Floating Points – Crush (Floating Points)
Wenn man sich die Karriere des blonden Goldjungens aus Manchester anschaut, so dann darf man dem rasanten Aufstieg des DJs und des Produzenten Floating Points doch einiges an Erstaunen entgegenbringen. Damit sei gar nicht gemeint, dass ein studierter Neurowissenschaftler nichts im DJ-Gewerbe zu suchen hat. Vielmehr verblüfft Sam Shepherd, weil er konsequent seinen Weg geht. Und er hat Erfolg dabei. Gerade für Zyniker*innen sollte das ein Zeichen sein: Es gibt noch Hoffnung. Im Blick zurück entstehen an dieser Stelle nicht bloß die Dinge, sondern auch ein Bild davon, was und wie das alles nun zu Crush, dem dritten Album aus der Feder Floating Points, geführt hat.
Da wäre einerseits Eglo, jenes Label, das Shepherd 2008 mit Alexander Nut gründete. Bevor Organic Grooves ein fester Begriff auf dem Plattenmarkt wurde, überzeugten Label wie Künstler Floating Points mit einem stramm tanzbaren, gleichwohl souligen, funkigen, groovy Entwurf, der wenig mit piefigen Nu Jazz-Exkursen zu tun hatte. Wie es ein Naturwissenschaftler so macht, mixte er hier einen Teil (Jazz), dort zwei Teile (Deep House), an anderer Stelle wiederum zwei Teile (Dubstep und poppige Nachfolgerschaft) und noch paar Spurenelemente aus Disco, Funk und Soul zusammen. Das Ergebnis war ein Molotowcocktail für die Synapsen und Fußsohlen.
Schon in Stücken wie „Vacuum Boogie” oder „People‘s Potential” schwang auch immer etwas Absurdes mit, etwas Mathematisches: geboren war nicht-intuitive Tanzmusik. Doch sowohl mit seinen Singles als auch dem Debütalbum Elaenia erweiterte Floating Points sein Spektrum immer weiter. Es durfte auch mal geraved werden. Nur um im nächsten Moment mit seinem Orchester in die Mojave-Wüste zu gehen und eine grüne Reise auf Platte zu pressen, die auch als modernes Pink-Floyd-Zitat („ECHOES live at Pompeji”) funktioniert.
Man merkt, dass das IDM-Revival nicht spurlos an Floating Points vorübergegangen ist.
Die neue LP Crush bietet einiges für Fans der ersten Stunde: Bleeps und Glitches, leicht verstimmte Synths, Fender Rhodes – wieder alles dabei. Doch die Haptik ist eine andere. Das Album fühlt sich atypisch an. Das liegt einerseits daran, dass hier richtig abgesteppt wird – das rhythmische Baugerüst ist in vielen Stücken viel offensiver angelegt, weiter weg von gemütlichen Listening-Sessions vor dem heimischen Kamin. Andererseits merkt man vor allem in der ersten Hälfte der Platte, dass das IDM-Revival nicht spurlos an Floating Points vorübergegangen ist. Weitaus häufiger als früher mag man sich an Plaid, Squarepusher oder Aphex Twin erinnert fühlen.
Das liegt auch an der Skizzenhaftigkeit, die die ersten fünf Tracks alle gemein haben. Erst bei „Alpx” und dann bei „Bias” geht es richtig los; erst die Lektürehilfe und dann das Hauptwerk, sozusagen. Crush geht in die Retrospektive. Es ist ein Blick in die Vergangenheit, der gleichsam der Zukunft verpflichtet ist. Wissenschaftlermusik after all, möchte man rufen – und dabei trotz aller Verkopftheit: ein Hit-Album. Lars Fleischmann