A Sagittariun – A Fistful of Bitcoins (Elastic Dreams)
Nick Harris alias A Sagittariun ist eines der beiden Gründungsmitglieder des Labels NRK Sound Division. Das britische Disco-Tribal-Vocal-House-Label der 1990er und 2000er Jahre lag mit Veröffentlichungen von Dimitri From Paris oder Nick Holder bis hin zu Paul Oakenfold nicht immer ganz stilsicher an der Schwelle zum kommerziellen BBC Radio 1. Tatsächlich hat die EP A Fistful of Bitcoins mit ihrer manchmal beliebigen Klangverwertung eine gewisse Ähnlichkeit mit dem NRK-Œuvre. Der Titel zeigt exemplarisch, wie die Tracks der EP mit popkulturellen Referenzen spielen. „Along Black River” startet mit einem Festnetztelefon-Freizeichen. Danach kommen krächzende Modem-Geräusche, Squarepusher-eske Micro-Cutting-Sounds, kurze, trockene SH101-2Step-Garage-Bässe und Ost-Londoner Tabla-Exkursionen á la Asian Dub Foundation. „Last Train To Tucumcari” spielt mit einer gewissen Blade Runner-Soundtrack-Ästhetik zwischen Hans Zimmer, Vangelis und BR Space Night Chillout-Beats. Dazwischen erstrahlen glitzernde Hi-Fi-Echo-Synth-Fragmente, die nach Werbung der 1980er Jahre klingen. Das passt perfekt zum November 2019, dem Datum in der Anfangsszene des Blade Runner-Originals von 1982. Den Titeltrack „A Fistful Of Bitcoins” könnte man als Schneckno-Remake früher Nightmares On Wax-Produktionen mit Dub-Anleihen von Sabres Of Paradise auf Warp beschreiben. Der Track hat zwar interessante Harmonien, allerdings ist der Umgang mit dem leicht erkennbaren Spiel mir das Lied vom Tod-Sample von Ennio Morricone tödlich. Solche Verweise zu den Klassikern der Popkultur funktionieren in elektronischen Musikgenres der letzten Jahrzehnte auf Tanzflächen selten. Im Chillout-Raum schießt „The Road To Devils Tower” mit einem Disney-artigen Ethnopop-Chor wild um sich. Das ist Cowboy-Cosmic in Reinform in der Machart von Global Rhythm Records. Die wurden diesen Sommer – 25 Jahre nach dem oberbayerisch-tirolerischen „Il Brennero”-Cosmic-Hype – von Tornado Wallace geremixt und von Kalahari Oyster Cult aus der Hüfte geballert. Der wirkliche Star der EP ist „The Sacred Chao”. Bei dem Track fliegt die Kuh wie auf Space Dimension Controllers erster Royal Oak-Scheibe zu treibenden, deep-kühlen, spacigen Rolltreppen- oder Saloontüren-Grooves. Zwar kommt die Nummer ohne dessen Boogiefunk-Synths und obligatorische Four-To-The-Floor-808-Kicks aus, dafür knallt sie aber mit einer aggressiven Double-Kick auf die Eins, und, Drei, und. Dann reitet die Sechzehntel-Hi-Hat mit ihren gelayerten Ghostnotes über die rot-dreckigen Oszillations-Sanddünen direkt in John Carpenters Ghosts Of Mars-Minenarbeiter-Zombiefilm-Synthflächen. An diesem Punkt versteht man vielleicht auch, woher die Idee für das Plattencover kam. Bleibt zu hoffen, dass die Musikrechte geklärt wurden. Mirko Hecktor
Fort Romeau – Dweller On The Threshold (Live At Robert Johnson)
Auch die dritte EP für Live At Robert Johnson von Michael Greene alias Fort Romeau lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass der Brite einer der bedeutendsten Clubmusik-Producer der Gegenwart ist. Nichts Skizzenhaftes, keine Spur einer Suchbewegung ist auf diesen beiden nahezu perfekten Tracks zu finden, alles wirkt minutiös durchdacht, überlegen gestaltet und detailliert ausgeführt. Der „Siedler auf der Schwelle”, das Titelstück, verknüpft Acid House- mit Neo Trance-Ästhetik zu einer lupenreinen, neunminütigen Hymne voller Akkordbrechungen für den zweiten Teil der Nacht. Das kürzere „Kontra Punkte” konfrontiert glockenartige Sounds mit einem insistierenden Groove aus verstimmter Bassdrum und verzerrten Claps. All das geschieht derart methodisch und planvoll, dass Greene dabei fast wie ein klassischer Komponist zu wirken droht. Dennoch sind die Tracks in ihrer Feier synthetischer Euphorie bestechend mitreißend. Die Disposition der Clubkultur bringt derzeit jedenfalls niemand stimmiger und konsistenter auf den Punkt als Greene. Harry Schmidt
Midland – The Alchemy of Circumstance EP (Graded)
Ein ganz gewöhnlicher House-Produzent war Midland eigentlich nie. Schon in seinen frühen Produktionen ließ er eine ausgeprägte Neigung erkennen, nebenbei diverse Klänge zu verwenden, die leicht verwirren können, und die Rhythmen durch weniger erwartete Breaks zumindest aufzulockern: Ein Stoiker des immer geraden Beats ist Midland nicht. Nach drei Jahren Pause hat er sich jetzt aufs alchemistische Fach verlegt und anscheinend die Irritationen am Rande von einst zu seiner Hauptangelegenheit gemacht. Beim Titeltrack kommt dabei vielleicht nicht der Stein der Weisen, dafür aber ein von Anfang bis Ende weitgehend unvorhersehbares Biest heraus, das wie abstrakter Hip Hop beginnt, um auf halber Strecke in eine modulare Zwitscherfantasie mit swingendem Drumcomputer überzugehen, von synkopierten Maschinenklängen flankiert. Ganz wunderbar. Gemessene Breaks und bedächtig singende Synthesizer bestimmen „Frequency FM”. Zwischendurch, in „Play It as It Lays”, gibt es sogar einen konstanten Viererbeat. Doch hier wirkt der fast verwunderlich. Beruhigendes Fließen dann zum Abschied von dieser großen EP. Tim Caspar Boehme
Planetary Assault Systems – Plantae (Ostgut Ton)
Nach über einem Vierteljahrhundert im Business legt Luke Slater weiterhin einen Arbeitseifer an den Tag, der je nach Perspektive bewundernswert oder besorgniserregend ist. Die unter seinem Planetary Assault Systems-Pseudonym veröffentlichte Zweifach-Single Plantae folgt auf eine Doppel-EP auf dem eigenen Label Mote-Evolver im Frühjahr und seinen Cocoon-Mix mit Eigenproduktionen, aus dem wiederum eine 12” mit frischen Stücken ausgekoppelt wurde. Die sechs Tracks auf Plantae sind dem Berghain gewidmet, seit geraumer Zeit die Hauptwirkungsstätte Slaters, und wurden dort von ihm auf ihre Floor-Kompatibilität getestet. Von der trippig-nervösen Warm-Up-Set-Atmosphäre von „Red” angefangen über die schreddernden Sonntagabend-Grooves von „Whip It Good” hin zu deeperen Stücken wie „Kamani” und dem elfminütigen „Peru Drift” mit seinem nervenaufreibenden Break von fast einer Minute Länge werden dann auch noch alle nur möglichen Tageszeiten und Stimmungslagen eines Berghain-Wochenendes in rollenden Techno überführt. Mit einer Souveränität, die noch beeindruckender ist als Slaters Produktivität, versteht sich. Kristoffer Cornils
Robag Wruhme – Topinambur EP (Kompakt)
Topinambur, das knollenartige Wurzelgemüse, Ingwer-ähnlich rhizomatisch, ist Namenspatron für Robag Wruhmes neue EP auf Kompakt. Nachdem er mit Venq Tolep bereits im Juni dieses Jahres auf Pampa ein neues Album veröffentlichte, legt er nun mit drei entspannten Nummern nach. Der Titeltrack ist eine spacige Microhouse-Nummer, deep aber nicht düster im Sound. „Blymon” ist da schon etwas weniger happy, dieder dumpfe 4/4-Kick und das absteigende Synth-Getöne evozieren eine angenehme Spannung, die im Laufe der Nummer immer wieder auf- und abflammt. Mit „Cassave” setzt er noch einen experimentellen Song hinzu. Verschobene Akzente, Knarzen von Steuerknöpfen und leise Tellergeräusche lassen aufmerksam aufhorchen, bis der Song wieder in einen eingängigen, frischen Beat übergeht und treibt. Lutz Vössing