Bei besonderen Anlässen handeln wir die Platten der Woche als Roundtable ab. Mit dieser Runde verabschieden wir uns von unserem Praktikanten Leonard Zipper, der für uns in den letzten sieben Monaten zahllose starke Track-Premieren, News, Reviews und Features produziert hat. Diese Woche unter anderen mit Bryon The Aquarius, Lurka und Tristan Arp – und wie immer in alphabetischer Reihenfolge.

Byron The Aquarius – What up Doe? Vol. 1
(Shall Not Fade)

Byron The Aquarius — „Feelings Is It Real”

Leo: Ein seichter Einstieg.
Raoul: Funky, der Samtvorhang lüftet sich und wir sind im verrauchten Jazz-Café.
Alexis: Zuckersüßer House mit edgy 808-Drumming.
Leo: Auch wenn es die EP in meine Auswahl geschafft hat, höre ich sowas (leider) viel zu selten. Klingt so gar nicht nach 2020.
Alexis: Aber den Zeitgeiststempel bekommt er durch das Label Shall Not Fade aufgedrückt, auf dem so angesagte Artists wie Earth Trax und LUZ1E releasen. 
Leo: Ok, die Künstler*innen hätte ich neben ihm dort nicht vermutet.
Raoul: Ja, für eine Shall Not Fade ziemlich konventionell, oder?
Max: Gefällt mir auch auf Anhieb, kredibiler Jazz-House.
Alexis: Ich bin auf Byron The Aquarius durch seinen RA Podcast gestoßen.
Raoul: Einfach schöne House-Musik. Nicht mehr, nicht weniger, erfrischend unprätentiös. Der wabbelnde Bass macht Laune. Gefühlt so schon tausendmal gehört, trotzdem nicht langweilig
Max: Weckt bei mir Erinnerungen an Black Jazz Consortiums alias Fred Ps LP.
Alexis: Die Stimmung mäandert zwischen gelassen und melancholisch. Weniger minimalistisch als Rick Wade, weniger souly als Moodyman. Jazz ist hier, wie ihr sagt, the Teacher.
Max: Es ist ja definitiv keine steile These zu sagen, dass sowas nie aus der Mode kommt.

Byron The Aquarius ­­­­ — „Age of Ultron” feat. MDMA

Max: Haha, wer ist diese*r MDMA?
Raoul: Zu Ultron sagt Google: Ultron ist ein fiktiver Superschurke, der in amerikanischen Comics erscheint, die von Marvel Comics veröffentlicht werden.
Max: Oldschoolige Ansage zu Beginn, schöne Dosen Acid dazu.
Raoul: Okay, das ist ein „roher Jam”, wie man im Sprech so schön sagt.
Max: Yes, die rüttelnden Percussions und Acid-Bass stampfen euphorisch.
Leo: GTA San Andreas-Automukke. 
Max: Haha, beispielsweise. Obwohl da ja damals auch auf Larry Heard zurückgegriffen wurde, glaube ich.
Alexis: Fusionlastig, das Ganze, auch dieser Track lebt von der Spannung zwischen opulenten Gitarren- und Bassläufen und den lauten und leicht verzerrten Drums. Die sorgen für die Erdung.
Max: Holt mich jetzt aber nicht so ab, kommt nicht so recht vom Fleck in meinen Ohren.
Raoul: Ja, wenn jetzt noch mal zwei so Loop-basierte, simple Dinger kommen, wird’s ein bisschen öde.
Alexis: Er schwelgt, aber bleibt doch auf dem Boden, insofern finde ich die Stücke bisher nicht falsch. Aber ja, man versteht nicht ganz, wo er damit hinwill. 

Byron The Aquarius — „Techno is Black (Respeck)”

Leo: Wieso Techno auf einer House-Platte ins Spiel bringen? 
Raoul: One spirit, Leo.
Max: „Detroit – ATL — Chicago” – hätte er an dieser Stelle gar nicht erklären müssen.
Raoul: Die Vocal-Samples sind mir hier zu sehr Klischee, die sauberere, digitalere Produktion aber geil.
Raoul: Byron auf RA: „I think that’s what music is missing: Live frequencies. I miss those days when people just created from the love of music.”
Alexis: Der Mann kommt aus San Francisco, ist ausgebildeter Jazzpianist und wurde in Chicago von Kai Alce an House und Techno herangeführt.
Raoul: Okay, dann war das auf A1 vielleicht kein Sample, sondern er am E-Piano
Max: Angenehm einlullender Vocal-Techno mit super Hi-Hats. 
Leo: Besonders für schleifende Hi-Hats bin ich immer zu haben.
Alexis: Daran konnte mich schon zu Lo-Fi-Zeiten nicht satthören.
Max: Gefällt mir bisher am besten, trotz des arg plakativen Moments.
Alexis: Finde ich auch, hier entsteht sowas wie eine Stimmung. 
Max: Haha, „sowas”.
Raoul: Auch hier: Obwohl schon häufig alles so gehört, trotzdem nicht langweilig, wenn nicht sogar „fresh”.
Leo: Die Message ist auf alle Fälle angekommen.

Byron The Aquarius — „Falling in Love (Dub)”

Max: In einer englischen Review muss hier zwangsläufig die Vokabel „Lush” fallen.
Alexis: Ein Talent, das noch Zeit braucht, sich vor uns zu entblättern. Da ist schon was, nur wird nicht ganz klar, was. 
Raoul: Housige Urlaubsvibes prallen auf okkultes Geklimmer, me like.
Raoul: Klingt ein bisschen nach Lones Magic Wire.
Max: Das alles nochmal ein paar BPM langsamer, reduzierter und mit Nuschel-Vocals und man kommt eventuell bei Galcher Lustwerk an.
Alexis: Daran hätte ich nicht gedacht, an Galcher. 
Max: Hier erstmals ein mysteriöses Moment dabei. Wow, schöne Melodie jetzt.
Alexis: Diese Tröte meinst Du? 
Leo: Wenn man unter Wasser in die Trillerpfeife pustet. 
Max: Könnte auch ein prozessiertes Kazoo sein, haha.
Leo: Klingt aus meiner Sicht insgesamt (zu) sehr aus einem Guss. 
Max: Ja, ist jetzt auch auserzählt, finde ich.
Raoul: Auch für meinen Geschmack zu wenig Ausreißer.

Harry Wills ­­­– Sarky EP (Holding Hands)

Harry Wills ­­­– Sarky

Raoul: Wer ist dieser Harry Wills? Was für ein Überbanger! Genau mein Geschmack. Der A1 im Club und alles ist zu spät.
Leo: Herrlich analog und super produziert. Herrlicher UK-Sound. Musik in seiner reinsten Form.
Leo: Da wird Raoul ganz warm ums Herz.
Raoul: Mehr als warm.
Leo: Erinnert mich an Overmonosiii`s Front”.
Raoul: Ja, aber elektroider als Overmono.
Alexis: Eine Break-Nummer, wie man sie aktuell oft hört, aber sehr gut gemacht. So gut, dass sie wirklich mal an die Vorbilder aus den Neunzigern heranreicht. 
Leo: Unglaublich, wie viel man aus einem ertrinkenden Synth rausholen kann.
Max: Wie viel ist das denn genau? Drumming finde ich cool, Melodie packt mich jetzt nicht so.
Alexis: Das Drumming hat eine extreme Spannung, die Bassline erdet die Unruhe in einem satten Flow. 
Alexis: Erinnert auch an Oldschool-Hip-Hop aus den frühen 1980ern, say Mantronix.
Raoul: Wie Bassline, Kickdrum und Sub eine Einheit ergeben, ist super produziert. Amen Break never gets old.
Leo: Ich liebe es, wenn in diesem Kontext Vocals dezent eingesetzt werden. Ob wir es hier wohl schon mit dem vorzeitigen Gewinner der Platte zu tun haben?
Max: Ok, jetzt steigert er sich doch deutlich. Traumhafte Bassspur.
Raoul: Auch noch genug Luft im Track, dass was Anderes dazu gemischt werden könnte, es nicht zu erdrückend ist, wie viele Tracks, die gerade auf dieser Elektro-Break-Welle mitschwimmen.
Alexis: Nice, wie der zwischen verschiedenen Drumloops hin- und herwechselt. Wie die Bassline rumort, die Synth-Jam doch immer wieder die Melodie findet. 
Leo: Harry wohnt in Frankfurt, scheint aber nicht vergessen zu haben, wo er herkommt.

Harry Wills ­­­– „While my M1 gently weeps

Leo: Wo kommen diese prägnanten Pads her? Die kennt man doch von einer großen House-Hymne. 
Alexis: Die Nummer ist ein ultraklassischer NY-House-Track, wie er 1991, 1992 auf Strictly Rhythm hätte rauskommen können.
Raoul: Ja, dieser Synth erinnert mich total an Presets gewisser Synthies. NY-House pur.
Leo: Da kommt doch unweigerlich die Sehnsucht nach vollen Dancefloors wieder hoch!
Alexis: Das stompende, fordernde Drumming auf der einen Seite, die elegant eingebauten Xylophonklänge auf der anderen.  
Max: Perfekt beschrieben. Gerader Beat, schöner Groove und eine unbeschwerte Stimmung.
Leo: Die Hi-Hat so konsequent durchlaufen zu lassen, ohne das es nervt, das muss man erstmal schaffen.
Max: Tatsächlich House in Reinkultur. Einer der Kategorie „Geht immer”.
Leo: Das Riff hat er bestimmt aus einer dieser Sendungen, wo Menschen mit versteckter Kamera auf die Schippe genommen werden. 
Max: Fehlt nur noch ein*e Erzähler*in.
Alexis: Mit Spaß am Luxus, aber die Härte nicht vergessend, mit der der erarbeitet ist. 
Max: Hahaha, jetzt noch das gute alte Schlager-Keyboard dazu.
Raoul: Finde den Track nach der überstarken und so anderen A1 aber eine ziemliche Enttäuschung. Hätte besser zu Byron gepasst, haha.
Max: Das sehe ich etwas anders. Byron war ja durchgehend seriöser. Das ist schon arg goofy, wie man sagen würde.
Alexis: Mir gefällt der gut. Drückt ordentlich auf die Tube, und hat trotzdem Stil. 
Raoul: Goofy ist auch Stil.
Max: Mag ihn auch, man sollte ihn wohl bloß nicht zu lange konsumieren. Drei bis vier Minuten im Set.
Leo: Welche Richtung er wohl mit den nächsten Rillen einschlägt? Jetzt geht es wahrscheinlich mal ins 21. Jahrhundert.
Alexis: Not quite. New York scheint sein Ding zu sein, gleich kommt eine Hommage an Empire State of Mind.

Harry Wills ­­­– „Howzat

Max: Ok, das ist ein himmelweiter Unterschied zum letzten. Da tut sich extrem viel
Alexis: Jetzt wieder eine Downbeat-Nummer mit Frühachtziger-Anleihen. Kantiger, futuristischer Boogiefunk, zu dem man sich gleich für einen Roboter-artigen Breakdance auf den Redaktionsboden werfen will. 
Max: Ui, Build-Up.
Leo: Dafür wird’s für die Füße wieder anstrengender. Mit einem derart großen Moment hätte man in dem Track aber nicht gerechnet. Unerwarteter Umschwung!
Raoul: Wollte schon schreiben “Klischee-Elektro.” Dann kamen die Pads…
Alexis: Genau, ein Electro-Interlude kredenzt er uns auch noch. 
Raoul: Trotzdem fühlt es sich für mich ein bisschen angestrengt an. Die A1 war authentischer.
Leo: Ja, der Track wirkt gewollter.
Max: Auch mit der Lautstärke wird gekonnt gearbeitet, kleine Sollbruchstellen bleiben im Track.
Alexis: Gute Beobachtung, ja.
Raoul: Diese 80er-Hits, hach, sofort sieht man innerlich US-Comedy-Shows vor sich.
Max: Hä? In welcher Comedy Show hörst du sowas?
Alexis: Ja, Comedy hör ich da auch nicht.
Leo: Eher das roten Leuchten des Knight Riders. 
Max: Stimmt, KIT fährt schon etwas durch den Track.
Raoul: Comedyshow vielleicht bisschen irreführend, vielleicht eher so: „Und der Mörder ist…” – HIT HIT HIT.
Max: Wir scheinen ein verschiedenes Bild der Achtziger bzw. von Fernsehen im Allgemeinen zu haben, hahaha.
Raoul: Das kann sein. Nicht, dass noch rauskommt, dass ich Tatort gucke. Hups!
Max: PEINLICH.
Leo: Abwechslungsreiche Platte, lässt sich bereits jetzt festhalten – aber ohne dass einem Abwechslung unter die Nase gerieben wird.

Harry Wills ­­­– „Nudge

Leo: Passiert jetzt noch etwas? Muss aber auch gar nicht. Der Track kommt einem nach so viel Auf und Ab jetzt sehr gelegen. 
Max: „Nudge” gefällt mir auch.
Alex: Nochmal Hip-Hop-Electro, House war der Ausreißer auf dieser EP. 
Raoul: Top Nummer: luftig, verspult, toolig.
Max: Auch wenn mir nicht klar wird, wen er damit denn wohin stoßen will.
Max: Oder sagen wir: sanft drücken.
Raoul: Zum nächsten Track vielleicht?
Alexis: Mit dieser spielerischen Bassline knüpft er wieder an die A1-Nummer an. Aber noch etwas reduzierter, 
Leo: The UFO is landing.
Raoul: Landing in funky town.
Max: Ich war ja mal in der Griessmuehle eine von zwei, vielleicht drei Personen am Sonntagfrüh bei Doc Scott. So klang das da in meiner Erinnerung. Haha.
Leo: Nach wie viel Stunden klang das so?
Max: X!
Raoul: Oh, der arme Doc Scott, wäre zu gern die vierte Person gewesen.
Alexis: Doc Scott gute Referenz. 
Alexis: Weniger ausgearbeitet als die anderen Nummern. Futter zum cutten. 
Leo: Oh, jetzt kommt es doch noch zum Druckabfall in der Kabine.
Max: Saustark! Fällt insgesamt auf: Er arbeitet dann doch noch immer ein neues Motiv ein, das man so nicht mehr erwartet hätte.
Alexis: Überraschend softe Pads bringen jetzt nochmal eine andere Farbe rein und machen aus dem Loop einen Track. 
Max: Das ist mein Highlight!

Lurka — Rhythm Hi-Tek (Timedance)

Lurka – „Point Noise Behaviours

Leo: Ok, nicht ganz so analog wie die zweite Platte. 
Raoul: Von Bass zu Post-Post-Post-Dubstep?
Leo: Klingt extrem nerdy, wie alles auf Timedance
Max: So wie auch sein Podcast bei uns.
Alexis: Hier zum ersten Mal ein Wunsch nach Modernität. 
Leo: Klingt wie eine dieser Spielkonsolen, die nach meiner Jugend auf den Markt kamen. 
Max: Man weiß bei denen auch nie zu hundert Prozent, ob die eigene Anlage wirklich komplett korrekt arbeitet.
Leo: Wirklich wohlgeformte Klangfarben. Bin gespannt, wo die Reise hingeht. 
Raoul: Hyperreal, dystopisch. Ein schlechter Trip durch Metropolis, während die Häuser links und rechts von dir abfackeln.
Leo: Very computery!
Raoul: Aber du im Roboterkostüm rast mit 300 Sachen auf den Datenstreams.
Leo: Wie lange er wohl gebraucht hat, um sein Instrumentarium so zu schärfen?
Raoul: Bei der EP generell schwer zu sagen, ob ich das mag oder nicht. Ist „mögen” hier überhaupt die richtige Kategorie?
Leo: Auf alle Fälle nicht für den Hausgebrauch gedacht.
Max: Die richtige Kategorie ist „Aushalten”.
Raoul: Lurka macht das ja auch nicht seit gestern, obwohl er im Schatten vieler UK-Kollegen steht.
Alexis: Drumming und Sounds interagieren hier direkter miteinander als bei Byron und Harry. Ein lebendiges, unantizipierbares Synth-Riff kommuniziert Takt für Takt mit den schmetternden, reduzierten Breaks.   
Raoul: Knüpft stilistisch sehr an den Air Max ’97-Überhit von 2019 an.
Alexis: Stimmt!
Leo: Gepaart mit einer anderen Scheibe wahrscheinlich ganz geil. 
Max: Im Ernst: Ich finde es nicht schlecht, im Büro aber irgendwie arg gewöhnungsbedürftig.

Lurka – „sspeedd

Max: Okay, das ist selbsterklärend.
Leo: Mit dem Tracktitel möchte er uns wohl auf die Schippe nehmen. Da geht noch was!
Raoul: Ich mag die Rhythmen und Radikalität, aber finde die metallischen Klänge fast schon Klischee. Das ist das Erste, was du machst, wenn du modern klingen willst.
Max: Ja, zurück zum Holz! Onomatopoetisch die verwaschene Sprache im Titel schon mit aufgenommen – Akademiker-Techno!
Raoul: Erinnert so auch an bisschen an Night Slugs der 10er-Jahre: Bok Bok.
Max: Haha, bok bok. Stimmt.
Leo: Der Track ist so Batu.
Raoul: Finde ich nicht. Bei Batu wäre da Luft, Dub drin.
Leo: *Batu hinter den Decks.
Alexis: Auch hier ist eine Menge Autechre drin. Sein Anliegen könnte man so beschreiben, dass er versucht, Autechre-Stücke zu halbwegs funktionierenden Clubtracks gerade zu biegen. 
Raoul: Uh, nice, der Umschwung zum geraden Beat, es lüftet sich.
Leo: Da stolpert er. Beziehungsweise: Ist die Nadel vom Player gesprungen? 
Max: Schöne Beschreibung, das mit Autechre. Auch wenn die Komplexität im Drumming eine ganz andere ist. 
Raoul: Ja, Autechre als Clubtracks. Selten, dass die A2 stärker als A1 ist.

Lurka – „Minds Eye Tript

Max: Uff-da-da.
Alexis: Ja ein leichter Kölner Humpta-Techno Einschlag ist da drin. 
Max: Da bricht der Jeck in Leo durch.
Leo: Erfreut sich bestimmt großer Beliebtheit bei DJ Plead, Anunaku und Konsort*innen. Auch wenn die eher aufs Holz vertrauen. 
Alexis: Auch die Verbindung ist da.
Max: Find’s bei dieser Art Sound immer wieder verwunderlich, dass so ausgenudelte Strukturen letztendlich doch immer wieder ganz cool klingen.
Raoul: Sicherlich im Club sehr effektiv, im Büro bisschen öde.
Leo: Ich hätte bei der Platte mit mehr digitalen Ausuferungen gerechnet. 
Raoul: Ziemlich konventionell nach dem wilden Trip zu Beginn. Eher Tool als Track.
Alexis: Immer ein dankbarer Ansatz, eine eingängige Bassfigur immer wieder in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Besonders wirkungsvoll und schön sind hier die wechselnden Drumpatterns.
Max: Erinnert mich im Sounddesign etwas an die eine Skee-Mask-EP aus dem letzten Jahr, die ich gar nicht mochte.
Alexis: Stimmt, das A1-Stück.
Max: Ja! „Juug” hieß das. Brr.
Raoul: Also dieses Skee-Mask-Stück war deutlich nerviger! Wirklich ein Low Light von ihm.

Lurka – „Rhythm Hi-Tek

Leo: Der Titeltrack an letzter Stelle: Ungewöhnlich! 
Raoul: Schade, hätte hier nichts gegen einen 5-Tracker oder so gehabt. Alles in allem, UK-Sound wieder mal weitergedacht. Auch wenn ich nicht hoffe, dass diese metallischen Klänge das neue Ding werden.
Max: Aber schon eine gute EP.
Leo: Wirklich weitergedacht.
Raoul: Megagut.
Alexis: Naja, das sind Warp-Clonks, die gehen immer 
Raoul: Bisschen Wobble-Bass darf nicht fehlen.
Max: Ui, ich wittere Hip Hop.
Alexis: Ich wittere Bro-Step.
Max: Extreme Varianz, ich wittere Merkel-Wave.
Alexis: Joking. Ja ich finde der EP fehlt ein roter Faden. Wobei die Ansätze stark sind und das Sounddesign extrem. 
Max: Ernsthaft: Die ganze Platte ist quasi nicht zu erfassen, das klingt schon frisch.
Raoul: Ja, wie ich eingangs meinte – ist „mögen” hier überhaupt noch die richtige Kategorie?
Alexis: In dem Avantgarde-Anspruch auch an Lanark Artefax erinnernd.  
Leo: Absolut!
Max: Stimmt. Aber schon spannender als „Corra Linn”.
Raoul: Naja, für Artefax fehlen Synths, melancholische Synths. Aber ja, das Rhythmusgefrickel, total. Wobei das Artefax ja auch nicht erfunden hat.
Raoul: Die A2 sticht ein bisschen raus, die anderen Nummern haben durch das metallische Sounddesign einen roten Faden, finde ich.
Leo: Scheint so, als sei er technisch extrem versiert und möchte das mit der Platte zur Schau stellen. Weniger wäre aber vielleicht hier mehr. 
Max: Das stimmt, ist eher eine ambitionierte Werkschau.
Alexis: Mir fehlt da das Beiläufige, das ist zu sehr Statement. 
Leo: Da kommt die Sehnsucht nach der Monotonie hoch. Schlusswort?
Alexis: „Gib mir den Loop.”
Max: 😀

Tam Nisan – BROR11 (BROR)

Tam Nisan – „Negura

Leo: Der gerade Beat darf diese Woche nicht zu kurz kommen. 
Raoul: Uff, jetzt das Betäubungsmittel ihrer Wahl konsultieren und abtauchen. Selten so psychedelischen Techno in letzter Zeit gehört. Sofort ganz woanders.
Alexis: Jetzt Dubtechno mit starken Anleihen an Wolfgang Voigts GAS-Projekt.
Max: Natürlich. Das klingt in Teilen asiatisch, aber nicht so artsy wie SVBKVLT-Nummern.
Leo: Jetzt wird’s nochmal melancholisch. So melancholisch, dass KANN neidisch wird. 
Raoul: Giegling auch.
Leo: Eine ziemlich neblige Angelegenheit. 
Leo: Label kommt aus Schweden, Göteborg um genau zu sein. Die Künstlerin
Tam Nisan aus Rumänien.
Alexis: Rod Modell fällt mir da auch ein, aber etwas melodiöser das Ganze. Dystopian schwingt auch stark mit. 
Max: Ja! Rod Modell ist ja noch etwas preschender, druckvoller. Hier ist die Prämisse schon Realitätstrübung.
Alexis: Total. 
Raoul: Ja, Recondite lag mir auf der Zunge.
Raoul: Kann es sein, dass wir gerade so fresh sind, dass wir hier eine Künstlerin featuren, die nichtmal ein RA-Profil hat?
Leo: Die Platte hatte sich auch in der hintersten Ecke der Neuveröffentlichungen versteckt. 
Max: Die einem Leonard Zipper aber nicht verborgen bleibt.
Raoul: Wunderschön, die subtilen Veränderungen, die vielen Layer, die Dichte.
Max: Total, bin schon sehr angetan.
Alexis: Der Dancefloor als Niemandsland, auf dem die Tänzer*innen als gespenstische Gestalten umherwandeln.
Leo: Was für eine Schlitterpartie, entlang der angesprochenen subtilen Entwicklung der Tracks.
Alexis: Glaubwürdig, aber stilistisch nicht sehr auffällig.
Raoul: Ein bisschen Actress-Vibes, aber technoider.
Raoul: Sheesh, diese Claps mit ewigem Hall.
Leo: Nur dass Actress nicht Schlitten fährt, sondern im Schnee liegen bleibt – aktuell zumindest.
Max: Du meinst wegen der AI-Episoden?
Leo: Genau!
Max: Sehe ich ganz genauso.
Max: Sowas habe ich jedenfalls lange nicht mehr gehört. Gelungene Rückbesinnung aufs Essenzielle. Aber nicht ohne eigenen Kniff.

Tam Nisam­­ – „Negura (DJ Lily Remix)”

Leo: Remix-Time! Mit etwas mehr Punch funktioniert die A1 also auch bei zehn BPM obendrauf.
Raoul: Schön, dass aus Schweden derzeit nicht nur Neo-Gabber kommt.
Alexis: Der Remix des beliebten schwedischen DJ Lily aus Göteborg.
Leo: Ihm gehört das Label, auf dem die Platte rauskommt: BROR Records.
Max: Der letztens auch mit einer eigenen EP bei den Platten der Woche vertreten war.
Raoul: Ich finde die Version hier nicht so magisch, so transzendent wie das Original.
Leo: Ein Remix, der nicht weitergedacht ist. 
Max: Ja, kennt man das Original, ist das etwas zu konkret. Also mit paar Veränderungen den Track einfach seiner Magie beraubt. Die Kick ist debil.
Raoul: Dafür mit mehr Stomp.
Alexis: Ja nicht ganz so entrückt, dafür spielbarer, Loop-lastiger. 
Max: So kann man’s auch ausdrücken.
Max: Erinnert mich an manche Carl-Craig-Remixe. Eine Clap eingebaut – fertig.
Also im Arbeitsprozess, nicht im Sound.
Alexis: Die Seelensuche ist weg, ist jetzt verschwurbelter Tool-Techno. 
Raoul: Ja, wäre ja auch spannend gewesen, neue Klänge draufzusetzen. Oder die Harmonien hoch und runter zu shiften.
Leo: Jetzt haben wir die Monotonie und sind trotzdem nicht zufrieden. 
Max: Monotonie gibt’s derzeit genug, das Träumerische war besser.
Alexis: Monotonie ist es nicht, dazu ist es zu bombastisch.  
Leo: Next?
Max: Gern.
Leo: *Wie es auf MTV damals so schön hieß.
Max: <3

Tam Nisam­­ – „Periplu Euxin”

Leo: Latein? 
Max: Oder Robag-Wruhmisch?
Alexis: Jetzt langsamer und ruhiger. Clickertechno, aber auch mit ordentlich Soundscapes.
Raoul: Wie das knistert, rauscht und knarzt. Die offenen, traumgleichen Harmonien. Die Kickdrums als verhallter Puls im Hintergrund.
Max: Das finde ich wiederum hervorragend. Lieber mal ohne Remixe.
Leo: Scheint so, als sei sie mit Dorisburg befreundet. Zumindest lässt es das resonante Glockenspiel vermuten. Der kommt nämlich, genau wie das Label, auch aus Göteborg.
Leo: Dubby und organisch. 
Max: Organisch würde ich es auch nennen, es klingt sehr griffig. Klingt auch etwas wie eine Hausparty im oberen oder unteren Stockwerk. Geschickt verschleiert.
Alexis: Oder im Schwimmbad unter Wasser. 
Raoul: Total Unterwasser-Sound.
Max: Die Spannung steigt, die Erwartung auch. In bester GAS-Manier weiß man aber schon, dass man auf hervorragende Weise enttäuscht werden wird.
Raoul: Haha, auf hervorragende Weise enttäuscht zu werden, ist doch was Feines.
Leo: Keine Platten jenseits der 140 BPM diese Woche. Das passt auch gut zu geschlossenen Clubs.
Max: Und doch hast du keine fünf Ambient-EPs ausgewählt – danke dafür.

Tam Nisam­­ – „Din Senin

Leo: Zurück auf den Schlitten!
Raoul: Schade, von der total entrückten A1 nähert sich die Produzentin vertrauteren Strukturen und Harmonien an. Ich würde eher das Gegenteil begrüßen.
Alexis: Mir fehlt hier das Arrangement. 
Max: Klingt, als müsste es von the29Nov Films vertont werden.
Leo: Stürmisch!
Alexis: Ja, diese Nummer ist etwas konventioneller, ein Synth-Flackern steht im Zentrum und schafft Struktur. 
Raoul: Okay, der verstimmte Lead-Synth – mutig.
Max: Da fällt mir diesmal eher weniger zu ein.
Raoul: Aber irgendwie: Die Luft ist raus.
Alexis: Dieses Mystery-Element ist doch sehr kitschig, der Nebel dagegen unbestimmt. Verstehe nicht, wo da die Beziehung liegt. 
Leo: Ja, und dann noch die Chorgesänge im Hintergrund. Die Nummer mutet beim zweiten Hören tatsächlich ziemlich kitschig an.

Tristan Arp — Slip (Banoffee Pies Records)

Tristan Arp — „Swept Thru

Leo: Zurück in die USA, genauer gesagt nach New York.
Raoul: Tristan Arp konnte uns schon im Februar mit seiner Debüt-LP überzeugen.
Raoul: Bitte mehr so Bass-Sound aus New York. Ist Tristan der neue FaltyDL?
Max: Jetzt wieder verschachtelter. Gab einen super Arp-Remix von Kelman Duran mal. Das war eine spannende Kombination.
Leo: Auch wieder was für Plead, der sich derzeit so großer Beliebtheit jenseits des geraden Beats erfreut.
Max: Stimmt, das passt. Total.
Alexis: Ja, an Plead musste ich auch denken. Hier Ethno-Anleihen mit Rave-Sirenen verwoben.
Raoul: Livity-Sound-Vibes.
Leo: Ist gerade ziemlich angesagt, mit Instrumenten, die in Europa oder den USA nicht verbreitet sind, zu produzieren. Wie Deena Abedelwahed zum Beispiel. 
Raoul: Und nochmal eine Ebene draufgesetzt. Astrein produziert, wie sich die Drum-Loops hochschaukeln.
Alexis: Stimmt. Er schafft es, den Breakbeats, die heute oft zu Stereotyp klingen, einen unerwarteten Dreh zu geben. Dieser Track ist ein derber Dancefloor-Stomper, zugleich auch sehr durchdacht.
Max: Sehr. Finde ich bislang besser als das Meiste auf dem Debütalbum.
Leo: Steht zwar Slip drauf, ist aber bis jetzt nicht so slippy wie die Vorgängerplätte. 
Raoul: Ja, das ist meine neue Lieblingsnummer von ihm.
Leo: Ein guter Kompromiss aus digitalen und analogen Sounds. Zumindest in Anbetracht dessen, was wir heute alles gehört haben. 
Max: Hier triumphiert Holz beispielsweise klar über Metal.
Raoul: Auch hier wie auf dem Debüt schön unprätentiös. Das will nicht unbedingt modern klingen, tut es aber.
Alexis: Er ist komplex, ohne vertrackt oder gar ziseliert zu klingen – beispielsweise im Gegensatz zu Lurka.

Tristan Arp – „Oblique House

Leo: Plätscher, plätscher. 
Max: Klingt wie ambitionierter Minimal, der in ein gänzlich frisches Beat-Korsett gepresst wurde.
Raoul: Heute viele Platten, die gleichzeitig enorm starke und schwache Stücke beinhalten.
Alexis: Ja, erinnert an Ricardo VillalobosDebütalbum. Finde ich auch gut, driftend und verdrogt, dennoch entschieden, mit viel Energie.
Max: Unterschrieben! 
Leo: Absolut!
Alexis: Irre Bassline. 
Raoul: Das Vocal finde ich etwas cringy.
Max: Den Ricardo-Ball nimmst du jedes Mal wieder gerne auf.
Alexis: Immer. 🙂
Raoul: Ja, der Bass hat so einen Druck, dass der wahrscheinlich Beton aufsprengt.
Leo: Ich wusste, dass ich Alexis damit am Ende noch eine Freude bereiten kann. 
Alexis: Das ist dir gelungen. 🙂

Tristan Arp – „Slip

Raoul: Und zurück im Bass-Dschungel.
Leo: Klingt alles wirklich weitergedacht. 
Alexis: Ein faszinierendes Rhythmusgebilde vom ersten Takt an, dieser Track. Tribal-lastig, aber auch wieder sehr gewählt. Das Ganze hat eine Wärme und Intimität, die man aus dem Zusammenhang nicht kennt.  
Leo: Das Digitale im Blick, aber in einiger Entfernung – und ohne aufgesetzt zu klingen. 

Tristan Arp – „Circling Music

Max: Klingt bisschen wie Shackletons Projekt Tunes Of Negation.
Raoul: Uh, gute Referenz.
Alexis: Ja, Shackleton. Und Isolée. Ein Epilog aus verschachtelten, Xylophon-artigen Klängen, die auch bei Minute 2:20 noch in keinen Beat münden.
Raoul: Die Pads schön verwaschen, die Synths wabbeln und kreisen herum, kontrastiert durch scharfe Rhythmen.
Max: Dezent, aber ausgesprochen kreativ.
Leo: Zurückhaltend und geduldig. Ein guter Ausklang. 
Raoul: Ja, eine schöne Nummer zum Schluss.
Max: So besinnlich kann man’s gerne beenden.
Alexis: Ist das der Beat, oder ist er es nicht? 
Raoul: Wir holen jetzt die Klangschalen raus, zünden die Räucherstäbchen an und schieben uns zehn Meditationen sonst wo hin.
Raoul: Trommelst du noch oder kickst du schon?
Max: Bisschen, aber – wenn überhaupt – nur angetäuscht.
Raoul: The bottom line: Wir haben ja schon einige fantastisch kuratierte Roundtables gehabt, aber das hier ist eine ausgesprochen exquisite Mischung. Auch als DJ gedacht, würden deine Platten der Woche hintereinander gemixt sofort funktionieren. Chapeau!

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