Eduardo de la Calle – Nadernimai (Electropical)

Nicht wenige Produzent*innen verlieren sich zwischen ihrer Hardware, Eduardo de la Calle aber lädt sein Publikum regelmäßig darin ein und führt es durch fiepsende Modular-Synthesizer und funkelnde Drummachines. Nadernimai erscheint auf dem recht unbekannten französischen Label Electropical und bringt vier verschiedene Auffassungen von dem in einen Zusammenhang, was Techno im Koordinatensystem des Spaniers alles leisten kann: bleepige Sounds umgarnen einen statischen Groove („Aitareya”), eine Bassline irrlichtert durch ein wolkiges Klangbett („Kena”), hart akzentuierte Chords scheppern durch breite Soundscapes („Muktika”) und zuletzt vermählen sich detroitige Anleihen mit dubbigen Vibes („Stotra”). So unterschiedlich diese Tracks doch ausfallen, ist ihnen eines gemein – sie buhlen nicht um Aufmerksamkeit, wollen nicht die Peak-Time stürmen. Sondern vielmehr langsam zu Warm-Up- oder Late-Night-Zeiten ihr Publikum umgarnen wie Trockeneisnebel auf dem Dancefloor. Ndernimai ist als freundliche Einladung zu verstehen. Kristoffer Cornils

Fort Romeau – Fantasia (Permanent Vacation)

Fort Romeau – Fantasia (Permanent Vacation)

Auch mit seiner zweiten EP für Permanent Vacation knüpft Michael Greene alias Fort Romeau wieder an die Ära des Progressive House an. „Annadin” gibt sich sogar gleich als Neuinterpretation einer der großen Rave-Hymnen des Jahres 1994 zu erkennen, seinerzeit ein Hit für den UK-Dance-Act Sunscreem. Greene zerpflückt die Piano-Hook, unterlegt einen rollenden Subbass-Groove und zieht nach dem Drop eine stereophone Acidline ein – überaus bemerkenswert die traumwandlerische Sicherheit, mit der Fort Romeau hier das Musterbeispiel eines gelungenen Updates eines Klassikers für zeitgenössische Dancefloors aus dem Ärmel schüttelt, so souverän wie uneitel. Die größere Aufmerksamkeit gebührt indes den beiden Originalen: Insbesondere „Fantasia” ist schlicht unwiderstehlich ausgefallen: Neo-Trance abzüglich der genretypischen Überladenheit, dafür mit Harmoniewechseln an der richtigen Stelle und einer nur zweimal auftauchenden Kontrapunkt-Mini-Hookline, die sich dafür umso tiefer im Klanggedächtnis verankert. „Neuromance” interpretiert das Progressive-Thema ebenfalls mit Anklängen an Italo-House-Muster, kommt aber noch etwas zurückgenommener rüber als der Titeltrack. Mit der Fantasia empfiehlt sich Fort Romeau einmal mehr als einer der verlässlichsten Producer der Gegenwart. Harry Schmidt

Lårry – Kauz (Super Hexagon)

Lårry – Kauz (Super Hexagon)

Die Shopseite von Juno Records listet Lårrys EP Kauz unter Electro, Deejay.de stellt Detroit und Techno als Stichworte davor und Beatport sortiert die EP im Fach Electronica/Downbeats ein. Fehlt eigentlich nur noch Breakbeat/Drum’n’Bass, denn davon finden sich auch mehr als nur Spurenelemente auf diesem 5-Tracker. Aber vermutlich hat irgendeine andere Downloadplattform diese Genrebezeichnungen auch im Angebot. Und alle haben sie recht, allerdings immer nur bezogen auf einzelne Stücke von Kauz oder gar nur Ausschnitte davon. Also der Reihe nach: Der Titeltrack ist softer Electro mit Flächen in Detroit-Tradition auf fast schon Jungle-Tempo, Stück zwei sehr schneller Techno auf hohem Reduktions-Niveau kurz vor der Implosion, und Track drei geht als experimentelle Bass-Music-Fusion durch. Auf Vinyl folgt dann der „Cocktail Party Effect Remix” des A2-Tracks „Derdach”, der klingt wie Dubstep auf 45 statt 33 RpM und sowohl die stilistische Offenheit als auch die alle Originale verbindende eigentümliche Sanftheit der Stücke fortführt. Für die unphysische Fraktion gibt es dann noch einen digitalen Bonustrack namens „Bessernach”, der ohne Beats, aber keinesfalls ruhig daherkommt und gut als nervös-euphorisierender Breakdown eines speedigen Technokrachers funktionieren könnte. An die Arbeit, Edit-Schmiede! Mathias Schaffhäuser

Michael Mayer – Higher (Kompakt)

Michael Mayer – Higher (Kompakt)

Okee dokee, es ist Michael Mayer auf Kompakt. Erste Warnung geht raus an alle, die auch nur Pläne schmieden, einen dieser vier Tracks hören oder auflegen zu wollen. „Doot Doot” ähnelt Mitteln anderer Hersteller in der Fleckenlöserwerbung. „Doot Doot” geht nie wieder raus. Und er beginnt genau wie so ein Mayer-Track beginnt; unscheinbar fast, eine leichte Spur nur führt über den Pfad des Munteren bei 121 Beats in der Minute, unmerklich gibt sich das bisschen Puls allmählich deutlicher zu erkennen, und bevor irgendwer „Ach Herrje!” rufen könnte, ist der Moment da. Der Moment. Wie Mayer darauf hinarbeitet, baut er die Ekstase auch wieder ab, genießt sie, ohne sie auszubaden, und kühlt sachte runter. Der Miteigentümer von Kompakt geht mit dieser Strategie ja auch DJ-Sets an. Und so ist Higher eine vielfältige EP von Tracks, die dennoch alle in einem Mix auftauchen könnten. Das Titelstück ist die wildere Rave-Version von „Doot Doot”, „Belle De Lune” eine Fahrt durch Blade Runner-Kulissen und „Take A Stand For Love” ein weiteres Fanal für das Fanatische, das wir derzeit so vermissen. Christoph Braun

Minimal Violence – DESTROY —> [physical] REALITY [psychic] <— TRUST (Tresor)

Minimal Violence — DESTROY ---> [physical] REALITY [psychic] <--- TRUST Phase One (Tresor)

In Kleidertausch-Portalen fragt man mittlerweile nicht nur nach Tragefotos, sondern auch ob die andere Seite vielleicht noch mehr Y2K-Style hätte. Was sich dahinter alles verbirgt, ist unscharf formuliert. Das sind sowohl Kunstledermäntel wie Zebra-Slipper, Riesen-Back-Prints und Puma-Formel-1-Trikots. Alles schön (post-)ironisch oder eben doch nicht – wer weiß das noch? Trotzdem bleibt eine beliebte Referenz der Film Blade – für Millenials natürlich ein Klassiker. Ist kein neues Phänomen, und die Fünfziger wurden schon als ironische Reinkarnation in dem Film Grease verarbeitet. Genügend Haken geschlagen, denn hier geht es um den ersten Teil der DESTROY —> [physical] REALITY [psychic] <— TRUST-Trilogie des kanadischen Duos Minimal Violence. Nach Veröffentlichungen auf 1080p, Lobster und Technicolour (ihr letztjähriges Album InDreams) landet man nun straight beim alten Dampfer Tresor. Nimmt man diese erste 12“, muss man davon ausgehen, dass sich ein neuer Stil namens „Y2K” durchsetzen wird. „Ravebomb” ist perfekte So-klangen-die-Neunziger-(nun-wirklich-nie!)“-Musik. Während aber jemand wie Luke Vibert eine Reinterpretation von Hardcore liefern kann, ohne Geschichte zu verfälschen, schmeißen Minimal Violence Continuum-Sounds, Rave, Punk, EBM, Minimal Wave und eh alles zusammen, was man aus dem szenetypischen Maschinenfuhrpark gerade so rausholen kann. Im Opener geht das noch klar, im „Fire Remix” nervt es dann schon ein wenig. Die Flip ist interessanter mit guten Sample-Sounds (Ist das ein Fairlight?) und astreinen Drum-Settings. Das lässt auch Blade auf die beiden anderen Auskopplungen warten. Y2K? Y Not… Lars Fleischmann

Vorheriger ArtikelClubsterben: reporter-Beitrag zur aktuellen Entwicklung
Nächster ArtikelCorona-Support: Online-Musikdienste helfen Künstler*innen und Labels