Bogdan Raczynski – Debt EP (UTTU/Unknown To The Unknown)
Das untrügliche Zeichen, dass man in der nächsten Retrowelle steckt? Es wird in gut unterrichteten Kreisen mit völlig neuen, aber alten Musiker-Namen jongliert und jeder als state of the art verkauft. Die Künstler heißen dann etwa Bogdan Raczynski, sind Rephlex-Urgesteine und haben zwischen 2007 und 2019 so viele Platten veröffentlicht, wie es gute Gründe gibt, Mitleid mit Joe Exotic zu haben: Zero! Die Heads kommen jetzt aus ihren Löchern und fragen: „Kennste nicht?” Nee, ehrlich gesagt nicht. Ein Grund mehr jetzt einzusteigen. Ob Debt derweil ein lohnender Erstkontakt ist, steht auf einem anderen Blatt.Etwas zu hyperaktiv prügelt Raczynski hier nämlich weit jenseits der 140 BPM auf jeden ein, der nicht bei drei auf dem Baum ist. Das mag den ein oder anderen hier derweil an alte DJ-Rush-Platten erinnern; solche, die damals auf Relief rauskamen und zwischen den Beats, die nach Strom schmeckten, eben auch eine ganze Menge Groove und Funk entwickeln konnten. Dieser Funk geht dieser Platte leider ein wenig ab – auch wenn Sklaven der Retrowelle anderes behaupten werden. Lars Fleischmann
Diverse – ZEUG! (Sameheads)
Seit 2018 veröffentlicht Sameheads, das Label des gleichnamigen Berliner Bar-/Nachtclubs, jährlich eine Vinyl-EP, die Neues aus dem musikalisch aktiven Dunstkreis des Etablissements vorstellt. Diesmal eröffnen Mameen 3 alias DJ Sofa aus Brüssel und der rumänische Synth-Pionier Rodion G.A. die EP mit ihrer Zusammenarbeit „Planet Cluj”, einem frechen Discostepper mit verführerischer Italo-Tinktur, Yello-Rhythmik und fröhlichen Synth-Arpeggios. Mit „Chant Tree” steuert der Athener Anatolian Weapons einen perkussiven Track bei, dessen World-Music-Gesänge und wilde Bassline energetisch anpeitschen. Kreng, bestehend aus den Berliner Produzenten Don’t DJ und dane//close, verbreiten auch viel Energie – ihr Track „Version Version” serviert robuste, synkopierte Beats, die um düstere, an Grime mahnende Bässe tanzen. Den Abschluss machen Shakey, bestehend aus Sylvia Kastel und Wilted Woman. Ihr famoser Track „Steel Dub” lässt verfremdete Steel Drums über einen blubbernden Dub-Teppich tanzen und macht sehr neugierig auf das Shakey-Debüt, das im Frühjahr auf Palto Flats erscheint. Vier Tunes für futuristisch schummrige Partynächte, bei denen sich jeder Tänzer sicher sein kann, dass die Grooves multidimensional verführen. Michael Leuffen
Nikki Nair – Number One Slugger (Banoffee Pies Records)
Nikki Nair will es wissen. 2019 überhaupt erstmals auffällig geworden, hat er binnen eines Jahres sechs Releases auf sechs verschiedenen Labels vorgelegt: Gobstopper Records, Scuffed, Tram Planet, Muy Muy, Pretty Weird und nun Banoffee Pies. Number One Slugger heißt der 5-Tracker und präsentiert einen Musiker, der mit Schlagwerk tatsächlich gut umzugehen versteht. Das Ergebnis auf der A-Seite ist eine eigenwillige, erfrischende Version von Electro-funk. Afrika Bambaataa, Mantronix und Egyptian Lover sind die Urahnen dieser Musik, die der aus Knoxville, Tennessee stammende Nikki Nair modern interpretiert. Das macht er, in dem er zum Beispiel Elemente aus Drum’n’Bass („Super”) oder Rave („Slug”) einstreut. Die B-Seite ist minimaler, verzichtet fast durchgängig auf die Bassdrum, bleibt aber rhythmisch. Gleichzeitig streut Nikki Nair die Einflüsse weiter, öffnet sich für afrikanische Sounds und asiatische Zurückhaltung. Auf früheren Releases hat er durchaus auch House oder Minimal Techno bedient. Davon ist hier direkt nichts zu hören. Macht nichts. Dafür erleben wir einen Musiker, der sein Repertoire sukzessive erweitert und sich zu eigen macht. Und das in einem krassen Tempo. Mal sehen, wo das noch hinführt. Sebastian Hinz
Raven – Flames (Rekids)
Die in Barcelona lebende Kanadierin Raven verbindet, wie auf allen Shop- und Promo-Plattformen korrekt verkündet wird, etliche Stile und Einflüsse auf ihrem Debüt für Rekids. Und tatsächlich spielt auf Flames vor allem Techno eine große Rolle und lassen sich auch Acid- und Electro-Elemente in den fünf Tracks finden. Was die EP aber wirklich abhebt von Veröffentlichungen aus gleichem Haus und ähnlichem Kontext, ist der spezifische Pop-Anteil der Tracks. Besonders gelungen ist diese Melange in „In2U” und in dem zurückhaltenden und gleichzeitig magischen „BBGRL”, weil hier das Pendel nie so weit in Richtung Pop ausschlägt, dass der Clubkontext verlassen würde oder von klassischen Songs geredet werden müsste. Raven singt nicht einfach über Club-Tunes, sie kreiert in den besten Momenten eine interessante eigene Definition von zeitgemäßem Pop jenseits von Radioformat-Diktat und eingefahrenen Kompositions-Strukturen. Mathias Schaffhäuser
Tornado Wallace – Midnight Mania (Optimo)
Schon die ersten Sekunden von „Midnight Mania”, dem Opener des gleichnamigen Mini-Albums von Tornado Wallace, führen ein in dessen psychedelische Klangwelt. Tribal-Drums preschen nach vorn, während beißende Sirenen in weite Didgeridoo-Flächen stechen. Eine euphorische und gleichzeitig beklemmende Stimmung macht sich breit, die durch sanfte Chords und Pads konterkariert wird. Dazu immer wieder balearische E-Gitarren-Riffs und ritenhafte, trancige Vocals – moderner, spaciger Kraut-Rock als Vorbote einer verhängnisvollen Nacht („Atoms”). Unweigerlich möchte man das Stück live hören, Open-Air, Post-Corona. Dann plötzlich ein dezidiert tanzbarer Beat mit besänftigenden, zunächst zurückhaltenden Synth-Kaskaden („Mundane Brain”). Die Verspieltheit nimmt ab, hymnische Vocals verabschieden die Psychedelia und leiten ein in den tanzbaren Endpart des Albums. In „PNG” steigt das Tempo, die verträumten Melodien entwickeln sich zu 90s-Rave-Pushern, das vorher flächige Didgeridoo zur trancigen Acid-Synth. Der Breakbeat bleibt organisch und komplettiert den großartigen Cave-Rave – hörens- und spielenswert. Die Tanzfläche bleibt auch beim letzten Stück im Visier: Ein überraschend Baile-inspirierter Beat mit frecher Trap-Hi-Hat spurtet los und wird wieder eingefangen von sommerlichen Pads und Rave-Stabs („Jungle Dream”). Schließlich verschwimmen Drums, Melodien und Vocals in psychedelischer Einigkeit.Das Mini-Album ist aus einem Guss ohne zu langweilen und passt in seiner Verspultheit ideal zu Optimo. Wie eingangs erwähnt, ist die Handschrift des Australiers dabei durchweg präsent: Didgeridoo, Tribal-Drums und animalistische Geräuschkulissen als hörbares Outback. Shahin Essam