Foto: Federico Reyes.

Seine erste Veröffentlichung war ein Tape mit LoFi-HipHop, doch seit einiger Zeit hat sich der Berliner wieder dem zugewandt, was er mit 15 im Plattenladen entdeckt hatte: der elektronischen Musik. Nun baut Bauernfeind als Teil des Kollektivs Live From Earth deren neues Sublabel „Live From Earth Klub” mit auf, das bis jetzt vor allem durch Techno mit Trance- und Gabber-Anleihen aufgefallen ist. Damit ist Jacob Bauernfeind heute Vertreter einer Generation an DJs, die mehr wollen: Mehr Tempo, mehr Rave, mehr Genres mischen. Und trifft damit einen Nerv. 

Es macht „klock-klock”, als Jacob Bauernfeind auf den Tisch klopft um zu signalisieren, dass er da ist. Er steht in seiner Stammkneipe in Berlin-Schöneberg, bis auf Sneaker und verspiegelter Sonnenbrille gänzlich in Schwarz gekleidet. Gerade kommt er von der Arbeit aus dem Live From Earth-Büro, jetzt gibt es zum Feierabend ein kühles Schultheiss-Bier. Im Hintergrund dudelt Charts-Musik aus dem Radio. Der Wirt kennt ihn. Genau wie viele andere der Live From Earth-Crew ist Bauernfeind, wie er sich als DJ und Produzent schlicht nennt, Berliner. Seine Eltern wohnen in der Gegend, während des Gesprächs schaut sein Bruder zufällig vorbei. Ein familiäres Umfeld also.


Wohnort
Berlin 

Seit wann am Auflegen: 
„Ich war mit 14 zum ersten Mal im Plattenladen, bei Oye Records.” 

Dein erster richtiger Gig: 
„Da war ich 15 oder 16. Ich hab den Clubbesitzer vom Scala [inzwischen geschlossener Club in Berlin, Anm. d. Red.] zufällig im Plattenladen getroffen und der hat das gefeiert, dass so junge Kids elektronische Musik diggen. Er hat uns direkt eingeladen, er hätte noch einen Slot heute Abend, ‘Habt ihr nicht Bock aufzulegen?’ Ich so ‘Ööh, ich weiß gar nicht, wie das richtig funktioniert.’ Dementsprechend haben wir, das war mit zwei Freunden, den Floor innerhalb einer halben Stunde leer gespielt. Aber ich habe Blut geleckt, es hat mir einfach einen Riesenspaß gemacht.” 

Was auf deinem Hospitality Rider nicht fehlen darf: 
„Grapefruitsaft von Granini. Er schmeckt mir gut und ich hab das Gefühl, er ist gesund.”  

Diesen Track höre ich in letzter Zeit gerne:
I Don’t Think It’s Better“ von VTSS

Das würde ich machen, wenn ich kein*e Musiker*in wäre: 
„Ich weiß es nicht. Ich lebe im Hier und Jetzt. Ich hab mal ein Jura-Studium angefangen, auch relativ lange gemacht, dann aber gemerkt, dass ich nicht beides machen kann. Wenn ich was mache, dann mache ich das zu 100 Prozent. Ansonsten wird es auch nicht gut. Meine Liebe zur Musik war mir wichtiger.”


Nicht nur im Privatleben, auch musikalisch baut Bauernfeind auf eine feste Basis aus Freunden. Er ist seit seiner Gründung im Jahr 2015 Teil des Kollektivs Live From Earth. Obwohl er vorher bereits als Bauernfeind aufgelegt hatte, tritt er dort zunächst unter dem Alias DJ Creep in Erscheinung. Unter diesem Namen erscheint auch seine erste Veröffentlichung 2016 – ein Tape mit LoFi-Hip Hop-Beats, „eigentlich bestand das nur aus Samples.” Die Tapes überspielte er selber, „die Sachen selber beklebt, die Cover selber gefaltet. Das waren ein paar Tage Arbeit”, erzählt Bauernfeind und lacht. Der Sound passt zu dem damaligen Image des Labels, dessen wohl bekanntester Künstler der Rapper Yung Hurn ist. Nun ist Bauernfeind jedoch Teil einer Generation an jungen Künstler*innen, die ihren Techno eine Spur schneller, härter und „assiger“ mögen, als es lange in vielen Clubs geläufig war, und damit Begeisterung bei ihrem Publikum auslösen. Die Casual Gabberz-Crew aus Paris, die Polin VTSS, auch der Berghain-Resident Kobosil lassen sich dazu zählen. Krampf von den Casual Gabberz beispielsweise hat im April auf LFE-Klub, dem Sublabel für Clubmusik von Live From Earth, veröffentlicht. Zusammen mit DJ Bangkok ist Bauernfeind hauptsächlich für Live From Earth Klub zuständig – doch es ist ihm wichtig zu betonen, dass das Label, zu dem unter anderem DJ Gigola, 41ISSA und MCNZI gehören, gemeinsam agiert: „Jeder bringt seine Stärken ein.” 

Die Verbindung zwischen seiner jüngeren Hip Hop-Vergangenheit als DJ Creep und seiner Gegenwart im Techno ist für ihn glasklar: Die Produktion ist ähnlich, die Entstehungsgeschichte von der 808 ausgehend sowieso und mit elektronischer Musik hatte er als Teenager ja eigentlich angefangen. Überhaupt gehöre es zusammen, weil es von ihm stamme: „Es sieht nach einer Transition aus, weil es ein anderer Name ist, aber im Großen und Ganzen ist das ja nur ein Teil von mir. Ich kann auch morgen eine Doom Metal-Platte machen – für mich ist das nur konsequent”, überlegt er. Entsprechend sei es bei der Unterscheidung von Live From Earth und Live From Earth Klub: „Man kann es nicht trennen, weil es gar nicht zu trennen ist. Man soll’s auch gar nicht trennen. Aber es ist halt was anderes.” Auf eine Art ist es ein Sich-nicht-festnageln-lassen-wollen, das ihm bei seiner Labelarbeit für Live From Earth genauso wichtig ist („Warum soll ich mir die Möglichkeiten einschränken?”) wie bei seiner musikalischen Ausrichtung als Produzent und DJ.  

Foto: Federico Reyes.

Auf die Musik an sich hat er sich jedoch eindeutig festgelegt. Im Herbst 2018 entschied sich Bauernfeind, das Jura-Studium sein zu lassen und sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Der Entschluss sei ihm nicht leicht gefallen: „Das war eine ganz schwierige Entscheidung. Vor allem wenn man so viel Zeit investiert hat; ich war kurz vor dem ersten Staatsexamen”, erzählt er, während das Radio in der Kneipe passenderweise eine Klavierballade spielt. „Aber es war die beste Entscheidung, die ich je hätte treffen können.” Die Familie, die Live From Earth für ihn darstellt, fing ihn da in finanzieller Hinsicht etwas auf. Nach dem Abbruch des Studiums arbeitete er zunächst im Label-Büro, packte Pakete und konnte so seine Miete zahlen. „Ich kann da sehr dankbar für sein. Das hat mir ermöglicht, mich auf die Musik zu konzentrieren”, sagt er. 

https://www.youtube.com/watch?v=XlMJHSsizy0

Die Konzentration trug schnell Früchte. Seine erste Platte als Bauernfeind erschien im Januar dieses Jahres – auch hier nicht im Alleingang, sondern gemeinsam mit Matrixxman. Sie lernten sich über Freunde im Plattenladen RS94109 in San Francisco kennen, lagen schnell auf einer Wellenlänge, der Schritt hin zum gemeinsamen Produzieren lag nicht weit. Das Resultat sind fünf Tracks, die von den lofi-igen, tiefenentspannten Tracks als DJ Creep entfernter nicht sein könnten: Energiegeladener Techno in HD, der mal Inspiration in Trance sucht, ein andermal in EBM. Für Ende des Jahres sind zwei Solo-Releases geplant – wo genau, möchte er nicht verraten. Live From Earth Klub wird es jedoch erst einmal nicht sein. „Es gibt so viele tolle Labels, die ich auch vom Output her bewundere, da möchte ich gerne dabei sein”, sagt Bauernfeind. Sich vom Kollektiv abzuspalten plant er jedoch keineswegs: „Ich werd’ für immer bei LFE sein. Das geht uns allen so. Das ist Familie.” Am Ende nennt er doch ein paar Labels, die in Frage kommen könnten – und die lassen erwarten, dass es noch peitschender wird als die No Rush–EP

Der Richtung folgen auch seine DJ-Sets. Bauernfeind bewegt sich entlang des Continuums von schwerem Techno zu wild zappelndem Gabber. Dazwischen kann Acid Techno aus den Neunzigern gleichberechtigt neben Trance stehen, Tempo und Energielevel reizt er mit teilweise sichtbarem Genuss bis zum Anschlag aus. So zum Beispiel bei der jüngsten Party von Live From Earth Klub im Juni in der Säule des Berghains: Obwohl mit dem Opening beauftragt, scheint ihm der Begriff ein Fremdwort zu sein; um 23:30 Uhr ballert der Sound bereits mit knapp 145 bpm durch die locker gefüllte Tanzfläche. Das Publikum nimmt es ohne Scheu ob der Zeit an. Ähnlich klingt es, als er von einer gemeinsamen Party mit Casual Gabberz in Paris erzählt. Dort habe er in anderthalb Stunden von 110 auf 150 bpm hochgefahren. Er muss selber lachen angesichts dieser rasanten Geschwindigkeitszunahme.

Überhaupt, der Rave: Lange bevor das erste Release auf Live From Earth Klub im April 2018 erschien, veranstaltete das Kollektiv Partys, bei denen elektronische Musik im Fokus stand. „Für mich ist die Party die Basis von Clubkultur. Du kannst dir die Musik in deinem stillen Kämmerlein anhören, aber gelebt wird’s im Club. Und da gehört’s auch hin”, sagt Bauernfeind entschieden. Vielleicht rührt von dieser Begeisterung für den Rave an sich seine Aversion, einen Abend langsam zu eröffnen. In einer Zeit, in der sich Clubkultur immer mehr der Hochkultur annähert, im Konzertformat stattfindet und viel Material für Homelistening hervorbringt, trifft er mit dieser dem entgegengesetzten Einstellung einen Nerv. Gerade bei der jungen Generation, denn das Publikum von Live From Earth Klub sei tendenziell in seinen frühen Zwanzigern. 

Bauernfeind erklärt sich diese Popularität seines Sounds mit dem aktuellen Zustand der Gesellschaft: „Wir leben in einer Konsumgesellschaft, die Leute gehen jetzt andauernd auf Festivals, dieses Business ist riesig geworden. Da passt sowas wie Hardcore natürlich gerade sehr gut rein.” Außerdem mache Hardcore auch einfach Spaß – ein Faktor, der manchmal ein bisschen zu kurz komme, der aber zunehmend wieder wichtiger werde, wie er beobachtet. „Aber man muss das schon mit einer Ernsthaftigkeit betreiben. Nur Spaß ist es nicht”, sagte er. Und lacht doch.

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