-Partner Jeans an einem besonderen Live-Set. Die zwei Stunden leben von einer ungeheuren Dynamik. Immer wieder erklingen längere, leise Ambient-Passagen nach Phasen voller und lauter Euphorie, die sich durch schnelles Tempo und markante Psytrance-Basslines auszeichnen.

Dadurch ergeben sich auch im Publikum neue Formen der Kommunikation: Plötzlich ist es möglich, sich mit seinen Tanznachbar:innen zu unterhalten – bis eine Minute später wieder laute Bassdrums und Nebel einhüllen. Durch dieses stetige Spielen mit zunehmender Energie und Phasen der Entspannung entstehen Wellen der Ekstase, was die Situation auf dem Dancefloor ungemein spannend und unvorhersehbar macht. Im Jahr 2022, in dem wir uns immer noch in der nun schon länger anhaltenden Phase der Genremixes befinden und alle sich an allem bedienen, wird dieser spezifische Psy-Sound ohne Kompromisse abgefeiert. 

Deniro b2b Stranger

Deniro b2b Stranger The Crave by Raymond van Mil
Spaß an allen Ausprägungen des Techno: Deniro und Stranger (Foto: Raymond van Mil)

Auf der riesigen Hauptbühne, die in eine Wand aus Container eingelassen ist, spielt der aus Rotterdam stammende Techno-Allrounder Stranger ein raviges b2b-Set mit Tape-Records-Labelchef Deniro. Noch immer strahlt die Sonne mit vollster Kraft auf die erwartungsvolle Menge, und zusammen mit der Musik entsteht so ein intensives Day-Rave-Momentum. Die Tanzfläche ist groß und voll, dennoch kann man sich mit Leichtigkeit durch die Massen bis in die erste Reihe tanzen.

Wenn der Platz gefunden ist, verliert man sich im rohen, hypnotischen Techno-Sound. Weil auch Ben Sims aufgrund von Verzögerungen am Amsterdamer Flughafen nicht auflegen kann, spielen Stranger und Deniro anstatt der geplanten eineinhalb Stunden ein längeres Set. Dabei ertönen Techno-Klassiker neben neu produzierten Tracks. Dazwischen entsteht ein dichtes Klangfeld aus Dub Techno, perkussiven Stücken oder zeitlosem Bleep-Techno.

Cem

CEM The Crave by Stef van Oosterhout
Grinst vor Kacheln: CEM (Foto: Stef van Oosterhout)

Als Herrensaunas Cem nach dem Set von Estella Boersma kurz vor Sonnenuntergang die Bühne betritt, ist die Stimmung auf der HÖR-Bühne am Zenit. Ohne sich an einem sich langsam steigernden Intro zu versuchen, nimmt Cem die Energie seiner Vorgängerin auf und startet mit den Stücken der EP Hybrids des Franzosen TÉNÈBRE. Ausgehend von Techno, Tribal, Electro und Ghetto-Tech wird Cem während der eineinhalb Stunden zunehmend energetischer, schneller und melodiös-ausladender. Die Breaks rasseln, die Vocals hypen die Menge auf und die mal rollenden, mal gebrochenen Bassdrums erklingen hart und präzise.

Cem spielt ungemein abwechslungsreich mit den unterschiedlichsten Klangfarben und Genres. Sein Mixing ist schnell, intuitiv und stets konzentriert. Dadurch entsteht eine ravige Energie, die zum einsetzenden Sonnenuntergang vermehrt emotionaler Trance untermalt. Kurz vor Ende spielt Cem dann noch den Remix des Jahres von KH alias Four Tet: „Looking At Your Pager”, der die 2000er-Hymne „No More (Baby I’ma Do Right)” der Rapgruppe 3LW mit einer groovigen Dubstep-Bassline kontrastiert. Als Closingtrack ertönt schließlich ayas Stimme auf dem Track „B£E (aya wavefold)” von Space Afrika und Blackhaine. Das perfekte Set, verpackt im handlichen, streambaren Eineinhalb-Stunden-Aufmerksamkeitsspanne-Format.

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