Charles Webster – The Spell feat. Ingrid Chavez (Dimensions)
Charles Webster hat in seiner Karriere ausgehend von seinen Sheffielder Wurzeln über Ambient und Band-orientierte Elektronik bis hin zu ibizenkisch überhitztem Großraum-House auf Labels wie Defected bereits sehr viele Facetten ausgeleuchtet. Auf Dimensions kollaboriert er nun für The Spell mit der großartigen Ingrid Chavez, die ihre Spoken Words über einen reduziert perkussiven und zugleich verträumten House-Track legt und dabei sehr viel Atmosphäre schafft. Neben Vocal- und Dub-Mix findet sich auch ein Burial-Mix auf der Platte, der einmal mehr Knistern, Hall, Vocals und Autotune in den Vordergrund stellt und damit dem Track noch einmal neue Perspektiven abgewinnt. Stefan Dietze
Im Kellar – Free Entrance EP (Moustache)
Bereits seit Monaten stromert die dritte EP des Duos Im Kellar durch diverse DJ-Charts. Mit ihrem 2017 erschienenen selbstbetitelten Debüt und der im Folgejahr veröffentlichten EP The Scene haben David Versteeg alias David Vunk und David Spaans alias David Spanish die Latte schon ziemlich hoch gelegt – für beide Releases werden auf einschlägigen Plattformen mittlerweile Preise im mittleren zweistelligen Bereich aufgerufen. Auch die Free Entrance EP erscheint nun auf Vunks Label Moustache und knüpft an ihren Trademarksound an, dessen Koordinaten im Dreieck zwischen EBM, Electro und Wave zu verorten sind. Auch obskure Schmuddelsex-Vocal-Samples fehlen nicht. Dafür haben Im Kellar auf den vier neuen Tracks etwas mehr Wert auf Acid-Lines und Techno-Feel gelegt, die Basement-Enge gegen einen voluminöseren Raumklang eingetauscht. Manche*r wird die verrutschten Grooves und sinistren Synth-Exkursionen der Vorgänger hier vermissen, andere werden gerade diese nun etwas aufgeräumter wirkende Dirtyness zu schätzen wissen. Harry Schmidt
Rune Bagge – Closure EP (Northern Electronics)
Abermals demonstriert die unerschöpfliche Soundschmiede Northern Electronics, warum Clubmusik genau wie Wodka am allerbesten eiskalt serviert wird. Nicht nur, dass man mit der Label-Compilation Scandinavian Swords IIII: Atlas Of Visions vor Kurzem erst den, also wirklich den Elektronik-Sampler des Jahres droppte und selbst höchste Erwartungen treuer Fans übertraf. Jetzt channelt auch noch einer der begabtesten Köpfe des Hauses mit Closure seine wahrscheinlich bislang beste EP aus dem Äther. Dabei wies schon das Debüt Pink Dreams den Dänen Rune Bagge vor über zwei Jahren als fähigen Designer bläulich schimmernder Klangflächen und schärfster Rhythmen aus, die zwar nahtlos ins Repertoire des Stockholmer Labels passen, gleichzeitig jedoch auch von Beginn an einen völlig eigenen Produktionsstil etablierten (einfach mal „Five Elements” reinziehen und heulen). Wie er nun erneut körperlich pochenden Drum’n’Bass mit technoidem Unterdruck und diesen ultraräumlichen Ambient-Pads in Beziehung setzt, wie sich ein Hauch Melancholie unter gut durchdachter Sequenzierung ausdehnt – das dürfte nicht nur Warp-Nostalgiker in Freudentaumel versetzen. Schon die einleitende AFX-Hommage „Never Left” weckt Erinnerungen an „I Care Because You Do”, während das dunstige „Backwood Lullabies” am Ende tatsächlich einige legitime Post-Rave-Vibes sendet, in denen sich genüsslich baden lässt. Klarer Übertrack ist aber das hochenergetische Aurora-Synth-Schauspiel „Light Up The Sky”, dessen kosmische Atmosphäre trotz brutaler Basspatterns kilometerhoch im Nachthimmel schimmert. Glorreich kühler Braindance für den Winter. Nils Schlechtriemen
Sepehr – Artificiality (Klakson)
Bis in alle Ewigkeit wird es vermutlich eine Szene geben, die den Electro-Sound aus den Achtzigern irgendwie am Köcheln hält. So schön das auch immer wieder ist, neue Facetten gewinnen diesem Genre nur die Allerwenigsten ab. Dem in San Francisco lebenden Exil-Iraner Sepehr Alimagham gelingt dies in letzter Zeit jedoch immer wieder aufs Neue, so auch auf seiner neuesten Platte, der auf Klakson erschienenen Artificiality EP. Keiner der vier Tracks kommt je auf die Idee, etwas anderes sein zu wollen als Electro. Doch schon der zielstrebig steppende Opener „Darklord” trägt mit seinen schleifenden, sehr metallischen Sounds eine recht eigenwillige Handschrift. „Duplicate” wiederum flirtet mit Detroit-Bass-Elementen, biegt irgendwo aber in Richtung Cold Wave ab. Den Schlusspunkt setzt „Izadi”, ein Stück, das zwar erst einen straighten Techno-Track der deeperen Art antäuscht, das aber überhaupt nicht durchhält. Holger Klein
Shed – Tectonic EP (Tectonic)
René Pawlowitz war stets ein Anhänger des Bristoler Labels Tectonic, einem der originären und wegweisenden Grundsteine der frühen Dubstep-Szene. Und auch wenn sich diese leider längst aufgrund von EDM aufgelöst hat, hält Labelhead Pinch seine Plattform tapfer am Leben und versucht, den Sound weiterzuentwickeln oder wenigstens an die guten Zeiten zu erinnern. Kein besserer Ort also, um für Shed eine neue Version der kreativen Bass-Musik-Mutationen zu veröffentlichen, die vor etwa zehn Jahren noch so hoch im Kurs standen und desorientierte Dancefloors aufmischten! Auf „Try” fängt er die schwermütige Atmosphäre der bassgewaltigen UK-Stepper haargenau ein, komplett mit Streicher-Breakdown und Reese-Bass. „Box” traut sich mit Half-Time-Kicks und scharfkantigen, metallischen Snares in die experimentelle Grauzone zwischen Techno und Bass, während das fiepende Schlusslicht „Sweep” mit seinen stolpernden Bollerbeats und hochfrequenten Piano-Piepsern die intensivste Seite von Rave herausstellt. Nachdem sich Shed auf seinem 2019er-Album Oderbruch streckenweise für ein organischeres, ambientes Sounddesign entschieden hatte, kehrt er auf Tectonic passenderweise wieder zum brachialen Industrial-Standard zurück. Leopold Hutter