Cver – Feeling U, Feeling Me (Oye Black Label)
Zwei Deep House-Versionen eines Neo Soul-Hits von 2013 hat diese Oye Black Label zu bieten, den Remix von Jan Kinčl zudem noch in einer Dub-Version, in der die Vocals des R’n’B-Stars noch weiter zurückgefahren sind. Der Kroate behält die im Downbeat-Original angelegte Akzentuierung der schwachen Zählzeiten bei, stellt besonders die röhrenden, auch von Fatima Yamaha für seinen „Spätzünderhit” (Thilo Schneider) „What’s A Girl To Do?” gesampelten Keyboardsounds in den Vordergrund. Markus Lindner alias Delfonic remixt den Remix, verleiht der Nummer einen fliehenden Groove mit leichthändig gesetzten Breakbeat-Tupfen. Harry Schmidt
Distantia – Dissidente (Insurgentes)
Beim Namen Medellín schrillen immer die Alarmglocken. Dort wird Techno-Tourismus als neokoloniales Projekt gelebt: ankommen, maximalen Fun haben und minimal wenig auf die einheimische Kultur geben. Dabei emanzipiert sich die Szene der Stadt des ewigen Frühlings in der kolumbianischen Bergregion Antioquia zunehmend von dem Heuschreckenschwarm im V-Neck-Shirt, der jede Saison dort einfällt. Eines der interessantesten regionalen Labels heißt Insurgentes, zu Deutsch: die Aufrührer*innen. Der Fall ist klar. Auch das Debüt von Distantia, Dissidente, trägt einen sprechenden Namen – und das in gleich zweifacher Hinsicht: Nicht nur ist der Sound abweichlerisch, er entstand auch über die Distanz hinweg – die zwei Personen dahinter, Mari Herzer und Blaming Waves, kennen sich dem Vernehmen nach nicht persönlich. Mit Dissidente beschwört das brasilianische File-Sharing-Duo Styles aus den Neunzigern hervor: Trip Hop, IDM beziehungsweise Braindance, sogar Elemente von Breakcore sind auf Dissidente zu hören. Eine ebenso kuriose wie furiose Mischung, die über sechs Stücke lang eine deutliche Handschrift entwickelt und dabei weder nostalgisch noch überanstrengt klingt. Selbst wenn Snares und Becken durcheinanderkugeln, hält hier immer noch eine simple Melodie oder dräuende Bassfigur das Klangchaos zusammen und bündelt die pulsierenden Energien dieser Musik. Das Ergebnis ist ein Mini-Album, das dankenswert abweichlerisch klingt, ohne sich in den bloßen Gesten zu erschöpfen. Kristoffer Cornils
DJ Ibon – Moving Alone EP (Kengu)
Mit Bongo-Trance von Safri Duo aufgewachsen, durch Theorien des Drogen-Doc Timothy Leary radikalisiert, unter der Autobahnbrücke dank Techno erleuchtet – und alles auf einen Nenner gebracht, der als Blaupause für den Kopenhagen-Sound der späten Zehnerjahre durchgeht. DJ Ibon weiß, was Techno gefehlt hat: Melodien, die zwischen Helene Fischer-Show, Bravo Hits 14 und Sets von Paul van Dyk auf einem Tempo unterwegs sind, bei dem Eurotrash-Hostel-Hoppers mit Dreadlocks imaginäre Pilze aus der Luft pflücken. Piano-Loops klimpern auf der EP Moving Alone über Fanfaren-Synthis und schmatzendem Gewaber. Die Kick Drum zieht den Karren aus dem Weltkriegsbunker. Der nächste Breakdown kommt bestimmt. Ibon nennt das emotionalen Techno. Brachial-Gestampfe, das sich von seiner schwachen Seite zeigt, regelmäßig den Druck rausnimmt – und sich mit Instagram-esken Breaks zur Ekstase hochschaukelt. Und zwar alle zwei Minuten. Das macht Laune. Über die Halbwertszeit der Tracks verkopft man sich sowieso später. Christoph Benkeser
Forest Drive West – Parallel Space (Echocord)
Der Londoner Forest Drive West bringt mit Parallel Space auf Echochord seine dritte EP dieses Jahres heraus. „Creation Dub” begrüßt direkt mit Dub-Chords und sanften Drums. Der zurückhaltende Groove und das zarte Echo machen Platz für abschweifende Gedanken: Großstadtwinter und Spiegelpfützen. Im weiteren Verlauf der EP bleibt die eiskalte Stimmung erhalten, doch mit klassischem FDW-Sound. „Drift” wabert als hypnotisches Tool etwas verwirrt umher, während der Titeltrack aufgeräumter, geradliniger wirkt – vorstellbar als Intro für ein Jane Fitz-Set. Zum Schluss wird man dann von Conforces Remix aus dem sich langsam einstellenden Delirium gerissen – dankenswerterweise. Der niederländische Dub Techno-Veteran gibt dem Ganzen eine klarere Ausrichtung, löscht die Fuzziness aus – Maurizio-Reminiszenz mit techigem Einschlag. Shahin Essam
Kӣr – Balčak (Disk)
Kӣr ist das Soloprojekt des Belgrader Produzenten Branislav Jovančević, der in seiner Heimatstadt auch als Resident-DJ und Programmgestalter des Clubs Drugstore aktiv ist. Bis dato hat er seine Produktionen, die mit experimentellem Mut Stile wie Drone, Elektroakustik, Ambient und Tribal-Techno-Derivate berührend vereinen, auf Labels wie Yerevan Tapes aus Italien oder Crème Organization aus den Niederlanden veröffentlicht. Nun sein Debüt-Vinyl für das von Don’t DJ betriebene Label Disk. Der Tune „Negentropia” knarzt Industrial und hektische Electronics verführerisch düster zusammen. „Akrasia” stampft demgegenüber trocken verzwickt im Electro-Genre, während der Track „Topot” Ambient-Atmosphären mit Industrial-Swing und sanftem Technosteps verbrüdert. Den Abschluss bestreitet „Zabran skraceno + DAF2”, ein langsam sich aufbäumendes Amalgam aus Drone, zirpenden Klängen und avantgardistischer Elektroakustik, das gleichermaßen sanft beruhigt und verwirrt. Eine spannende, auch nach mehrmaligem Hören noch neuartig klingende EP, die Tanz und Listening eigenwillig modern vereint. Michael Leuffen