Foto: Sean Schermerhorn
Als DJ, Live-Act, Produzentin, Promoterin und Label-Macherin kreiert Aurora Halal eine ganz eigene Welt. Zentrale Orte darin sind ihre einflussreiche New Yorker Partyreihe Mutual Dreaming und das weit über NYC hinaus beliebte Sustain-Release-Festival, das sie mitbegründet hat. Wir sprachen mit der US-Amerikanerin über ihre neue EP, die Unterschiede zwischen der amerikanischen und der deutschen Technoszene und warum gute Musik und Drogen allein für sie noch keine gute Party machen.
Eingetaucht in rotes Licht wirkt Aurora Halal bei ihrem Auftritt im Berghain zugleich zurückgezogen und präsent. Ihr Sound ist dicht und intensiv, am Anfang klingt ihr Set detailreich und hypnotisch, später acid-getrieben und fordernd. Halal spielt mit dem Tempo, bricht die Beats, wechselte von Techno zu Jungle. Dass sie sich wohlfühlt, ist deutlich zu spüren. Diesen stilistischen Sprung wird sie einige Wochen später in Skype-Gespräch als mäßig erfolgreich beschreiben, und zum Schluss kommen, dass Jungle in Berlin wohl einfach nicht so gut funktioniert. Für die Autorin war die Stimmung auf der Tanzfläche jedoch eine andere. Dass die Leute Jungle zwar feiern, aber zu der Musik nicht so intensiv tanzen wie zu Techno, hängt vielleicht damit damit zusammen, dass im technofokussierten Berlin einfach noch die Moves fehlen, um die Wertschätzung für gebrochene Beats in Bewegung zu übersetzen.
Halals DJ-Style ist maßgeblich von ihren Live-Sets geprägt. Die Musikerin ging im Gegensatz zu den meisten anderen DJs den umgekehrten Weg. Sie startete ihre musikalische Karriere als Live-Act, um nach einer Hybrid-Phase auch reine DJ-Sets zu spielen. Was das Format betrifft, ist sie begeistert von den Möglichkeiten der CDJs mit ihren Loops und Edits. Außerdem sammelt sie stets Musik für einen dritten CDJ, den sie eben gerade noch aufgenommene Field Recordings, Voice Memos oder Sounds benutzt. Die Tracks sieht Halal als soldiers für ihre Mission. Das Spiel mit Kontrasten macht für sie dabei den besonderen Reiz aus. Von dunkel und evil zu sanft und beruhigend: „Dunkelheit zu schaffen, um sie mit Licht zu durchbrechen.“, nennt sie das: „Ich überlege keinen Moment, welches Genre die Menschen hören wollen oder was einem bestimmten Publikum gefällt – weil das zu verwirrend ist. Ich muss einfach auf meiner eigenen Mission sein und die Geschichte erzählen, die ich vor meinem inneren Auge sehe.“
Um volle Kontrolle über die Veröffentlichung ihrer Musik zu haben, gründete sie 2014 ihr Label Mutual Dreaming, das den gleichen Namen wie ihre Partyreihe trägt. Während Halal ihre bisherigen EPs als zu „entspannt“ für ihre DJ-Sets empfindet, beschreibt sie ihre anstehende EP als die härteste Platte, die sie bisher veröffentlicht hat. Ihre ersten Solo-Releases Passageway und Shapeshifter sind teils sphärisch verhallt, teils hypnotisch und melodisch, häufig durchzogen von Halals Vocals. Ihre aktuelle EP ist ziemlich hardcore, mit vielen Breaks und jeder Menge Acid. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sie die letzten Jahre mehr DJ-Sets spielte und dabei viel Spaß am Experimentieren mit Intensität hatte.
Ein Raum für emotionale Transformation
Die Arbeit im Studio ist für die Musikerin untrennbar mit ihrer Live-Performance verbunden. Da sie häufig live spielt, schreibt sie auch den Großteil ihrer Musik für ihre Live-Sets und nimmt sie später auf. Dabei arbeitet sie Hardware-basiert und benutzt Ableton nur zum Aufnehmen und „um zu tweaken, bis der Track funktioniert“. Manchmal kommt es jedoch vor, dass sie ihre Stücke bereits ein Jahr lang spielt. Und wenn es dann an die Aufnahme geht, sei die Energie nicht mehr da – was ziemlich frustrierend sei. „Live-Sets und Recording sind zwei verschiedene Welten. Es ist verwirrend, weil sie sich eigentlich nicht unterscheiden sollten, aber sie tun es. Aus irgendeinem Grund sind das zwei Paralleldimensionen, die sich häufig kreuzen. Aber nur, weil etwas in einer funktioniert, muss es das in der anderen noch lange nicht.“
Zurzeit steckt Halal gerade mitten in einer zweimonatigen Arbeitspause, die sie nur für eine Mini-Tournee unterbrochen hatte. Ihre freie Zeit nutzt sie vor allem für eines: zum Feiern. Auszugehen, zu tanzen, das ist für sie ein wichtiger Teil ihrer musikalischen Praxis. Während des Interviews hört man in jeder Silbe jene Euphorie, die Raven im besten Sinne freisetzt. Und zwar nicht nur die flüchtige, substanzinduzierte Euphorie, sondern das nachhaltige Hochgefühl, das entsteht, wenn Feiern zu einer bedeutungsvollen Erfahrung wird. Für Halals gesamtes musikalisches Schaffen ist dieses Gefühl essentiell: „Mein Endziel ist es, idealerweise einen Raum für emotionale Transformation zu schaffen. Wenn du etwa gerade in einer emotionalen Situation steckst und auf der Tanzfläche eine Art Durchbruch hast. Das ist mir schon so oft passiert.“ Im Grunde gehe es ihr darum, dass Kunst entstehen kann – um höhere Konzepte als “bloßes” Feiern.
“Ich bin froh darüber, niemand sagen zu müssen, was sie oder er zu tun hat.”
2005 machte Halals erste Rave-Erfahrungen mit ihren Freunden, dem DJ- und Produzenten-Duo Beautiful Swimmers, in einer „magischen Outdoor-Location mit unglaublicher Musik“. Dort wurde der Grundstein für ihre Herangehensweise als Musikerin und Promoterin gelegt. Die Besonderheiten der New Yorker Szene formten ihre Vision noch weiter aus: “Zu einem New Yorker, oder vielleicht einfach dem amerikanischen Verständnis der Dinge gehört immer dieser Durst nach etwas Neuem. Das zieht mich total an. Es ist aufregend, in New York zu sein und diese vielen verschiedenen Szenen zu erleben, die sich umkreisen. Viele Einflüsse, die neu kombiniert werden. Im Gegensatz zu einem Land wie Deutschland, wo es eine genaue Vorstellung davon gibt, was guter Techno ist oder was Qualität bedeutet. Ich weiß nicht, ob wir da die gleichen Erwartungen haben. Das führt zu einer Menge Dilettantismus. Aber ich denke, Dilettantismus hat großes Potenzial, wie Frische oder die Nichtexistenz von Erwartungen.“
Eine Grund für die größere Freiheit der Techno-Szene in den USA im Vergleich zu hierzulande ist ihre geringere Popularität, wie Halal erklärt. Aufgewachsen in Washington, wo Punk und Hardcore tonangebend waren, entdeckte Halal im New York Mitte der 2000er elektronische Musik für sich. Ihre Jugend beschreibt sie als dunkle Zeit der elektronischen Musik, in der Techno synonym mit Eurodance war, mit der „schlimmsten, billigsten, kommerziellsten, uninteressantesten Musik überhaupt“. Als sie dann Mitte der 2000er den Techno-Underground für sich entdeckte, war das für sie wie ein Geheimnis zwischen ihren Freund*innen und ihr, „dieses total spannende Portal zu etwas, für das sich sonst niemand interessierte.“
Deinen Tribe finden
Dilettantismus und Intimität waren dabei von Anfang an prägende Faktoren für Halals eigene Veranstaltungen. So sind etwa sowohl Mutual Dreaming als auch Sustain-Release ein andauerndes Experiment. Weder Halal noch die anderen Mitwirkenden haben professionelle Erfahrung in dem, was sie tun. „Es sind im Grunde genommen alles unsere Freund*innen,“ beschreibt Halal ihr Festivalteam. „Alle sind auf irgendeine Art und Weise Teil der New Yorker Szene. Wir beauftragen keine professionellen Caterer oder professionelle Lichtkünstler*innen. Was es so interessant macht, ist, dass viele etwas zum ersten Mal versuchen und zum ersten Mal die Ressourcen haben, um sie umzusetzen. Das führt zu einem organischen Gefühl. Ich sage dazu in letzter Zeit oft ‚von uns, für uns’. Sustain Release ist von den gleichen Menschen geschaffen, die dort raven werden. Es wirken keine kommerziellen Interessen von außen auf uns ein, natürlich gibt es keine Sponsoren, keine Förderung, keine Investoren, keine große Promotion. Es ist durch und durch von Ravern gemacht.“ Und so tragen die Leute Jahr für Jahr neue Ideen in das Festival hinein und sorgen dafür, dass auch Halal als Organisatorin vom Ergebnis überrascht wird. „Eine Sache, über die ich wirklich glücklich bin, ist, dass ich niemandem direkt sage, was zu tun ist. Ich habe insgesamt eine sehr spezifische Idee und ein bestimmtes Gefühl für das Projekt, aber viele Elemente werden kollaborativ produziert, und wir sind dann alle überrascht. Ich weiß also zum Beispiel nicht, was die Lichtkünstler*innen planen. Die Entscheidung liegt zu 100 % bei ihnen. Sie werden eingeladen, ihr Ding zu machen, so wie auch DJs eingeladen werden. Ich bin also genauso überrascht wie die Raver und erlebe es zugleich mit ihnen. Das liebe ich.“
Der intime Vibe auf ihren Veranstaltungen ergibt sich einerseits durch deren Größe – Sustain Release ist auf 1000 Personen limitiert, und bei dieser Größe soll es auch bleiben. Andererseits trägt das Mitgliedschafts-Prinzip auch seinen Teil dazu bei. „Wenn du jemanden kennst, der schon mal da war, kann dich diese Person einladen und als ihr Plus 1 mitbringen. Somit haben alle, die bisher auf dem Festival waren, die Verantwortung, den Vibe aufrechtzuerhalten. Es ist also auch ihr Projekt. Außerdem kennen sich alle mehr oder weniger, aber es ist nicht cliquenmäßig, weil es sich jedes Jahr verändert. Es ist wirklich besonders.“
„Ladenketten mit creepy Werbung, Rassismus, eine krasse rape culture, tragische Musik im Radio: Dann bist du extra motiviert, eine Gegenkultur zu entwickeln, die dich stimuliert und tröstet.”
Musikalisch legen Halal und Daniel Martin-McCormick, der seit zwei Jahren der Co-Kurator ist, den Fokus auf die jüngere Generation an Künstler*innen. Einfach nur große Namen zu buchen liege ihnen fern. Es gehe ihnen vielmehr darum, dass die Artists auf irgendeine Art etwas Besonderes mitbringen. „Letztes Jahr hatten wir zum Beispiel eine neue Ambient-Stage im Wald und haben einen Tag länger gemacht. Huerco S und Uon, Solar & Mozhgan und RAMZi spielten. Alle saßen die ganze Nacht im Wald und es war einfach etwas ganz Besonderes. Ich habe gehört, dass einige geweint haben, sie hatten eine intensive bonding experience – es war wirklich schön.“ Besonders begeistert hatte sie letztes Jahr außerdem das achtstündige Festival-Closing von Josey Rebelle, Butttechnos Set, Legowelts Live-Set oder Eris Drew. Halal und McCormick ist es beim Booking zudem wichtig, vielen lokalen Künstler*innen eine Plattform zu geben. „Und zwar einen guten Slot, nicht nur ein Opening oder so. Sondern einen Peak-Slot im Main-Room.“
Den starken Zusammenhalt der New Yorker Underground-Szene erklärt sich Halal vor allem dadurch, dass sie so klein ist. „Wenn deine Mainstream-Kultur Schrott ist – Ladenketten mit creepy Werbung, Leute, die in Vororten leben und rassistisch sind, eine krasse rape culture, einfach ein konstanter Schwall an stressiger, verwirrender Information, die Musik im Radio einfach nur tragisch ist – dann bist du eben extra motiviert, eine Gegenkultur zu entwickeln, die dich stimuliert und dich tröstet. Deshalb denke ich, sind die Menschen sehr darauf aus, sich zu vernetzen, sich zu inspirieren, um ihre eigenen Gemeinschaften und Welten zu kreieren. Aus einem verzweifelten Wunsch zu leben und das Leben zu lieben. All jene, die sich also nicht im Mainstream wiederfinden, sind angetrieben von dem Impuls, ‚ihre Menschen zu finden.’ Denn sobald du deinen ‚special Tribe’ gefunden hast, ist das Leben einfach besser.“