Detroit’s Filthiest – Future Is History (Curtis Electronix)
Wer kein Insider ist, wird Future Is History ohne zu zögern ins Electro-Fach einordnen, was kein Vergehen wäre. Denn die EP dominieren 808-Breakbeats und die genretypischen Zutaten: Funkige Synthesizer-Bässe und jede Menge weitere Analogsynthie-Sounds. Aber DJ Nasty alias Detroit’s Filthiest gehört zu den Schöpfer*innen von Ghettotech, dem Genre, das in den frühen 90er Jahren in der Schnittmenge von Detroit-Techno, Miami Bass und eben Electro entstand und sich von letzterem vor allem durch meist höheres Tempo unterscheidet. Im Gegensatz zu populären Ghettotech-Tracks mit Gesang, die textlich oft ausgesprochen sexuell explizit und musikalisch hart sind, verströmt Detroit’s Filthiests neue EP allerdings eine wunderbar einnehmende Leichtigkeit. Alle vier Stücke leben nicht nur von der selbstverständlich fetten Rhythmusstruktur, sondern ebenso von einem hohen Melodie- und Dur-Harmonien-Anteil und transportieren dadurch auch ein ordentliches Quantum Pop. Das finale „Gardens Of Babylon” trägt zudem nicht nur einen Verweis auf arabische Geschichte im Namen, sondern arbeitet auch mit einer orientalisch anmutenden Melodie – ein sehr gelungenes Crossover, das perfekt an etliche szeneübergreifende Fusion-Modelle andockt. Mathias Schaffhäuser
Kakofonico – Acid Desert (Intersezioni)
Tribalismus spielt bei dem Mailänder Produzenten Riccardo Biffi alias Kakofonico allemal eine Rolle. Den präsentiert er auf seiner EP Acid Desert zum Teil sogar mit handgespielter Perkussion, beigesteuert von Lorenzo D’Erasmo. Was diesen Trip in die Acid-Wüste aber erst so richtig bewusstseinserweiternd macht, ist die Kombination der freundlich insistierenden Rhythmen mit der Stimme der türkischen Sängerin Beyza Çakırn. Acid gibt es selbstverständlich auch, doch der übernimmt im Gesamtgefüge eher eine infrastrukturelle Aufgabe. Die beiden Gäste von Biffi beanspruchen dagegen eindeutig das Rampenlicht für sich. Nur im „Underspreche Rework” des Titeltracks dominiert wiederum das italienische Duo Underspreche mit einer stringent gebündelten Beatbegradigung. Wobei Gesang und Getrommel darin immer noch ihren Platz haben. Tim Caspar Boehme
Martyn x Om Unit – The Passenger EP (3024)
Kaum ein Producer hat sich mit solcher Beständigkeit und Innovationlust für das Ausloten der Genre-Grenzen von UK-Bass-Music eingesetzt wie der in Bristol ansässige Jim Coles alias Om Unit. Während sich dieser in den letzten zehn Jahren von Dubstep zu Juke, zu Techno, zu Jungle und zurück gehangelt hat, ging es Martyn auf seinem Label 3024 ebenfalls darum, die Brücke von Drum & Bass und Bassmusik rüber zum Techno und House unserer Tage auszubauen. Beide verbindet also geistesverwandter Entdeckerethos als auch der eigene musikalische Hintergrund des UK-Hardcore-Continuums. Fürs erste gemeinsame Release haben die beiden sich schließlich auf die 140-BPM-Marke geeignet und eine astreine, futuristische Dub-Hybrid-Platte abgeliefert. Der Opener „Tracksuit Dub” schwingt noch entspannt dem Original aus Jamaica nach (natürlich deutlich digitaler), und der Titeltrack „Passenger” klingt nach Hommage and Ed Rush & Opticals Frühwerk, gespickt mit düsteren Reese-Bässen und fußend auf schwerem Stepper-Rhythmus. „Shapes” verbindet Martyns Gespür für Melodie mit Om Units bestechendem Drum-Programming in einem rätselhaften Zwielicht, bevor sich der Closer „Skimming” als geschickter Up/Downtempo-Zwitter entpuppt, der die Footwork-Anleihen Om Units doch irgendwie in einen geraden Loop zwängt. Eine symbiotische Kollaboration, die hoffentlich noch mehr Früchte tragen wird. Leopold Hutter
MP Productions – EP1 (Warp)
Hinter MP Productions steckt Tausendsassa Mark Pritchard, der in den letzten Jahren durch seine Kooperationen mit Thom Yorke, vor allem aber mit Tom Middleton als Global Communication, Jedi Knights oder Link immer wieder für Aufsehen gesorgt hat. Wie der EP-Titel schon andeutet, startet der Brite hier eine neue Reihe, und diese surft stilistisch quer durchs Genre-Regal. Eröffnet wird EP 1 gegen jede Marketingempfehlung von einem ruhigen Downbeat-Track mit einem an Mellotronflöten erinnernden Melodie-Loop, zu dem sich ein dubbiger Grime-Bass gesellt. Eine ungewöhnliche, aber sehr gelungene und entspannte Melange. Nach nicht einmal vier Minuten wird der Atmosphäre-Regler barsch ans andere Ende der Skala gedreht, „Rakatak” ist ein wilder Trommeltrack mit nordafrikanischen Vocal-Samples und bewusst inszeniertem Stressfaktor. Danach startet für ein paar Takte eine die Gemüter beruhigende, gerade Bassdrum, aber sobald der dünne Miniaturbass und ein an Game-Sounds erinnernder Synthie einsetzt, hat sich das Relaxen wieder erledigt. Umso größer ist dann die Freude, wenn Track vier beginnt – es erklingt LFOs ikonisches Klanglogo inklusive der Synthie-Eingangs-Sequenz des Originals, das nach zwei kurzen Durchgängen aber in einen hoppelnden Ragga-Dub-Grime-Hybrid übergeht. Großer Spaß, toller Track, es lebe die Respektlosigkeit! Danach folgen noch eine düstere Electro-Dub-Fusion mit Endlos-Outro und eine vor sich hinstolpernde Melancholie-Andacht, aber die LFO-Hommage können diese beiden Stücke nicht mehr toppen. Fetter EP-Serien-Einstieg. Mathias Schaffhäuser
Peder Mannerfelt – Ensnared EP (Haven)
„Bitte gehen Sie nach Hause, setzen Sie sich einen Helm auf und dann kommen Sie wieder”, so höre ich eine Türsteherin zu diesem Track sagen: „Enter Reoccuring Disparity” schlägt unerbittlich, wie verrückt an die Warehouse-Wand und bleibt dabei fokussiert wie ein guter Boxer. Bong bong, Sirene Sirene. Für die zehnte Veröffentlichung des Labels Haven feiert der Schwede Peder Mannerfelt Techno. Der Banger auf der A1 wird auf der Rückseite geremixt vom Dubliner Tommy Holohan. Der bleibt beim dicken Kick, baut eine gleitende Passage ein sowie das „Hey!” aus „Firestarter” von The Prodigy, was die Version catchy macht. Bei der A2 wird es mit „And That Happened” komplexer. Dystopische Stimmung breitet sich aus, hektische Breakbeats aus Laser-Stahl-Gemisch scharren mit den Drumsticks, und schon stülpt sich die Düsternis einwärts und es entfaltet sich ein Industrial-Fest. Mit dem „Stockholm Shuffle” auf der B1 bietet Mannerfelt schließlich noch einen Zählzeit-Wechsel an, mit attackierenden Bass- und Snare-Drums. Techno! Christoph Braun