Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten Mixe des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Anthony Naples, Fadi Mohem, Fracture, Oberman und Lee Gamble b2b Kelman Duran. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.

Anthony Naples – 14. August 2019 (Dazed Mix)

Dass die New Yorker House- und Techno-Szene momentan einen ziemlich „buzz“ erfährt, ist mittlerweile sogar in die Feuilletons vorgedrungen. Fernab der prolligen Big-Room-Events formiert sich ein gut vernetzter Underground um Clubs wie das Nowadays und die Partyreihe Mutual Dreaming von Aurora Halal, der den altgedienten Sounds einen neuen Anstrich verpasst. Mittendrin ist der New Yorker DJ und Produzent Anthony Naples, der nach ein paar Jahren in Berlin in seine Homebase zurückgekehrt ist und mit Fog FM gerade erst ein spannendes Konzeptalbum zwischen Chicago House und Techno geliefert hat.

Für Dazed hat er einen Mix aufgenommen, der sich ganz dem Thema Antizipation widmet, perfekt für die Zeit zwischen Disco-Nap und dem Start in die Nacht. Schon der autotunelastig Opener „Sparky” des nigerianischen Musikers Santi macht deutlich, dass Naples nicht verbissen auf Four-to-the-Floor aus ist, sondern gerne nachhinkt und rechts schaut. Groovige Breakbeats leiten über die trancigen Flächen von Sleep D „Red Rock”, hin zu Mr. Curtains „Theme“, einer pumpenden Dark-Disco-Nummer. Von da an nimmt der Mix Fahrt auf, steigert sich über bouncy House-Grooves und Acid hin zu einem Premium-Ending: Ein Carl Craig-Remix von Tori Amos’ „God”. Laura Aha

Fadi Mohem – 12. August 2019 (Boiler Room Beijing)

Die Spandau House Mafia schlägt wieder zu, dieses mal nicht mit Techno-Boyband FJAAK, sondern deren Freund und Kupferstecher Fadi Mohem. Seine beiden Releases auf dem Monkeytown-Sublabel Seilscheibenpfeiler brachten ihm Anerkennung weit über die Grenzen seines berliner Randbezirks hinaus, seine allzu oft mit zwei Mixern und vier 1210ern bestrittenen b2b-Sets sind berüchtigt. Anfang des Monats beehrte der junge DJ und Produzent den Säule-Floor des Berghains auf der Lackrec. VS Magic Power-Nacht mit einem Liveset. Jetzt legt er mit seinem Boiler Room Debüt nach. Und was für einem. 

Übliche Faktoren, wie eine möglichst prätentiöse Crowd und ein Überangebot an Cdjs, sucht man hier vergeblich. Fadi reichen zwei Plattenspieler und eine großzügig ausgelegte Stunde für eine Einführung in seine Vorbilder im und sein Verständnis von Techno. Er beginnt mit Irritation, einer Konversation darüber, was die Jugend 2050 wohl für Musik hören würde, die in die passend spacige Leichtfüßigkeit von „Gata” seines Helden Jeff Mills übergeht. Bereits mit dem dritten Track, dem erst bräsig-bleepigen, dann zugkräftigen „Refrak” von Sebastian Kramer, wird aber die Gangart des Sets klar: 90s Detroit trifft Acid, trifft neuere, sowie seine eigenen Produktionen. Die Tracklist schraubt sich geradlinig weiter nach oben und lässt kaum eine Atempause. 

Die Beijinger Tänzer*innen lassen sich dankbar von Fadi Mohems Energie anstecken, und selbst Boiler Room-Host Michail Stangl zückt das ein oder andere mal die Gun Fingers und zeigt sich sichtlich bewegt. Spätestens bei Minute 45 bleibt mit Jamie Lidells Remix von Christian Vogel „Don’t Take More” kaum ein Körper still – zumindest vor der Kamera. Ausgerechnet das brachiale, aber abgehackte „Lag” von Sama Doma verschafft eine erste Verschnaufpause und läutet, unterbrochen von einem erneut technoiden Stück, das sich in gebrochene Beats auflösende Ende des Sets ein. Doch auch hier ist die Entspannung trügerisch. Selbst durch Kopfhörer lässt sich noch das Wummern der Subbässe vernehmen. Ben-Robin König

Fracture – 12. August 2019 (Sherelle presents: Keep Hush Live)

Mit ihrem kompromisslosen Jungle-Footwork-Set für Boiler Room aus vergangenem Februar wurde Sherelle einem breiten Publikum bekannt. Mit ihrer Residency auf der Community-Plattform Keep Hush pusht sie die 160 Bpm-Garde aus London und Umgebung. Eingeladen hat sie sich Freunde wie Addison Groove, Swisha oder ihre Six Figure Gang Kollegin L U C Y. Das energetischste und zugleich vielschichtigste Set des Abends lieferte aber Astrophonic Label-Boss Fracture.

Wie Sherelle zu Anfang treffend formuliert: „Doesn’t really need much introduction. Fucking hell, Fracture get on with it!“ Und das tat er auch mit einer wilden Kombination an Juke, Jungle, UK-Bass und bis an die Grenze gepitchten Electro. Dass in einer halben Stunde mehr Tracks gemixt werden, als manch andere Person das in einer tut, ist den schnellen Übergängen und Cuts geschuldet. Zackig springt ein Jungle-Loop über eine bouncende Juke-Sequenz. In der nächsten Sekunde schieben sich dunkle Bässe unter Vocals wie „Up in da club, man, how do ya do? My song comes on and I hit da danceflo’“. Luzie Seidel

Lee Gamble b2b Kelman Duran – 21. August 2019 (NTS Radio)

Von einem b2b zwischen Lee Gamble und Kelman Duran darf man sich getrost musikalische Extravaganz erwarten. Verschrobene, wirre UK Sounds auf der einen Seite treffen auf sphärischen Reggaeton und Groove-fokussierten Dancehall. Genau in der Mitte zwischen diesen beiden Polen scheinen lebhaft-derber Hip Hop, quietschige Bass Music und R’n’B-Anleihen zu liegen, die sich immer wieder in sedierendem Ambient verlieren. Dieser verpasst auch den Vocals zeitweise eine bleierne Schwere, die dem endsommerlichen Mix hervorragend zu Gesicht steht. Dass hier aber auch kredibiler Trap nicht zu kurz kommt, verdeutlicht ein gepflegtes „Scurrrr” in Minute 13. Von wirklich schwerer Kost kann also keine Rede sein, dazu schweben die abwechselnd arabischen und englischen Parts dann doch immer wieder zu erhaben über den Klangteppichen.

Der erste Dancehall-Beat entrollt sich dann nach etwas mehr als einer Viertelstunde, Querverbindungen zu DJ Python drängen sich spontan auf. Das ganze Klangkostüm des Mixes bleibt dabei durchweg eisern, kühl und durch die verschiedenen Genres hinweg erstaunlich konsistent. Beide liefern hier einen prägnanten Ein- und Überblick in bzw. über ihr musikalisches Universum, lassen den Tracks Raum zur Entfaltung und stürzen sich trotz der knapp bemessenen Zeit nicht in Hektik. Davon profitiert vor allem DJ Gunshots traumhafte D’n’B-Perle „Wheel ‘N’ Deal”, die Mary J. Blige meisterhaft sampelt. „Kelman Duran and me fuckin’ around for about an hour.”, leitet Lee Gamble in den ersten Minuten des Sets ein – äußerst treffend auf den Punkt gebracht. Maximilian Fritz

Oberman: Kiosk Radio – 09.08.2019 (Nous’klaer Audio)

Nous’klaer Audio ist eines der Labels, bei dem man sich aktuell darauf verlassen kann, dass nahezu jedes Release stimmt. Somit prangt das Qualitätssiegel auch auf der Person, die das Label führt: Sjoerd Oberman. Als DJ tritt er nicht allzu prominent in Erscheinung, er scheint das Rampenlicht lieber seinen Künstler*innen zu lassen. Sein Mix aus dem Brüsseler Kiosk Radio ist ein Kunststück in mood und Atmosphäre: So unaufgeregt und ruhig, wie es mit Dub von Orson („Life Gamble“) oder Balearic von ANF („Mary Lynne“) losgeht, bleibt es.

Selbst als die Energie gegen Ende hin mit Acid und von Prog angehauchten Tracks pumpender wird, bleibt diese Stimmung gewissermaßen als Hintergrund, als beruhigende ozeanblaue Wandfarbe, erhalten. Der typischen Dramaturgie von einstündigen Mixen widerspricht Oberman: Gen Ende fährt er mit groovigem und reduziertem House wieder runter. Dabei beweist er eine Vorliebe für raumfüllende Melodien, die manchmal gerade an der Kitschgrenze vorbeischrammen (wie ein Track von Martinou) – trifft damit jedoch genau den sweet spot. Obwohl Anfang August aufgenommen, ist der Mix in seinem leicht sehnsüchtigen laissez-faire ein tröstlicher Begleiter für den ausklingenden Sommer. Cristina Plett

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