Foto: Denis Sulta at Circle

Rewind 2019: Wer dieses Jahr auch nur hin und wieder mit dem kleinen Zeh die Clubwelt tangiert oder sich gar den Sommerurlaub mit einem Festivalbesuch versüßt hat, konnte es unmöglich überhören: Ob im sympathischen kleinen Alternativ-Schuppen von nebenan oder beim Who’s Who an der kroatischen, portugiesischen oder spanischen Sonne. Trance ist zurück! Das Genre war nicht mehr zu ignorieren – wie die unliebsame Verwandtschaft zur Weihnachtszeit. Und wie eben diese will auch Trance einfach nicht wieder gehen. „Bleiben wir doch noch auf ein Glas Punsch!”, vernimmt man dann ebenso hilflos wie verzweifelt und hört sich selbst in einer Out Of Body-Experience mit gekräuselten Lippen antworten: „Das wäre so schön! So selten wie wir uns sehen.” Verdammt, das lief schief. Kann gar nicht selten genug sein, würden viele eigentlich doch am liebsten sagen. Aber warum ist das überhaupt so? Weshalb stehen grundsätzlich progressive und offene Musikliebhaber*Innen und Artists diesem Subgenre mit derartiger Abneigung und Verbissenheit gegenüber (z.B. The Black Madonna), während wiederum andere gerade einfach nicht genug davon kriegen können? Warum ist Trance gerade jetzt (wieder) so beliebt? Warum findet man heute gut, was bis vor Kurzem als übel galt? Warum ist heute erlaubt, was früher bloß Naserümpfen auslöste? Warum spielen gerade Trendsetter wie Courtesy den Sound? 

Eine kurze Zeitreise in die Neunziger gibt darüber Aufschluss. Nach einer recht kurzen Periode ab 1993, in der das Genre durchaus vielversprechende Stücke hervorbrachte, nahm der Kommerz das Zepter in die Hand und führte Trance Stück für Stück in den Abgrund. Gerade weil es, anders als Techno oder House, durch die oftmals allzu eingängigen Melodien und eben nicht durch (subtile) Grooves geprägt ist, bot es einem breiteren Publikum eine bisher nie dagewesene Zugänglichkeit. Den echten Heads stach es wie neonfarbene Leuchtreklame grell in die Augen, drängte sich allzu obszön auf und vergraulte sie dadurch. Der Kassenschlager-Aspekt  führte schlussendlich zur Auslöschung einer ganzen Subkultur um die Nullerjahre und ließ Trance zum sinnbildlichen Teufel an der Wand (des Dorian Gray, Ultraschall etc.) werden. Gleichzeitig Massenphänomen und nervige Unterhaltungsmusik ohne jegliche Tiefe und künstlerischen Anspruch, die zur Öffnung und dem damit einhergehenden Verfall der Szene geführt hat. Jeder hat noch die Bilder der Hunderttausenden auf den Straßen Berlins zur jährlichen Loveparade oder Events mit Tiësto oder Armin van Buuren in Fußballstadien im Kopf, sieht die The Dome-CD mit den „30 besten Dance Tracks” oder Paul Van Dyks The State Of Trance im Regal stehen und gefriert bei der bloßen Erinnerung daran zur Eissäule.

Alles vergeben und vergessen? Der Schein trügt. Eine vorsichtige jedoch kontinuierliche Wiedereingliederung klassischer Elemente der Trancemusik fand schon bald darauf Einzug in die frisch genesene elektronische Musik. Künstler wie Âme, Rødhåd oder Tale of Us erreichten gerade aufgrund der einprägsamen Melodien in ihren Tracks gewaltigen musikalischen Zuspruch, was für sie zu restlos ausverkauften Shows führte und millionenfache Klicks im Netz generierte.

So wurden in den 2000ern und 2010ern Techno und House generell melodischer und songaffiner. 2016 tauchte der Begriff Neo Trance auf. Dabei ging es aber eher um einzelne trancige Elemente in Tech-House-Tracks. Der Weg zum aktuellen Trance-Revival ist verworrener. Schon zum Ende des Jahres 2017 hin schwirrte überall nur der Begriff Record Selector umher. DJ? Pff, neeeee. Ziemlich öde und Mainstream. Je obskurer die Plattentasche, desto besser. Generierte einiges an Aufmerksamkeit und ließ sich ausgezeichnet verkaufen. Gar ganze Festivals oder deren Stages trugen von heute auf morgen das „Selector”-Etikett im Namen. Und da Platten von Nurse With Wound, Psychic TV oder Muslimgauze vor 300 aufrichtig musikinteressierten Gästen funktionieren können, aber vor der zehn- oder zwanzigfachen Menge meist nur verdutzt dreinblickende Gesichter hervorrufen, musste was anderes her. Man bewegte sich meist eh im Slow-Beat-Territorium, warum nicht mal die alten Psytrance-Platten von früher herunterpitchen? „Gehört hat die so eben auch noch niemand”, dachten sich viele. Funktionierte. Mehr und mehr Leute warfen daraufhin Blicke in ein totgeglaubtes Genre, fanden nasty Acid-Trance-Stomper und geniale Goa-Gefühls-Achterbahnfahrten. Ein erster kleiner Hype brach aus.

Anfang 2019 brachten dann diverse (Reissue-)Labels, wie zum Beispiel das belgische Stroom, Dekmantel und Mirror Zone entweder verloren geglaubte Schätze oder gleich ganz neue Künstler*innen und deren Produktionen ans Tageslicht, die sich der euphorischen und verspulten Trance-Sounds munter bedienten. Sie führte kontemporären Techno-Artists in diese so neuen wie alten Soundpaletten, die diese dann mal mehr, mal weniger bewusst in ihre Produktionen und Sets mit einfließen ließen. Wie eine Fontäne schießen solche Trends dann immer auch zu den ganz Großen nach oben. Und dass einer der ihren, nämlich Solomun, schon 2016 mit „The Age Of Love” einen der Trance-Klassiker schlechthin remixte, Salon Des Amateurs-Affiliate Vladimir Ivkovic seit Jahren Paul McCartneys Proto-Trance-Experiment „The Fireman” spielt und (mit Lena Willikens) als Willikens & Ivkovic psychedelische Welten kreiert, in der die Düsseldorfer Avantgarde-Version von Trance als große Landmasse Halt bietet, all das wird dann von dem breiten Publikum übersehen und erweckt das Bild, als wäre Trance mal eben von heute auf morgen wieder aufgetaucht. Wer noch weitere Beispiele braucht: Auch Everybody’s Favourite Nina Kraviz smashte schon 2016 auf dem EXIT Festival Trance-Tracks, als gäbe es kein Morgen mehr, und wenn wir mal einen kurzen Blick in Courtesys Boiler Room-Mix werfen, werden wir feststellen, dass Trance sogar den unbestreitbaren Höhepunkt ihres Auftritts darstellt.

All das ist kein Zufall, sondern entspricht dem Zeitgeist. Für die hippe Instagram-Masse ist in ironischem Kontext alles erlaubt. Durch den Selector-Kultur gilt das Kredo, dass jegliche Barrieren unbedingt gesprengt werden müssen, es keine Grenzen mehr gibt. Die Tomorrowland-DJs mit perfekt präparierten Playlists, Drops und Loops auf ihren USB-Sticks, die sie dann auf den CDJs möglichst stürmisch und mit nach oben gerissenen Armen einem nichtsahnenden Publikum zum Besten geben, das eigentlich eh alles konsumiert, was es zu hören bekommt, sind dann nur die Spitze des Eisbergs.

Vor solchen Bildern und Acts muss man allerdings keine Angst haben, sondern sollte einfach laut lachen. Das Genre wird bald wieder seinen Zenit erreicht haben. Es gilt, die munter zu Trance tanzenden Endorphine noch so lange zu genießen, wie nur möglich, das bald aufkommende Hype-Vakuum als Chance zu begreifen oder in Ruhe auf the next big thing zu warten.

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