Afrodeutsche (Foto: Christopher Thomond)
Mit ihrem Debütalbum Break Before Make erschien Afrodeutsche im Jahr 2018 auf der Bildfläche. Ihre stimmungsvollen, melancholischen Electrotracks fanden Anklang und trafen einen Nerv in ungemütlichen Zeiten. Für Henrietta Smith-Rolla war es der Sprung zur hauptberuflichen Musikerin, die mit Live- und DJ-Sets tourt. Doch bis dahin hatte es gedauert: Jahre, in denen sie in Bands alle möglichen Instrumente spielte, sang und von Kuchenbacken bis Modeln viele Jobs hatte. Nun scheint sie angekommen zu sein. Ihr ursprünglich nur digital erschienenes Album wurde inzwischen auf Vinyl und CD wiederveröffentlicht, Afrodeutsches jüngste EP auf Eclaire Fifis Label River Rapid Records schaffte es unter unsere besten Tracks 2019. GROOVE-Autorin Cristina Plett traf die Britin vergangenen Sommer in Barcelona.
Das englische Wort „cosmic“ heißt übersetzt so viel wie „kosmisch“. Für Henrietta Smith-Rolla bedeutet es jedoch sehr viel mehr. Es ist ein Wort, das sie benutzt, um die magische Atmosphäre am Ende ihres Closing-Sets im White Hotel in ihrer Wahlheimat Manchester zu beschreiben. Um über die Begegnungen zu sprechen, die sie seit ihrer künstlerischen Tätigkeit unter dem Namen Afrodeutsche angezogen hat. Bei denen Zufälle sich zu einem Kreis schlossen, wie als sie nach einem Auftritt im Berliner Tresor eine junge Deutsche traf, die genau wie sie ghanaische Elternteile hat und während ihrer Schulzeit ein Jahr an der Schule im südenglischen Exeter verbrachte, die auch Smith-Rolla besucht hatte. Ein Wort mit einer mystischen und anziehenden Ausstrahlung. Ein Wort, bei dem es leicht fällt, eine Verbindung zur nachdenklichen und dramatischen Musik von Afrodeutsche zu ziehen.
Es ist ein heißer Julivormittag, als das Interview mit ihr stattfindet. Henrietta Smith-Rolla sitzt in einer Hotellobby in Barcelona. Ihr schwarzes Kleid wird von einem knallorangenen Fächer kontrastiert, mit dem sie sich während des Gesprächs immer wieder Luft zuwedelt. Sie macht einen wachen und fitten Eindruck, aus ihren inneren Augenwinkeln blitzt silberfarbener Highlighter. Genauso wie ihre eigene Präsenz etwas Strahlendes, durchweg Positives hat. Am Nachmittag wird Smith-Rolla auf dem Sónar Festival spielen, zum ersten Mal. Ist sie schon aufgeregt? „Ja, der Nervenkitzel fängt ein paar Tage vorher an. Ein paar Stunden bevor ich spiele, verlagert sich das dann nach innen und es fällt mir schon schwer, einen Satz zu bilden. Das Gefühl habe ich jetzt gerade“, erzählt sie. Die Aufregung ist ihr nicht anzumerken – im Gegenteil: Smith-Rolla wirkt sehr ausgeglichen; in der Art und Weise, wie sie sich im Raum bewegt, wie sie spricht.
Musik als Therapie
Das kommt nicht von ungefähr: Schaut man sich die simplen Fakten an, die ihre Musikkarriere beschreiben, ist sie angekommen. 2018 erschien ihr Debütalbum Break Before Make auf Skam; dem UK-Label, auf dem schon Boards Of Canada releast hatten. „Das war schon immer mein Traumlabel!“, sagt sie begeistert. Da war Afrodeutsche quasi aus dem Nichts gekommen, das Album war ihre erste Veröffentlichung unter dem Namen. Dass sich das Vertrauen von Skam in die Newcomerin gelohnt hat, zeigt die Tatsache, dass das ursprünglich nur digital verfügbare Album im September 2019 nachträglich auf Vinyl und CD erschien.
„Musik ist meine Art zu übersetzen, was in mir vorgeht. Ich bin ziemlich melancholisch. Aber immer mit ein bisschen Optimismus!“
Break Before Make wurde von der Kritik gelobt, zu Recht. Es ist ein Guss aus dunkel rollendem Electro, cineastisch in den Bildern, die es mit feingliedrigen Synth- und Streichermelodien heraufbeschwört. Und ein Kontrast zu ihrem Auftreten als Mensch, fröhlich und extrovertiert. Doch das ist nur an der Oberfläche so: „Ich mache gerne Witze“, sagt sie und sucht kurz nach Worten, „aber ich fühle sehr viel. Musik ist meine Art zu übersetzen, was in mir vorgeht. Ich weiß nicht warum, aber ich bin ziemlich melancholisch. Ich glaube, Melancholie hilft mir dabei, Sachen zu verstehen“, überlegt Smith-Rolla und unterbricht sich selbst im Gedankengang: „Aber immer mit ein bisschen Optimismus!“ Diese Hoffnung schimmert durch, in den Pads, in einer gewissen Rätselhaftigkeit. Dunkelheit sei etwas, was jeder schon einmal gefühlt habe, womit jeder etwas anfangen könne. Ihr selbst helfen ihre Produktionen wiederum, mit diesem Gemütszustand zurechtzukommen: „Ich höre mir meine Musik als Therapie an. Wenn ich mich ein bisschen merkwürdig fühle, höre ich mir einen Track von mir an und danach fühle ich mich besser.“ Auch das eine Art von Sicherheit; Afrodeutsche hat ein Mittel gegen ihre Melancholie gefunden, mit dem sie gleichzeitig ihren Lebensunterhalt bestreiten kann und das tun, was sie liebt.
Suche nach Identität als Ursprung
Es brauchte jedoch viele verschiedene Jobs und kostete einiges an Zeit und Mühe, bis Smith-Rolla an diesen Punkt gelangte. Die Frage nach ihrer Identität ist der Ursprung vom Projekt Afrodeutsche. Sie stieß auf den Begriff, als sie sich auf die Suche nach ihrem Vater machte. „Er kam aus Ghana und war Maler. Ich fand heraus, dass er mit einem Stipendium nach Deutschland gezogen war“, erzählt sie. „Das Wort, das immer wieder bei der Suche auftauchte, war ‚afrodeutsch‘.“ Unsicher, ob sie das Wort verwenden könne, um sich so zu nennen – schließlich ist Smith-Rolla selbst britisch – fragte sie deutsche Freund*innen, die ihr grünes Licht gaben. Das Wort sei historisch und werde wenig benutzt. Ein Name für das Projekt war gefunden. Doch ein Begriff, der eine ganze Gruppe an Menschen bezeichnet, der niemandem gehöre, wie Smith-Rolla sagt, kommt nicht ohne Nebeneffekte aus: „Ich habe dadurch viele Ghana-Deutsche und Ghana-Russen getroffen.“ Wie die Frau im Tresor. Die Leute gehen auf sie zu.
Smith-Rolla sieht darin eine Verantwortung, die sie wahrnehmen will. Sie könne gar nicht anders. Dennoch mache sie sich sehr viel Druck, mit Leuten zu kommunizieren, und weiß, dass das nicht nur gut ist: „Ich muss wirklich aufpassen, denn es könnte…“, und sie überlegt kurz, „…anstrengend werden.“ Um dem vorzubeugen, hat sie das Ritual der „post gig cig“, einer Kippe nach dem Gig. Sie packt ihre Sachen, dreht sich in der DJ-Kanzel eine Zigarette und geht Rauchen. Alleine. „Dann ist alles gut, okay, cool. Dann kann ich mit Leuten sprechen.“
„Wir waren die erste Schwarze Familie in der Stadt. Meine Identität war deswegen etwas sehr Verwirrendes für mich.”
Die Suche nach ihren Wurzeln hat ihre Ursachen in ihrer Kindheit. Smith-Rolla wuchs in Devon im Südwesten Großbritanniens auf. „Wir waren die erste Schwarze Familie in der Stadt. Meine Identität war deswegen etwas sehr Verwirrendes für mich. Es gab nur mich und meine Mutter und sie war die einzige Person, in der ich mich irgendwie widerspiegelte“, sagt Smith-Rolla. Es begann bei so simplen Dingen wie Make-Up, das man in Devon nicht in ihrem Hautton bekam. „Meine Mutter kaufte die dunkelste Foundation, die es im Laden gab, dazu nahm sie Lebensmittelfarbe und so – aber es funktionierte nie.“ Die Tante aus London schickte Pakete mit passendem Make-Up, aber auch Kosmetika wie Haaröl, die es auch heute oft nur in Afroshops zu kaufen gibt.
Ihre Kindheitsfreund*innen dort waren alle Weiß. Das einzige Schwarze Kind im Ort zu sein, war heikel: „Du warst entweder total willkommen oder gar nicht. Es war gefährlich. Ich war gut im Wegrennen“, erzählt sie, und lacht. Heute, wo sie 38 Jahre alt ist, kann sie den Rassismus ihrer Kindheit und Jugend mit Humor nehmen. Damals wurde Musik für Smith-Rolla identitätsstiftend. Im Fernsehen sah sie Musiker*innen wie Soul II Soul, Grace Jones und Tina Turner. Schwarze Frauen, in denen sie sich wiederfand. „So ungefähr bildete ich mir meine Identität, bis ich Devon verließ und nach London zog“, sagt Afrodeutsche. Das war mit 18.
Einfach mal ja sagen
In London blieb sie nicht lange, nach zwei Jahren verschlug es sie nach Manchester. Obwohl sich Smith-Rolla als Kind bereits das Klavierspielen beigebracht hatte, begann sie dort erst richtig Musik zu machen. Sie wurde Teil der Gruppe Sisters Of Transistors, deren Sound sich wohl am besten mit Indie-Synth-Rock beschreiben lässt. Dort spielte sie Keyboard und Synth-Orgel. „Als ich Teil der Band wurde, konnte ich nur mit einer Hand spielen. In der Band habe ich mir dann beigebracht, die linke Hand zu benutzen – weil ich musste!“ Dieses Ins-Kalte-Wasser-Springen, Dinge on the go zu lernen, begegnet ihr an mehreren Punkten ihres Lebens. „Es brauchte viele verschiedene Leute, die mich erst fragen mussten: ‚Hey, hast du Lust hier Bass zu spielen?‘ Innerlich dachte ich ‚Ich kann keinen Bass spielen!‘, aber sagte ‚Ja, ich werde hier Bass spielen‘. Und dann habe ich es einfach gelernt.“ So passierte es auch, dass Henrietta Smith-Rollas erste Liveshow als Jazzsängerin auf dem Glastonbury stattfand. „Ich habe früh gelernt, dass es besser ist Ja zu sagen, bevor du überhaupt weißt, ob du etwas kannst“, resümiert sie. Bis jetzt hat es stets funktioniert.
Auch mit ihren Live-Sets macht es sich Afrodeutsche gern ein bisschen schwer. Für jeden Auftritt passt sie ihr Set an, arrangiert Sachen anders. Je nachdem, wo und wann sie spielt. „So erhalte ich mir den Spaß daran“, überlegt sie. Für ihr Set beim Sónar hat sie eigens einen Openingtrack geschrieben, den sie als moody bezeichnet. Melancholisch, geisterhaft, bittersüß. Eigentlich genau ihr Sound. Beim Sónar am frühen Abend funktioniert das, ihre Musik hüllt das Publikum in einen Schleier aus Trance und Weltverlorenheit. Sie selbst ist konzentriert über ihr Ableton-Set-Up gebeugt, wippt im Takt mit und ihre langen, glatten Haare schwingen hin und her.
Als sie mit dem Touren begann, musste sie ihren Sound jedoch zunächst anpassen. „Ich begriff schnell: Wenn ich in Clubs spielte, funktioniert diese Dunkelheit, die ich ausdrücken möchte, nicht.“, sagt Smith-Rolla. Ein Resultat dieser clubbigeren Seite von Afrodeutsche ist ihre jüngste EP RR01, die im September auf Eclair Fifis Label River Rapid erschien. Die grauschattierten Stimmungen sind immer noch da, die Tracks jedoch deutlich repetitiver und mehr auf die vier. Den Opener „I Know Not What I Do“ kann man sich durchaus in einem rappelvollen Club vorstellen. Hinter dem Tracktitel verbirgt sich ein Gefühl, das vermutlich viele Künstler*innen kennen. Henrietta Smith-Rolla hat es jedoch überwunden: „Es geht um diese Art von Selbstzweifel, aber eigentlich weißt du, was du tust. Du legst auf. Du machst diese Musik. Du spielst.“
Afrodeutsche performt am 24. Januar fürs CTM Festival ihr neues Live-Set im Berghain, steht am 25. Januar im Erfurter Kalif Storch hinter den Decks und gibt am 28. Januar in der Berliner Paloma-Bar einen Tech Talk.