Caroline K – Don’t Believe It’s Over (Mannequin)
Während einer kreativen Verschnaufpause irgendwann nach Befehlsnotstand und vor Viral Shedding soll Caroline Kaye Walters schon 1983 den Darkwave-Ohrwurm Don’t Believe It’s Over in ihrem Heimstudio in Brixton gebastelt haben. Mit einem Equipment, das fast vier Dekaden später noch den Puls eines jeden Sound-Afficionados Saltos schlagen lässt, gelang der Mitgründerin von Nocturnal Emissions damals ein zeitloses Kleinod: Roland SH-101 und TR-808, Powertran Vocoder, der Synthi AKS von EMS, Casio-Keys sowie ein Fostex 8-Spur-Rekorder schälten Qualitäten aus dem Originalmix und seinen Abwandlungen, die sich rein digital selbst heute nur schwer imitieren lassen. Für die verträumten Deadpan-Vocals engagierte Caroline K eine gute Freundin namens Beverley Ireland, die es entweder nie gab oder die direkt nach den Aufnahmen wieder in der Versenkung verschwand. Eine Demokassette wurde damals an einige Labels geschickt – keines traute sich ran. Warum nur? Nigel Ayers nahm zwar Carolines Rat ein paar Jahre später an und brachte den Track als Teil der Nocturnal Emissions-Raritäten Duty Experiment auf Soleilmoon Recordings raus, doch davon nahmen selbst in einschlägigen Kreisen nur wenige Notiz. Gut, dass sich Mannequin-Gründer Alessandro Adriani nun dieser Aufnahmen annimmt und neben dem Original, einem Instrumental und einer Dub-Version auch seinen eigenen Remix auf der 12“ unterbringt, der „Don’t Believe It’s Over“ fit für jeden Fetisch-Rave macht. Nicht zuletzt deshalb, weil die Vorlage für ihre Zeit sehr fortschrittlich klang, was einer seltenen Begabung beim Brauen sinnlicher Soundmystik seitens Caroline K geschuldet sein dürfte. Opak schimmern da dräuende Synth-Arpeggien über einem scharf umrissenen Clap-Beat, bevor die Titel-Line als Mantra immer tiefer ins Unbewusste vordringt. Gänsehaut. Der Dub-Remix rückt die Vocals in den Fokus, klingt Funk-affin und schraubt den ominösen Tenor des Originals zugunsten schummriger Entspannung ein klein wenig raus, was unspektakulär gut funktioniert. Mit schwungvoll synkopiertem Viervierer geht Alessandro Adrianis Remix dagegen direkt ins Bein, wirkt fast episch, zumindest aber sofort ansteckend und schenkt „Don’t Believe It’s Over“ ein wohlverdientes Update. In Gedenken an die im Juli 2008 verstorbene Caroline K: Später Kultstatus incoming! Nils Schlechtriemen
DJ Phil – Back to the Beginning (Night Slugs)
Footwork geht immer. Der Sound mit den zerschnipselten Sub-Bässen auf Hi-Hats im Druckkochtopf hat sich dank Planet Mu und Hyperdub zwar vor Jahren aus der Ghetto House-Szene von Chicago in die Welt abgesetzt. Mit frühen Platten von DJ Rashad oder RP Boo kann man aber immer noch ganze Häuserblöcke in Schutt und Asche legen. Und in Chicago dröhnt es weiterhin aus den Bedroom-Studios. Die Abrissbirne schwingt im Double Time-Modus – gesteuert von einer neuen Generation, die zwischen Golden Age-Hip Hop, Funk und Deep House so ziemlich alles vermengt, was sich zwischen ratternde Sechzehntelnoten quetschen lässt. DJ Phil, Teklife-Member und Footwork-Feinschmecker mit Hang zu genüsslich in den Whiskey getunkten Soul-Samples, schnürt seine Nikes seit 2011 und lässt sie mit 160 Sachen über den Asphalt grinden. Mit Back to the Beginning shuffelt er nun das erste Mal auf dem Londoner Post-Dubstep-Label Night Slugs. Dance Mania-Platten aus den Neunzigern verlaufen sich in einem Labyrinth aus Motown-Hits („Deeper Lover“). Frauen stöhnen über Knister-Snares, Synthesizer machen auf Mr. Fingers („Vivid Dreams“). Und während der „F-Train“ volle Pulle an der nächsten Station vorbeidonnert, kurbelt Phil im Bordrestaurant das Fenster runter und lässt den Fahrtwind ins Mikro wummern. Nächster Halt: South Side, Kellerdisse. Christoph Benkeser
Mandar – Poisoned Words (Ricardo Villalobos Remixes) (Oscillat Music)
Als B-Seite der String Theory EP, mit der die Minimal-Techno-Supergroup Mandar – seit 2014 firmieren Lazare Hoche, Malin Genie und S.A.M. unter diesem Pseudonym, das im Spanischen soviel wie „senden“, aber auch „befehlen“ bedeuten kann – im vergangenen Jahr einen kleinen Hit gelandet hat, ist Poisoned Words etwas untergegangen. Dass sich Ricardo Villalobos nun – sogar mit gleich zwei Remixen – gerade dieses, verglichen mit dem schwelgerischen Minimal-House des Titelstücks, wesentlich spröderen Tracks angenommen hat, sollte angesichts der trippigen Sounds des Originals weiter nicht überraschen. Allerdings halten seine beiden Bearbeitungen ihrerseits ebenfalls keine allzu großen Überraschungen bereit. Dennoch bleibt Villalobos auch mit diesen Mixen ein Meister des subkutanen Sounddesigns. Während sein erster Remix für seine Verhältnisse geradezu gradlinig die von ihm erwarteten Afterhour-Vibes ansteuert, wagt sich der epische 13 Minuten währende „Remix 2“ doch etwas weiter vor: Diesen verstolperten Groove auf einen Dancefloor zu werfen, bleibt avancierten DJs vorbehalten, die es verstehen und sich auch die Zeit nehmen, eine Crowd auf derart schwankende Hörerfahrungen vorzubereiten und einzustellen (wie etwa einem Ricardo Villalobos, genau). Die Enttäuschung, die mehr als nur unterschwellig im Sample der (trotzdem oder gerade deshalb) coolen Frauenstimme mitschwingt, kommt hier jedenfalls am wirkungsvollsten zum Tragen. Harry Schmidt
Neil Landstrumm – Hell Is Other People (Unknown to the Unknown)
Mit der im Allgemeinen ernster gewordenen Weltsicht hat auch der Existenzialismus anscheinend neuen Aufwind bekommen. Neil Landstrumm nimmt sich auf seiner aktuellen EP jedenfalls Sartres Diktum „Die Hölle, das sind die anderen” an, im Titeltrack unterstützt von seinem langjährigen Wegbegleiter Si Begg. Eine Nummer, die im Ergebnis ein bisschen nach einer souverän schmuddeligen IDM-Variante der Detroit Grand Pubahs klingt. Mit wunderbar kaputten Zutaten, inklusive der hochgepitchten Stimme, und einem unbekümmert federnden Groove. Eine Feier des Bleeps und des metallisch schimmernd Analogen zelebriert Landstrumm dann in „Aviemore” mit klassisch pumpendem House-Fundament. Hart im Bass und sanft in den darüber pluckernden Spuren schließlich schnurrt das abschließende „Jackshit” voran. Minimal klickernder Beat, zerrende Synkopen dazu. Drei historisch bestens informierte Melangen von Techno und House, die an Maschinen kurz vorm Auseinanderfliegen erinnern. Und das alles in sehr sexy. Tim Caspar Boehme
Schacke – Make Them Remember (Kulor)
Was haben Kopenhagener Techno und deutsche Autobahnen gemeinsam? Geschwindigkeitsbegrenzungen – Nein, danke! Bei ersterem funktioniert das hervorragend. Dunkel, derbe, desillusioniert. Auch diese Charakteristika stehen für the danish way of dance music und die erfolgreiche Rückkehr auf die Landkarte der 4×4 Hedonist*Inn*en. Die Liebe für High Tempo-Geschepper gibt es im dänischen Königreich allerdings schon seit den frühen 90ern. Hard- und Psytrance waren dort das Ambrosia der Undergroundszene und 140 BPM Gang und Gäbe. Schackes Make Them Remember auf Courtesys und Mama Snakes Ectotherm ist eines der Paradebeispiele des Hochgeschwindigkeitsrauschs, der von dort aus seit 2017 um sich greift. Dass die lang vergriffene Platte jetzt in neuem Gewand, mit zwei anderen, das Subgenre gleichermaßen definierende Releases (Rune Bagge & Ibon), auf Kulør neu aufgelegt wird, steht den (wenigen) „ist nur ‘ne Eintagsfliege“-Kritikern entgegen. Dass der Spaß bei all der Brutalität nicht verloren geht, ist im Titeltrack durch eine geschickt gelegte und ein wenig komödiantische Synth-Melodie gewährleistet, die sich über den zerstörerischen Beat legt. Die anderen zwei Tracks zeigen dann die Liebe des jungen Dänen zu psychedelischen Soundmutationen, die mitunter auch seine DJ-Sets prägen. Andreas Cevatli