Symbolbild (Grafik: Dominika Huber)

„I CAN’T BREATH” prangt orthographisch fragwürdig in krakeligen Lettern auf einem eilig zusammengeschusterten Plakat an der Reling des Schiffs, das am Pfingstsonntag den Berliner Landwehrkanal entlang tingelt. Ringsum tummeln sich quietschbunte Schlauchboote mit halbnackten Weißen, die sich – man könnte es glatt vermuten – nicht aus Spaß an der Freude zusammengefunden haben. Es geht um kein geringeres Gut als die Clubkultur, speziell die der Technohauptstadt Berlin. Die hat es in diesen Tagen schließlich so schwer wie nie, darbt seit der Schließung sämtlicher Vergnügungsstätten im virtuellen Raum vor sich hin.

Und wenn man sich schon versammelt, um benebelt von Sekt und Substanzen passiv treibend statt aktiv aufbegehrend das zu retten, was offenbar wirklich wichtig ist, wieso im selben Atemzug nicht gleich noch für Rechte von Schwarzen einstehen, quasi ohne nennenswerten Mehraufwand zwei Demonstrations-Fliegen mit einer Klappe schlagen? Natürlich ging diese Rechnung des hedonistisch-ganzheitlichen Protests nicht im Ansatz auf, vielmehr mündete die Kundgebung in einem Image-Desaster in jeder Hinsicht für die Initiator*innen wie die Clubkultur, als deren Fürsprecher*innen man sich vollmundig erklärte.

Freilich stellt die eingangs auf dem Foto beschriebene Szenerie nur einen Ausschnitt der Protestaktion dar. Ob der Rest der Beteiligten die Geschehnisse um den ermordeten George Floyd während der selbstgefälligen Regatta überhaupt im Hinterkopf hatte, bleibt fraglich. Nicht weit entfernt fand zeitgleich übrigens eine Demonstration gegen Polizeigewalt und Rassismus statt. „Die zeitliche Überschneidung der Aktion mit Demonstrationen anlässlich der Ermordung von George Floyd und strukturell-rassistischer Gewalt war falsch, da sie zu einem Wettbewerb der Aufmerksamkeit führte. Die Anliegen der Sub- und Clubkultur dürfen hier aber gerade nicht in eine Konkurrenz mit dem Kampf gegen Rassismus treten”, schreibt der Club Kater Blau in seinem entschuldigenden Statement auf Facebook.

Eine zumindest irritierende Formulierung, legt sie doch nahe, dass vor allem die Gleichzeitigkeit der Ereignisse verwerflich war, dass man Sub- und Clubkultur und den „Kampf gegen Rassismus” in einer besseren Welt schon irgendwie unter einen Hut bringen könnte, beides ohnehin unterschiedliche Bereiche sind. Kein Wort davon, dass beide Felder sich eigentlich bedingen und elektronische Musik und die viel gepriesene Clubkultur im Wesentlichen Verdienste der schwarzen Community sind, die (größtenteils) Weiße sich mit derart undurchdachten Kundgebungen auf denkbar schamloseste Weise aneignen. Der Dancefloor ist in seiner ursprünglichen Form ein unumstößlich politischer Ort. Wenn er den Protestierenden also so viel bedeutet, wie sie vorgeben, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, wenigstens Rücksicht zu nehmen, sich zu hinterfragen und die Bedürfnisse und Anliegen derer zu respektieren, denen sie ihn verdanken.

Und selbst wenn man sich mit der Geschichte der Dance Music nicht auseinandergesetzt hat und vor allem deshalb gerne Feiern geht, um sich am Wochenende vollzudröhnen und aus der tristen Realität des Yuppie-Jobs auszubrechen, sollte man dennoch über gesunden Menschenverstand verfügen. Die dezentral agierenden Organisator*innen, darunter auch der bereits genannte Kater Blau und das Kollektiv Rebellion der Träumer, wiesen zwar vor und während der Demo auf die geltenden Abstandsregelungen hin. Tatsächlich wurden diese aber nicht nur nicht eingehalten, sondern in vielen Fällen bewusst missachtet. Von Werten wie Respekt und Solidarität, die die Clubkultur für sich beansprucht, nichts zu sehen.

„Diese Demonstration steht leider im völligen Kontrast zu unseren Bemühungen im Rahmen unserer United We Stream Kampagne, Bewusstsein zu schaffen und Social Distancing einzuhalten”, resümierte die Clubcommission, die sich eine Einbindung in die Planung seitens der Veranstalter*innen gewünscht hätte, um das Schlimmste noch verhindern zu können. Dass abseits mangelnder Hygienevorschriften nicht Solidarität, sondern vor allem Egoismus und Rücksichtslosigkeit in Massen an den Tag gelegt wurden, zeigte das unwürdige wie auf perverse Art konsequente Ende des Protests; dieser endete nämlich mit rauschendem Tech-House und in bester Feierlaune vor dem Klinikum am Urban, dessen öffentliche Toiletten einzelne Teilnehmer*innen laut diversen Schilderungen benutzten.

Damit bestätigte man nicht nur eindrucksvoll immer wieder bemühte Klischees über selbstgerechte und auf den eigenen Vorteil bedachte Partypeople mit fragwürdiger Prioritätensetzung, man erwies der Clubkultur selbst auch noch einen Bärendienst sondergleichen. Seit Anfang der Coronakrise ist mehr oder weniger klar, dass Bars und Clubs zu den letzten Institutionen gehören, die wieder öffnen dürfen. Als zu unkontrollierbar gilt der Exzess und das damit verbundene Ansteckungsrisiko, zu unverantwortlich die hedonistischen Möchtegern-Selbstverwirklicher. „Es ist nicht die Zeit für Partys! Die Clubs waren am Anfang der Ausbreitung in Berlin die Hotspots”, tat die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci auf Twitter ihr Entsetzen kund. Eine Meldung, die die Stoßrichtung der Politik vorgibt und den Clubbetrieb weiter verzögern dürfte – völlig zu Recht, wie man leider feststellen muss.

Immer wieder war in den Kommentarspalten unter den diversen Entschuldigungs-Posts tatsächlich von „nötigem zivilen Ungehorsam” zu lesen. Das entbehrt jeder Grundlage und zeugt von einem verdrehten Selbstverständnis zwischen Querfront und unbotmäßiger Ellbogenmentalität. Wer ernsthaft nach der ersten Trotzreaktion noch immer glaubt, er*sie habe mit dieser Demonstration und ihren multiplen Aussetzern an irgendeiner Front Gutes bewirkt, sollte sich das nochmal genau durch den Kopf gehen lassen. Tatsächlich wirkt es, als bestärkte sich ein Kollektiv von Egoist*innen im Nachhinein gegenseitig, um seine zweifelhafte Einstellung zu gesellschaftlichen und politischen Themen nicht hinterfragen zu müssen. Von dem widerlichen Taschenspielertrick, eine Party unter dem Deckmantel einer Demonstration zu feiern, mal abgesehen.

„Für die Kultur – alle in einem Boot” lautete der Slogan, unter dem sich etwa 3000 Menschen versammelten, um, der gute Wille war sicher irgendwann mal da, ein starkes Zeichen für die Clubkultur zu setzen. Tatsächlich erreichten sie damit das exakte Gegenteil – eine ideologische wie intellektuelle Kernschmelze dessen, was in der Öffentlichkeit als Technokultur verhandelt wird. Sie verwässerten mit seichtem Schlauchboot-Gepaddel die politische Dimension dieser originären Subkultur, sie torpedierten gesellschaftliche Solidarität auf erschreckend indifferente Weise. Sie verkehrten schlicht alle Inhalte elektronischer Musikkultur, die sich zu erhalten lohnen, ins Gegenteil, vom vermüllten Wasser ganz zu schweigen. Und verschenkten eine riesige Chance, Techno wieder in der Form politisch aufzuladen, wie er ursprünglich gedacht war.

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