Chicken Lips – Goldenlips (Phantasy Sound)
Neben Metro Area und der norwegischen Szene um Prins Thomas, Lindstrøm und Todd Terje stand das britische Duo Chicken Lips um die Jahrtausendwende von einem Moment auf den anderen in vorderster Front für eine Ertüchtigung und Erneuerung des Disco-Sounds, mithin am Beginn eines neuen Zeitalters auch auf den Dancefloors. Sieben Jahre sind seit ihrer letzten Veröffentlichung vergangen. Mit Goldenlips morsen Andy Meecham, der sich vor Kurzem mit dem starken Album Music Not Safari seines Ein-Mann-Projekts The Emperor Machine wieder ins Gespräch brachte, und sein Producer-Teampartner Dean Meredith ein lang erwartetes Lebenszeichen über Erol Alkans Qualitätslabel Phantasy Sound in den durch Quarantänemaßnahmen emissionsbereinigten Äther. Selbstredend reichen die gut zehn Minuten des Post-Acid-Nu-Disco-Jams nicht an den sensationellen Impact ihres All-Time-Favourite-Hits „He Not In” heran, Fans und Sympathisanten dürften beim Zugriff trotzdem keine Reue verspüren: ehrliche, grundsolide Wertarbeit der ehemaligen Bizarre-Inc.-Members. Zumal auf der B-Seite mit DJ Sotofetts „Golden Funk”-Mix noch eine clevere, das Mittneuziger-P-Funk-Update von Dr. Dre mitdenkende Version unter heutigen Vorzeichen enthalten ist, die den Ressourcenverbrauch einer Vinylpressung endgültig legitimiert. Harry Schmidt
Fundamental Interaction – Exclusion Principal EP (Unitas Multiplex)
Wer über die sympathische Angewohnheit verfügt, an Wochenenden gegen vier Uhr früh ganze Gitterstäbe durchzukauen, bekommt mit der neuen Platte von Fundamental Interaction neue Backenzähne. Hardwax würde die Sache als no-prisoners-taking Techno-EP bezeichnen – soll heißen: die Kick ballert auf vier Tracks im Tempo einer fortgeschrittenen Herzrhythmusstörung über Gebimmel und Gezische aus dem neuen Samplepack für Dark Berlin Techno, bevor man in Ableton den kollektiven Bass-Boost nach oben dreht, um für Rumble im Jungle zu sorgen, den Heat in die Hose zu bringen oder einfach nur ordentlich auf den Kopp zu klopfen. Exclusion Principal hebt sich damit so stark aus dem Techno-Fondue ab wie geräucherter Emmentaler bei einer Käseverkostung für Rich Kids unterm Eiffelturm. Macht aber nix. Die Tracks, drei vom Londoner Producer und ein Remix von Thomas Hessler, sind geradlinige Tools, die das erreichen, für was sie gebaut wurden: die Party von 2011 am Laufen zu halten. Cheers! Christoph Benkeser
Lack – Inside (Livity Sound)
Im ersten Stück von Lacks EP Inside finden sich etliche Elemente, aus denen wahlweise ein smoother Ambient-House-Track, ein düsterer Techno-Monolith oder ein nervöser Post-Dubstep-Stomper modelliert hätte werden können. Stattdessen hat sich der junge Brite für einen kaum clubbigen Rahmen entschieden, für wenig Bass und einen hakeligen, spröden und nur auf einer Bassdrum basierenden Beat. Kein Fest für den Format-DJ, aber eine Bereicherung für mutigere Vertreter der Zunft. „Machine Club” führt dann den Szene-Sehnsuchtsort dieser Tage explizit im Titel und kann dort auch problemlos eingesetzt werden, löst aber nicht nur das Tanzbarkeits-Versprechen ein, sondern kontrastiert den Groove wieder mit einem ambienten Überbau – auch keine Umarmung des Reinheitsgebots. Die beiden abschließenden Tracks sitzen dann zwischen den Stühlen, die mit etwas gutem Willen auf die Namen 2-Step und Drum’n’Bass hören, Ambient und Abstraktion spielen aber hier auch eine gewichtige Rolle. Überhaupt strahlt die ganze EP eine eigentümliche Milde aus – eigentümlich, da den Stücken allesamt ein sowohl atmosphärischer wie rhythmischer Abgrund innewohnt. Und das ist sehr gut so. Mathias Schaffhäuser
Metrist – Pollen Pt. II (Timedance)
Joseph Higgins mag es lieber ungewöhnlich. Als Metrist, zwischenzeitlich auch als L.SAE, hat der britische Produzent sich von kaputtem Techno mit zerkloppten Beat-Patterns hin zu einem Filigran-Sezierer in Sachen frei pochender Bassmusik entwickelt. Arbeit an Details, deren Funktion für das Track-Geschehen zunächst unklar erscheinen mag, ist eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften. Diese hat Metrist auf dem zweiten Teil seiner geplanten Pollen-Trilogie für Timedance noch einmal in ziemlich anschaulicher Weise verschärft: Wie angespitzt klingen seine Staccato-Synthesizer-Attacken, ebenso die übersichtlich im Raum verteilten Beats. Metrist ist im übrigen weit davon entfernt, mackerhaftes Tiefton-Geschubse zu zelebrieren. Seine Club-Interventionen haben bei allem digitalen Gleißen hier vielmehr eine Leichtigkeit, die an ein spielendes Kind erinnert, das immer wieder darüber staunt, was für seltsame Töne sich aus all diesen blinkenden Geräten herausholen lassen. Und irgendwie hält er seine Produktionen darüber trotz allem fitzeligen Flirren bestens zusammen. Tim Caspar Boehme
Walton – Debris (Ilian Tape)
Hi Alexis,
Ausnahmsweise vom Telefon getextet und deshalb ohne Word-Formatierung:
> Nachdem sich Waltons letzte EP für Ilian Tape noch an UKG orientierte, lehnt sich Debris an sein im Frühjahr bei Tectonic erschienenes Release an und liegt zwischen Grime, Techno und Dubstep.
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> Der Opener FX 625 lebt von den coolen Soundeffekten, die sich agil durchs Stereofeld bewegen, allerdings drehen sie sich dabei bald im Kreis und wollen nicht so recht irgendwo ankommen, was den Track ausbremst.
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> Ähnlich geht es Djembe, dem ein organisches Percussion-Sample zunächst vielversprechend Leben einhaucht. Eingerahmt von kraftvollen Drums und guten Subs fehlt aber auch hier der Feinschliff, das Arrangement zur Entfaltung zu bringen.
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> Der dubsteppig anmutende Titeltrack Debris hingegen überzeugt von Anfang an und auf ganzer Länge.
> Mit der schwermütigen Romantik früher Tectonic-Platten à la Pinch vibriert hier die Bassbox, tragen raffiniert geschliffene, metallische Rhythmen den Style sicher ins futuristische Ilian Tape-Universum.
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> Der Schlusstitel Tek Breath Riddim haut nochmal auf die Zwölf und reiht Stakkato-Beats an Gunshots an eine Vielzahl wirrer Effekte, nur etwas für „Liebhaber”.
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> Stimmige EP mit Standout-Titeltrack.
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Liebe Grüße
Leopold Hutter (aus Thailand, d.Red.)