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Sven Väth: „Ich brachte den Namen Omen ins Spiel” (Teil 2)

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Alle Fotos: Archiv Sven Väth/ Cocoon.

Click here for the English version of the interview.

Im Sommer feierte Sven Väth seine 20. Ibiza-Saison. Als Gast ist Väth aber schon vor fast 40 Jahren auf die Insel gekommen. Im zweiten Teil unseren großen Interviews geht es darum, was das Ibiza von 1980 in ihm ausgelöst hat, wie Väth den Spirit der Insel an den Main brachte, wie es ihn inspirierte, selbst als DJ, Producer und Sänger kreativ zu werden – und mit dem Omen einen der legendären Technoclubs der Neunziger zu erschaffen.

Du bist 1980 mit 16 zum ersten Mal nach Ibiza gekommen. Wie sah das Nachtleben der Insel damals aus? Was hast du da gesehen und erlebt?

Die Clubs waren natürlich viel, viel kleiner, vor allem auch das Pacha und das Amnesia. Die Terrasse vom Amnesia war komplett offen wie ein Pueblo. Eine Finca stand da, davor ein Terracotta-Boden als Tanzfläche. In der Mitte stand ein großer Brunnen mit einer Glaspyramide, hier und da gab es ein paar Lichter, die in den Palmen hingen. Der DJ hat überdacht in einer Galerie gestanden, dann gab es die offenen Bars. Die Mädels stylten sich hippie-chic. Anfang der 80er, da lag viel Patchouli und Marihuana in der Luft, es gab Meskalin-Bowlen. Die Mädels waren sehr offenherzig gekleidet und die Jungs trugen lange Rastas, Zwirbelbärte, sie saßen in den Ecken und spielten oft Bongos und Congas. Ich war noch unter 20, ich war da 16, 17, 18, wenn du das so pur und rein erlebst, ist das für mich schon ein ganz schöner Kick.

Dir sind die Augen übergegangen.

Das hat mich total animiert, das hat mich angesteckt. Da ist auch meine Leidenschaft wirklich entfacht worden. Deswegen hatte ich die Ideen, die Vorstellungen und die Fantasie, das nach Frankfurt mitzunehmen und in Musik umzusetzen. „Electrica Salsa” hab ich für Ibiza produziert, ich wollte unbedingt, dass da dieser Song dort läuft. (lacht) Auch als wir das Omen aufgemacht haben, wir haben die erste Omen-Party im Ku [einem in den 1980er Jahren einflussreichen Club, dem Vorläufer des Privilege] auf Ibiza gemacht, mit der Frankfurt-Posse. Das war schon alles witzig! Wir hatten auf jeden Fall schon damals eine Connection.

Dazu kam, dass deine Mutter gerade eine Diskothek eröffnet hatte oder eher eine Bar mit Tanzfläche.

Ja, das Queen’s Pub, das war ein kleiner Club in Neu-Isenburg. Die haben ’79 aufgemacht.

„Mami, ich werde jetzt ein bisschen länger hierbleiben.”

Was hat deine Mutter überhaupt zu deinen Abenteuern auf Ibiza gesagt? Hatte sie nicht Angst, dass irgendwas passiert oder du gar nicht mehr wiederkommst?

Naja, ich war ja dann weg. Ich hab sie dann natürlich mal angerufen von Ibiza aus und hab ihr gesagt: Mami, Ich werde jetzt ein bisschen länger hierbleiben.

Wie lang warst du dann da?

Drei Monate. Dann hat sie gesagt: „Gehts dir gut, hast du alles?” Ich meinte: „Ja, alles gut Mutti. Ich bin versorgt.” Meine Mutter hat mir schon in meinen frühen Jahren viel Selbstvertrauen geschenkt. Sie hat mich machen lassen, das rechne ich ihr hoch an. Auch, dass ich dann zurückgekommen bin von Ibiza, und sie mich dann angeschaut hat, und gesagt: „Du bist ja ganz verzaubert! Was ist da passiert mein Junge?” Da hab ich ihr dann alles erzählt und irgendwann sagte sie zu mir: „Ich glaube, du willst Discjockey werden.” Da ist mir nichts mehr eingefallen. (lacht) Ich meinte nur noch: „Ja Mutti, das stimmt, ich möchte so gern Discjockey werden.” „Ja, dann fang doch jetzt an bei uns“, hat sie dann gesagt. Da hat sich mein Vater dagegen gesträubt, ich war ja noch nicht 18. Aber da hat sich meine Mutter durchsetzen können und ich mich auch. Meine Mutter stand hinter der Theke und ich  hinter der DJ-Theke (lacht). Und dann hab ich mit den Laden geschmissen. Und the rest is history. (lacht)

Du sprichst immer wieder von deiner Mutter, aber deinen Vater erwähnst du nicht so häufig. Wie war euer Verhältnis?

Ach, zu meinem Vater hatte ich ein distanziertes Verhältnis. Ich habe ihn eigentlich kaum erlebt. Er war total vertieft in seine Arbeit.

Was hat er gemacht?

Meine Eltern sind Vertriebene [aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, d.Red.], die haben sich im Auffanglager relativ jung kennengelernt. Die haben sich alles von Null an aufgebaut. Mein Vater war Malermeister und leidenschaftlicher Tänzer, mit meiner Mutter hat er Rock ‘n’ Roll-Shows getanzt. Die haben sich dann einen Traum verwirklicht und eine eigene Diskothek gebaut. Das hat mein Vater auch alles selbst gemacht, jeder Stein, alle Schreinerarbeiten, er hat gemacht und getan. Wenn ich heute so zurückschaue, haben mir meine Eltern vorgemacht, dass man seine Leidenschaft leben kann. Was mich natürlich dann auch angesteckt hat.

Wie hast du diese Faszination musikalisch umgesetzt?

Ich habe mich dann auch an Sachen rangewagt, weil ich natürlich inspiriert war von Ibiza. Ich bin dann in Schallplattenläden gegangen, habe gesucht und gesucht und habe tolle Musik gefunden, die ich gar nicht so spielen konnte bei meinen Eltern im Pub.

Was hast du dann gespielt?

„Thriller” [von Michael Jackson] ist gerade veröffentlicht worden. Es ging von Disco zu Grandmaster Flash und Culture Club zu Haysi Fantayzee und allem, was damals aktuell war, gemischt mit ein paar Oldies. “Last night a DJ saved my Life” – den Track hat meine Mutter mitgesungen, das war dann der Hammer, das hat mir bei der ganzen Sache nochmal so einen Kick gegeben. Nachdem ich bei meinen Eltern aufgelegt habe, bin ich immer noch ins Dorian Gray gefahren samstags. Dann habe ich ja noch die ganze Nacht auf dem Dancefloor verbracht. Bei meinen Eltern war immer um ein Uhr Schluss. Da hab ich auch unwahrscheinlich viel Promotion gemacht, ich hab den Leuten von meinen Erlebnissen auf Ibiza erzählt, wie sehr mich das verändert hat. Ich hab den Leuten gesagt, wir müssen nach Ibiza zu den Opening-Parties, ins Amnesia und ins Ku. Und da hab ich auch schon ziemlich viel von unserem Frankfurter Sound nach Ibiza mitgebracht. Ich hab mich in den 80ern mittags ins Dorian Gray oder ins Vogue gesetzt und Tapes aufgenommen und bin mit ungefähr 50 Kassetten auf Ibiza in die Altstadt und hab die ganzen Bars versorgt, indem ich denen meine Kassetten verkauft hab. Ich hab Ibiza da schon ganz gut geimpft mit unserer Musik. (lacht)

Wann hast du dann zum ersten Mal in einem großen Club in Frankfurt aufgelegt?

Im Dorian Gray, ’81.

Und wie hat sich das ergeben?

Die hab ich schon oft erzählt, die Story. Ich wurde angesprochen von dem Ulli Brenner, der seinerzeit Resident-DJ im kleinen Club war. Der hat mich auf dem Dancefloor beobachtet, wie ich stundenlang Stimmung verbreitet habe. Dann hat der mich angesprochen, ob ich nicht mal einspringen könnte für ihn, ob ich denn auflegen kann. Ich habe gesagt: “Ja, klar kann ich auflegen”. Und da hat der mir die Tür geöffnet. Der ist dann in Urlaub gefahren, ich hab den kleinen Club übernommen und anscheinend mächtig Eindruck hinterlassen. (lacht) Jedenfalls hat mich dann der Geschäftsführer angesprochen und gesagt: Magst du nicht hier fest anfangen? So hatte ich dann mit 17 eine Festanstellung im kleinen Club im Dorian Gray.

Wie viele Tage in der Woche hast du da dann gespielt?

Vier Tage. Und dann gab es noch Special Events, Modeschauen, Formel-1-Partys, Playboy-Partys. Da musste man auch schon oft mittags da sein.

„Wir waren im Studio. Ich hab angefangen, mir mal das Mikrofon zu schnappen und ein paar Texte zu sprechen. Eigentlich war das so, dass ich in einer gewissen Stimmung ein bisschen was erzählen wollte.”

Wie hast du damals ein Set aufgebaut? In gewisser Weise war das noch schwieriger, einen Dancefloor zu bedienen. Es gab ja noch nicht so viel Musik, die speziell auf das Tanzen ausgerichtet war wie später in den 90ern.

Damals hatte jeder Club ein eigenes Repertoire, eine eigene Plattensammlung. Durch die bist du dann durchgegangen und hast dein Abendprogramm zusammengestellt. Da ist auch viel alte Musik gelaufen, viel Disco, vor allem im kleinen Club. Im großen Club war es anders, da wurde viel mehr experimentiert. Da hat seinerzeit der Michael Münzing gespielt und der Bijan Blum. Aber die waren auch alle Ibiza-Fans! Ibiza hat damals viele DJs inspiriert.

Wie hast du dir damals vorgestellt, dass deine Zukunft aussieht und wie die Zukunft der Musik aussieht? Man konnte das ja überhaupt nicht antizipieren, dass Techno entstehen wird.

Ich wollte auf jeden Fall mitgestalten. Zum Glück habe ich mit dem Dorian Gray auch gute Jungs kennengelernt, die experimentierfreudig waren. Mit denen habe ich mich mittags getroffen, an Drum Machines rumgebastelt, wir haben Remixe selbst geschnitten auf Tonbandmaschinen und haben viel ausprobiert. Wir wollten einfach mit dabei sein. Das Dorian Gray war unsere Spielwiese, das war ein Wahnsinnsladen mit tollem, technischen Equipment wie das Studio 54 oder die Paradise Garage. Der Richard Long hat ja das Soundsystem vom Dorian Gray entwickelt, wir sind dann mittags rein und haben da Platten gehört und unsere Remixe abgefeuert. Das hat uns sehr motiviert, was Eigenes zu machen.

Was war das erste Resultat, mit dem du zufrieden warst?

Wir haben uns in kleinen Schritten immer mehr unserer ersten eigenen Produktion genähert. Dazu kam es dann auch, 1985. Das war meine erste eigene Veröffentlichung, „Bad News” auf Bellafon Records. Dann ging es los. Parallel wurde in Chicago und Detroit auch rumexperimentiert, da haben auch DJs probiert, DJ-Musik zu produzieren. So haben wir das auch gemacht und hatten dann sogar auch relativ schnell Erfolg damit. Das war wiederum auch für andere DJs inspirierend, und das ging auf Ibiza genauso ab. Das war die Mitte der 80er Jahre, da haben die DJs mit viel Fantasie und Leidenschaft dazu beigetragen, dass Tanzmusik nochmal neu definiert wurde.

Wie bist du zum Singen gekommen und wie hast Du Deinen eigenen Vokalstil zwischen Singen und Sprechen entwickelt?

Eher so aus einer Laune heraus. Wir waren im Studio, ich hab angefangen, mir mal das Mikrofon zu schnappen und ein paar Texte zu sprechen. Eigentlich war das so, dass ich in einer gewissen Stimmung ein bisschen was erzählen wollte.

Was wolltest du erzählen?

Ach, Fantasy-Storys! Geschichten einfach. Das war damals so, mit dem Luca Anzelotti und dem Michael Münzing in den 80ern. In den 90ern kamen dann der Ralf Hildenbeutel und der Matthias Hoffmann dazu, dann auch der Roman Flügel, der Jörn Elling Wuttke, der Anthony Rother und Johannes Heil. Wir waren Pioniere damals, wir haben viel ausprobiert und haben auch noch nicht gleich die richtige Rezeptur gefunden. Aber wir haben viel gewagt, auch gerade was die Kickdrum angeht, dass die schön laut sein muss, reduzierte Arrangements und so weiter. Ich bin dann ja vom Vogue abgeworben worden, das war glaube ich 1984.

86 wurde ich dann wieder abgeworben vom Dorian Gray und wurde Resident DJ im großen Club. In der Zeit ging dann auch der belgische Sound los, der New Beat. Ich glaub unsere Musik, das war so eine Mischung aus New Beat und Techno in den ersten Stunden. Natürlich mit einem Schuss Pop.

„Und dann haben wir 1988, ich glaube am 18. Oktober, das Omen aufgesperrt.”

Dieses Spielerische in der Musik, aber auch in der Art, wie du singst, ist ja auch heute noch in deinen Sets präsent.

Diesen Faden zu spinnen, Leute mit auf eine Reise zu nehmen, musikalisch eine Geschichte zu erzählen mit einem Schuss Humor. Es kann auch mal strenger sein, mal psychedelischer sein, auch hypnotisch. Das war für mich auch aus der Perspektive eines Tänzers immer wichtig. Das hat mich mitgenommen, wenn mich der DJ auf dem Dancefloor festgenagelt hat, wenn er mich gar nicht mehr runtergelassen hat vom Dancefloor. Ich wollte mit der Auswahl meiner Musik eine bestimmte Energie entstehen lassen, dieses Wir-Gefühl mit einer Portion Liebe und Leidenschaft.

Wie ging es nach Vogue und Dorian Gray weiter?

Anfang ’88 war es sehr extrem, ich habe das ganze Dorian Gray umgemodelt, da ist dann [der Industrial Techno von] Front 242 gelaufen, Nitzer Ebb haben live gespielt, Skinny Puppy. Ich bin auch heute noch ein großer Fan von Adrian Sherwood. Diese ganze Industrial Music von à;GRUMH… über A Split Second, Severed Head oder The Clinic hab ich salonfähig gemacht. Auf einmal sind sie alle nur noch in Schwarz gekleidet mit Doc Martens eingelaufen. (schmunzelt) Irgendwann ist mir bewusst geworden: Boah, das ist ja ziemlich krass, was hier abgeht. Da hatte ich schon so im Hinterkopf, dass ich gern was Eigenes machen würde. Mit zwei Freunden, die später meine Partner wurden, hatten wir das Angebot, das Vogue zu kaufen.

Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, einen Club zu kaufen?

Das hat ein bissl gedauert, aber dann haben wir uns entschlossen, und ich hab im Dorian Gray gekündigt und hab gesagt, ich brauche jetzt eine künstlerische Pause. Ich wollte mich musikalisch auch nochmal ein bisschen von dem ganzen Industrial lösen. Das war gerade die Zeit der House Music, insbesondere der Acid House Music. Ich wollte generell mehr House in meine Sets einbauen. Dann habe ich eine längere Pause gemacht, das war fast ein halbes Jahr. In der Zeit haben wir das Vogue umgebaut. Ich hab dann den Namen Omen ins Spiel gebracht. Wir haben alles aus dem Vogue rausgeschmissen, das Omen da entstehen lassen mit der Hilfe von unserem Freund Amir Abadi, der war der Architekt bei der Sache. Und dann haben wir 1988, ich glaube am 18. Oktober, das Omen aufgesperrt.

Es passiert ja relativ selten, dass DJs ihre eigenen Clubs machen. Warum hattest du diesen Wunsch? Das lenkt ja auch von der Musik ab. Du hattest mit dem Dorian Gray ja eine tolle Homebase. Warum wolltest du dir diese neue Aufgabe aufladen?

Es war mir anscheinend nicht genug. (lacht) Mit meinen Freunden hatte ich die Vision, was Eigenes zu machen. Ich hab irgendwie gespürt, die Zeit ist reif. Ich war 24. Ich bin gerade 17 geworden, da hab ich angefangen als DJ. Mit 22 war ich Popstar mit „Electrica Salsa” und hab meine Gala Shows gerissen, hab in der Arena di Verona gesungen, wahnsinnig tolle Leute kennengelernt. Als DJ war ich aber immer nur in Frankfurt tätig. Das hat sich 1988 geändert, da hatte ich mein erstes Booking in London, im Wag Club mit dem Dave Dorrell, der hat damals mit dem Projekt M/A/R/R/S „Pump Up The Volume”, gemacht. Das war zu der Zeit, als wir das Omen aufgemacht haben.

Warum wollte Sven Väth zusätzlich zu seiner DJ-Karriere auch noch eine Club machen? Was machte das Omen so einzigartig? Wie erfand sich Väth nach dessen Ende mit Cocoon neu? Was denkt er über die junge Techno-Generation mit ihren Instagram-DJs? All das erfahrt ihr im dritten Teil des Interviews. Svens Meinung über das aktuelle Ibiza erfahrt ihr im ersten Teil des Gesprächs.

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