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Motherboard: Juli 2020

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Die Sozialisation und Lebenspraxis Tanzmusik kann sich deutlich direkter in Ambient manifestieren als bei den oben genannten. Zum Beispiel in wunderbar weich wubbernden Basslinien, mit denen das Techno-Promi-Duo aus Surgeon (Anthony Child) und Daniel Bean alias The Transcendence Orchestra ihre Synthesizer-Soundscapes unterspült. Denn ansonsten ist Feeling The Spirit (Editions Mego, 17. Juli) tatsächlich von den analogen Lo-Fi-Drones ihrer Vintage-Maschinen geprägt. 

Oder fast noch schöner der allerliebst sattwarme Wumms der East-London-Saugbässe, mit denen die Briten worriedaboutsatan ihren Zeitlupen-Postrock gen Ewigkeit donnern lassen. Worriedabaoutsatan können mit ihrer kontrolliert eskalierten Melancholie sowieso kaum etwas falsch machen, aber auf dem Split-Tape What Are You Looking For? / How Soon Will You Sleep After You Let the Ship Sink? (This Is It Forever, 10. Juli) mit Veins Full Of Static gleitet ihr edelmatter Schwermut besonders elegant übers Parkett.

Die unmittelbare Kombination von Techno und Ambient geht selbstverständlich immer. Heuer besonders gelungen beim Newcomer Panta Rex. Auch wenn der aus Stuttgart kommt, hat sein Debüt Antennen (Noorden) definitiv nichts mit der berüchtigt gewordenen hiesigen Partyszene zu tun, sondern mit perfekt austariertem, wohltemperiertem und tanzbarem Electronica-Genuss, dem ich gerne das Prädikat zeitlos verleihen würde.

Schon lustig und gar nicht mal so unangenehm, wie ein neuer Release des jüngst wiederbelebten Labels Mille Plateaux mit einer stabilen Spätneunziger-Elektronik-Nostalgie aufwartet und bis hinunter zum obligatorischen Deleuze/Guattari-Zitat eine merkwürdig aus der Zeit gefallen anmutende (aber dadurch nicht unbedingt falsche) Antikapitalismus-Rhetorik fährt. Downfall (Mille Plateaux) ist die (äh) jüngste Mutation des MP-Idioms von Lena Saito, die, wie bei den Vintage-Synthesizer-affinen Galcid, durchaus in der Lage ist, Techno der experimentelleren Sorte zu produzieren, der nicht nach dem Sommer der pharmakologischen Liebe von vor 25 Jahren klingt. Auf Mille Plateaux reicht sie allerdings Label-konform systemsprengenden IDM-Glitch-Noise ein, dass es eine Freude ist und völlig egal wie alt oder neu.
 
Der anonyme spanische Newcomer-Produzent, der sich Balfa nennt, klingt auf Fragmentos (A journey through IN_FR live) (Fallen Metropolis/BLF Lab, 7. Juli) moderat moderner, kann aber durch den sehr spezifischen Sound seiner selbstgelöteten Synthesizer einen ebenso krassen Nostalgie-Effekt abrufen, der viel Freude macht in seiner ganzen kindlichen Lust, kleine Sounds in die Luft zu sprengen.

Die Lockdown-Alben kommen jetzt erwartbar massiv. Nicht so erwartbar ist, wie menschenfreundlich, zart und ruhig viele dieser in Isolation entstandenen Arbeiten sind, manchmal sogar dem etablierten Charakter der Projekte diametral entgegengesetzt. Das Londoner Projekt patten etwa ist in der Covid-Zeit vom leicht mysteriösen audiovisuellen Ideen-Kollektiv und erweiterten Duo zum Soloprojekt geworden. Zwischenzeitlich bei Warp, erscheint Glow (555-5555, 3. Juli) nun auf pattens persönlichem Zweitlabel 555-5555. Das geschmackssichere Kaleidoscope scheint gerade auszusetzen, hoffentlich nur vorübergehend. Aber Glow ist definitiv ein Trost in harten Zeiten. Die derbe In-Your-Face-Attitüde der letzten paar EPs hat patten solo komplett fallengelassen. Stattdessen pluckert auf Glow sanfte Electronica ohne Beats und ohne jede Aggressivität. Ein Isolations-Soundtrack, der das „Post” in Post-Club entspannt verinnerlicht hat und in jeder Faser seiner Solo-Existenz glaubhaft darstellt. pattens Energie brodelt hier kontrolliert und unterschwellig immer knapp vor dem Ausbruch, ohne dass dieser je stattfinden müsste.

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