Gabber Modus Operandi. Foto: Oktavian Adhiek Putra.
Berühmt-berüchtigt sind sie, die Auftritte von Kas und Ican, die zusammen das Duo Gabber Modus Operandi bilden. Beim diesjährigen CTM-Festival galt ihr Auftritt am zweiten Freitag als Key-Performance des Festivals. Ihre entgrenzte Melange aus Gabber- und Noise-Elementen, Footwork und indonesischer Folklore wurde der hypnotisierenden Rhythmik der ugandischen Nakibembe Xylophon Troupe gegenübergestellt. Ben-Robin König hat Gabber Modus Operandi nach ihrem Auftritt im Berghain getroffen.
Ganz getreu des diesjährigen Festivalmottos, Liminial, gelang auf dem Konzert die Fusion von tribaler Musiktradition und digitalisiertem Genre-Overkill, Globalisiertem und Lokalem. Figuren wie Jamie XX oder Squarepusher waren die namhaften Headliner eines Festivals, das sich mit dem Exkurs in unbekannte musikalische Sphären schmückt. So erscheint der Auftritt dieser multiethnischen Ravekombi wie die Verkörperung dieser Auflösung von Gewohnheiten, die sich das CTM mit dem Liminial-Motto diesjährig umso mehr auf die Fahne geschrieben hatte.
Zum Interview trudelt mit 40-minütiger Verspätung ein ganz und gar allürenfreier Kas in eine austauschbare Hotellobby unweit des Auftrittsorts ein. Ican lässt sich mit Krankheit entschuldigen. Mag er sich diesmal nicht (wie bei früheren Gabber Modus Operandi-Auftritten) übergeben haben, schien die Show seinem Körper doch etwas zu viel abverlangt zu haben. Kas hingegen erfüllt im Rahmen des Duos so manches Produzenten-Klischee. Zurückhaltender, in sich ruhend, etwas schrullig; ein Nerd, wenn auch entgegen seinen Beteuerungen ein überaus reflektierter, freimütig erzählender.
Aber zurück zum vorauseilenden Ruf der beiden Indonesier. Spricht man mit szenekundigen Menschen über ihren Auftritt, ist die Frage, ob in diesem Jahr auch wieder Blut und andere Körperflüssigkeiten Teil des Programms waren, meist nicht weit. Und der Blick ungläubig, wenn die Atmosphäre als gleichermaßen gebannt wie entfesselt, streckenweise fast andächtig beschrieben wird. Letzteres ist sicher der allzu körperlichen Energie des Sets zuzuschreiben, die sowohl vom sich exzentrisch über die Bühne werfenden Ican als auch den fröhlich-konzentrierten Xylophonspielern in ihren weißen Roben aufs Publikum überspringt. Ursprünglich war der Groove eine Begleitung des Duos durch den Abend zugedacht, die vielleicht um einiges mehr Licht in die Dunkelheit des Berghain-Mainfloors gebracht hätte. Der Aufwand des konzertgewordenen Live-Sets wurde aber selbst allzu berauschten Besuchern der Veranstaltung ersichtlich.
„Mit unserer Musik wollen wir den Exotismus verspotten”, bekennt Kas. Die Frage sei, „wie tief du ins wirklich Exotische vordringen willst, ob wir eventuell deinen Blick auf die Exotik Balis zerstören”.
Kas von Gabber Modus Operandi
Dabei gab es, so Kas, im Vorfeld handfeste Schwierigkeiten zu überbrücken. Zwar liegt der alles zustande bringende Auftritt auf dem Nyege Nyege Festival bereits einige Monate zurück, die enorme räumliche Distanz und die unterschiedlichen Lebensumstände der Künstler ließen dem vom CTM initiierten Projekt letztlich aber nur zwei Wochen Vorbereitungszeit. Die hatten es in sich und standen voller Verständigungsschwierigkeiten – einerseits sprachlich, denn nur einer der ugandischen Nakimembe Xylophon Troupe spricht Englisch. Ein Großteil der Kommunikation verlief somit irgendwo zwischen Handzeichen und lautmalerisch, andererseits aber vor allem musikalisch. Die Ostafrikaner spielen größtenteils triolisch, Kas’ Produktionen folgen jedoch dem 4/4-Takt. „Es war wie das Lernen einer neuen Sprache”, gibt er zu. Im Verlauf der Proben opferten sie unter anderem HiHats und Snares. Wie genau sich letztlich ein stimmiges Klangbild ergab, vermag er selbst nicht recht zu sagen. „Verrückterweise funktioniert es dennoch”, befindet er.
Verrückt findet er auch, heute hier zu sitzen und durch die Welt zu touren, denn die heimische Szene ist klein. Auf Bali gibt es einen harten Kern, den er auf 40-50 Leute schätzt, eine eingeschworene Gemeinschaft, abseits des omnipräsenten Mainstreams. „Auch Bali ist nur ein anderes Ibiza”. So kommt es, dass DJs hauptsächlich aus Europa und den USA eingeflogen werden und Einheimische sich als Karriereoption ausgerechnet an europäischer Clubmusik bedienen, während Gabber Modus Operandi auf internationales Interesse stoßen, daheim aber so gut wie nie gebucht werden. Die Tabakindustrie sponsert die indonesische Clubszene, und für die seien sie zu extrem, kommentiert er grinsend.
Output: Club, Attitüde: Punk
Aber was macht Bali aus? „Gamelan”, sagt Kas. „Es läuft überall.” Er beschreibt die einlullenden Qualitäten dieser auf Bronzegongs und Metallophonen gespielten, traditionellen Musik Indonesiens und kritisiert gleichzeitig den kulturellen Fokus darauf, die touristisch fixierte Ausschlachtung. Und dennoch fühlt er sich davon beeinflusst. Vom herausgestellten Exotismus gleichermaßen wie seiner Kehrseite. „Genau diesen Exotismus wollen wir mit unserer Musik verspotten”, bekennt Kas. Die Frage sei, „wie tief du ins wirklich Exotische vordringen willst, ob wir eventuell deinen Blick auf die Exotik Balis zerstören”.
Denn wie viel davon bleibt in den Versatzstücken ihrer Musik erhalten? Ihre Musik spielt mit dem Momentum des Unerwarteten, allein der Name Gabber Modus Operandi verspricht eher europäischen Exzess mit BPM-Zahlen jenseits der 150. Nur ist da eben doch wieder dieses Wechselspiel mit Soundfetzen aus indonesischem Pop und Folklore – dem Produkt haftet etwas Unerhörtes an, so Kas, denn Gabber habe in ihrer Heimat nie existiert. „Allein die Idee von Gabber Modus Operandi ist für uns eine Art kulturelle Aneignung. Idiotischerweise haben wir anfangs kaum daran gedacht, aber das ist wirklich Weiße-Leute-Musik”, lacht er.
Mit ihrer Musik möchte Kas der Übervermarktung, der dem Tourismus geschuldeten Postkartenversion seiner Identität eine Alternativversion entgegensetzen, etwas leicht Bastardisiertes, das den perfekten Spiegel der Verhältnisse darstellt.
Als sie einmal in Rotterdam spielten, kam die Frage auf, ob sie sich als dekolonialisierendes Element sähen, schließlich komme Gabber aus Rotterdam und Indonesien war einst niederländische Kolonie. Für Gabber Modus Operandi war es eher ein Ritterschlag, eine Bestätigung ihrer Musik. Sie wollen keine politischen Aussagen tätigen und sähen sich nicht als Botschafter irgendeiner Sache. Dennoch folgt ein intensives Gespräch über die Folgen der Kolonialzeit, Raubkunst und europäische Schuld. Kas betont hier mehrfach die private Natur seiner Äußerungen, befindet, Europa solle keine gestohlenen Kunstwerke zurückgeben. Viele ehemaligen Kolonien, so auch Indonesien, seien schlichtweg zu korrupt, “noch nicht soweit”, wenn auch die Korruption durchaus Folge des kolonialen Erbes sei. Europa täte stattdessen besser daran, seine einseitige Reisefreiheit zu überdenken.
Vielleicht ist derlei politisches Denken bei politischer Entsagung dem Punk geschuldet, aus dem Kas und Ican hervorgehen. Ursprünglich spielten sie in Bands, über die Szene lernten sie sich kennen. Auch ihr erster Gig als elektronischer Live-Act fand auf einer Punk-Show statt. Kas’ Schlafzimmerstudio besteht aus rudimentärem Equipment und ist nicht gedämmt, die Akustik nach eigenen Aussagen exorbitant schlecht, regelmäßig schickt er Tracks zu Freunden in Jakarta, um überhaupt in Erfahrung zu bringen, ob sie gut abgemischt sind. Ihre Musik haben sie größtenteils verschenkt, Freunde erstellen Bootleg-Releases ihrer Produktionen und ohnehin würde viel getauscht. „Unser Output mag Club sein, aber die Attitüde ist immer noch Punk.”
Zwischen ebenjener Attitüde und proklamierter Sorglosigkeit zeichnet Kas das Bild zweier möglichst normaler Menschen, die zwar abnorme Musik produzieren, aber nicht zu viel darüber nachdenken. „Wir sind durchaus auch cheesy, gehen auf Karaoke-Partys und hören Popmusik.” Einen derartigen Einfluss kann man zwar nicht verhehlen, man merkt ihnen den Spaß an Internetblödelei und Memekultur an. Doch auch Kas’ ernste Seite äußert sich, allzu oft lässt er einen ernsten Blick über sein Lebensumfeld und die Welt durchscheinen. Immer wieder auch kritisiert er die Striktheit der indonesischen Traditionen und gleichzeitig ihre Übervermarktung. Mit ihrer Musik möchte er der dem Tourismus geschuldeten Postkartenversion der eigenen Identität etwas entgegensetzen, eine Alternativversion, etwas leicht Bastardisiertes, das den perfekten Spiegel der Verhältnisse darstellt. Und gleichzeitig möchte er nicht, dass ihre Musik als vermarktbares Authentikum aus Bali verkauft wird. Er möchte nicht als Token herhalten.
Durchaus neidvoll blickt Kas auf fremde Kulturen, insbesondere einzelne afrikanische, aber auch die chinesische. Kulturen eben, in denen sich das Traditionelle mit dem Kontemporären vermischt, in denen im Club, in Bars, und auf Volksfesten die gleichen Tänze und Elemente auftauchen. Indonesien hat dergleichen nicht. Umso glücklicher ist er, wenn Jugendliche auf ihren seltenen inländischen Gigs plötzlich traditionell tanzen, sich frei fühlen. Dann fühlt er sich verstanden. Denn: „Warum sollten Clubs nicht auch als rituelle Orte verstanden werden?” Predigen wollten sie aber nicht, so Kas, der seinen kurz aufbrandenden missionarischen Eifer direkt wieder revidiert. „Wir wollen Menschen mit unserer Musik lediglich ein Gefühl von Zuhause geben”. Ein schräges Zuhause.